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Zwischen Tradition und Moderne
Welcher Islam kommt in welches Deutschland?

Hunderttausende Flüchtlinge aus islamisch geprägten Ländern kommen nach Deutschland. Zum Teil suchen sie Anschluss an Moscheegemeinden. Aber wie sind die hier lebenden Muslime in die deutsche Demokratie integriert? Wie tickt der Islam in Deutschland – und was kann er beitragen zur Integration von Zuwanderern?

Von Thomas Klatt | 04.11.2015
    Die ersten Besucher betrachten am 19.03.2015 in Dresden (Sachsen) im Bertolt-Brecht-Gymnasium die neue Ausstellung "Was glaubst du denn?! Muslime in Deutschland". Die interaktive Schau ist ein Wanderprojekt der Bundeszentrale für politische Bildung.
    "Eigentlich ist das Charmante am Islam tatsächlich, dass er in so viele unterschiedliche Denkrichtungen, Schulen, Gruppierungen zerfällt und von daher ganz gut in unsere Gesellschaft passt..." (picture alliance / dpa / Matthias Hiekel)
    Die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter sieht die mehr als 4 Millionen Muslime in Deutschland als eine eigenständige Größe an. Das sei legitim, auch wenn jeder Mensch durch mehrere Faktoren bestimmt sei: etwa durch Herkunft, Familienstand, Bildung, Beruf oder politische Ausrichtung. Dennoch gilt:
    "Der Islam ist weltweit etwas Identitätsstiftendes. Viele Menschen, die Muslime sind, bezeichnen sich zuallererst als Muslime und reklamieren Rechte für Muslime."
    So würden sich Muslime zuallererst als Mitglieder ihrer Religionsgemeinschaft verstehen, obwohl im Islam bis heute eine Zentralinstanz fehle. Das müsse aber kein Nachteil sein.
    "Eigentlich ist das Charmante am Islam tatsächlich, dass er in so viele unterschiedliche Denkrichtungen, Schulen, Gruppierungen zerfällt und von daher ganz gut in unsere Gesellschaft passt, während die katholische Kirche ja dann auch den Gläubigen sehr fern ist, mit dem was in Rom erdacht wird. Es macht keinen Nutzen sich auf Teufel komm raus zu vereinheitlichen, sondern man sollte als Muslim seinen Glauben leben und nicht so viel Energien in die Bildung von Großorganisationen stecken."
    Susanne Schröter, die Ethnologin, beobachtet diese Tendenz: Wenn es um das Verhältnis von Muslimen zur nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft geht, würden sie sich als religiös geschlossene Gruppe verstehen. Das sei bei Muslimen viel stärker ausgeprägt als das bei Mitgliedern anderer Weltanschauungen. Das berge eine Gefahr: Extreme Minderheiten könnten den Diskurs in der Mitte der Gemeinden bestimmen – selbst dann wenn sich diese Gemeinden und Verbände als gemäßigt verstehen und sich von Salafisten offiziell distanzieren.
    "Viele dieser Positionen, die Unterordnung der Frauen, die Minderbewertung von Nichtmuslimen, das Verbot den Islam zu verlassen, sind im konservativen Mainstream absolut verankert. Das ist das Problem, weshalb sich organisierte fromme Mehrheitsmuslime nicht so gerne von Islamisten distanzieren, weil sie den Unterschied gar nicht verstehen. Sie sagen: Wir sind nicht für Gewalt. Aber grundsätzlich theologisch gesehen fehlt ihnen die Überzeugung und das Handwerkszeug, wirklich einen klaren Strich zu ziehen zu den anderen."
    Trotz fehlender theologischer Distanzierung von Salafisten: Die meisten Muslime in Deutschland würden nicht nur pünktlich ihre Steuern bezahlen und ihren Pflichten nachkommen, sondern sich auch für die Gesamtgesellschaft einsetzen, hält der Frankfurter Islamwissenschaftler Bekim Agai dagegen:
    "Wir reden von deutschen Jugendlichen, die Muslime sind, die die Angebote und die Möglichkeiten, die eine deutsche Gesellschaft bietet, sich auch zunutze machen. Und es gibt eben eine Reihe von Initiativen von Muslimen, die sich nicht aus einem primären religiösen Bedürfnis entwickelt haben, sondern aus vielleicht einer religiösen Haltung, die versuchen, eine bestimmte Ethik in bestimmten Feldern umzusetzen. Es kann die Jugendarbeit sein, es kann die Stadtteilarbeit sein, das können muslimische Umweltaktivisten sein, die eben sagen, welcher Rechtsschule wir angehören und in welche Moschee wir vielleicht gehen, ist für das erst mal egal."
    Anders hingegen die muslimischen Dachverbände, sagen Kritiker. Die Verbände repräsentierten gerade mal 15 – 20 Prozent aller Muslime in Deutschland, gäben aber vor, für alle Gläubigen zu sprechen. Und es gehe ihnen vor allem darum, ein möglichst positives Bild der eigenen Religion zu zeichnen, sagt der Fernseh-Journalist Abdul-Ahmad Rashid:
    "Das Problem ist, dass der Islam eigentlich eine Tradition der Religionskritik nicht kennt. Im Mittelalter gab es da Ansätze bei Ibn Rushd und Avicenna. Aber das ist verschwunden, und heutzutage gibt es keine Selbstreflexion. Es gibt diese über den Glauben, aber das ist mehr über die Intensität der Religiosität. Aber der Glaube selber wird sehr wenig in Frage gestellt. Und bei Selbstkritik hört für viele Muslime der Spaß auf. Wenn sie von außen kommt, reagieren sie oft auch empfindlich."
    Die BerlinerSoziologin Necla Kelek geht noch weiter: Viele der in Deutschland lebenden Muslime seien noch nicht in der deutschen Demokratie angekommen.
    "Was verstehen denn die Einzelnen unter Demokratie? Die meisten Muslime, die ich kenne, verstehen darunter Mehrheitsverhältnisse. Also wenn ich mehrheitlich die Scharia gewählt habe, dann haben eben die anderen Pech, dann wird eben die Scharia eingeführt."
    Necla Kelek stört es, wenn Muslime sich zu Opfern machen, indem sie fortwährend beklagen, sie würden negativ dargestellt und es würde ihnen Ablehnung bis Hass entgegengebracht. Solche Phänomene gebe es, aber das entbinde weder Muslime noch die Gesamtgesellschaft davon, kritische Fragen zu stellen.
    "Wann werden muslimische Mädchen verheiratet? Wann bekommen sie das erste Kind? Wie sind diese Ehen zustande gekommen? Das sind eben islamische Traditionen – und ich erwarte, dass diese Zusammenhänge, wie der Islam in die Familien wirkt, in die Schulen, in die Gesellschaft, diese Fragen hätten auch gestellt werden müssen."
    Diese Fragen könnten und müssten in Zukunft gestellt werden. Denn Deutschland mit Hunderttausenden neuer Flüchtlinge vor allem aus dem Irak und Syrien arabischer und muslimischer, sagt Susanne Schröter, die das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam leitet. Und da stellten sich nun ganz neue Herausforderungen einer gelingenden Integration.
    "Die Saudis haben das schon angekündigt, dass sie hier die Flüchtlinge unterstützen und das muss man definitiv verhindern. Ich wundere mich sowieso, dass man die Finanzströme da nicht kontrolliert. Saudi-Arabien finanziert den Terror weltweit. Das Problem ist, dass die unsere Partner am Golf sind, da gibt es eine Doppelbödigkeit der deutschen Politik. Der IS wird bekämpft und die Saudis mit dem gleichen Rechtssystem, die werden gehypt. Das kann eigentlich nicht sein."
    Schröter fragt, warum der saudische Einfluss auf deutsche Moscheen nicht hinterfragt wird, warum die finanziellen Transaktionen nicht unterbunden würden.
    "Als pragmatische Lösung, da mal findige Finanzleute ran setzen und zu sehen, welche Finanzströme da laufen und die auszutrocknen, ja. Damit nicht das passiert, was im Kleinen jetzt schon passiert, dass arabische Moscheen massiv unterwandert werden durch Saudi-Prediger und Saudi-Geld. Aber das muss nicht zwangsläufig so sein. Viele Syrer, die hierher kommen, wollen vielleicht lieber eine gute Schulbildung, aber das alles wissen wir noch nicht."
    Es sei auch die Aufgabe des deutschen Staates zu verhindern, dass muslimische Einwanderer hierzulande infiltriert werden.