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Zwischen Unabhängigkeit und Geldnot

In Sachen Bildung sind SPD und Union bei vielen Themen ähnlicher Meinung. Anders sieht es aber bei dem sogenannten Kooperationsverbot aus. Dabei hätte eine Große Koalition genügend Stimmen, um das Grundgesetz zu ändern und das Verbot aufzuheben.

Von Jürgen König | 27.10.2013
    Bildungsrepublik Deutschland? Wie weit der Weg dahin noch ist, zeigte erst vor Kurzem die neue "Erwachsenen-PISA"-Studie. Barbara Ischinger von der OECD:

    "Bei fast jedem sechsten Erwachsenen ist das Leseverständnis stark eingeschränkt. 17,5 Prozent lesen nur auf Kompetenzstufe 1 oder niedriger. Das heißt: Sie verstehen kurze Texte mit einfachem Vokabular. Insgesamt haben diese Menschen kaum das Niveau eines Zehnjährigen."

    Die Liste der drängenden hochschulpolitischen Themen ist lang: eine solide Finanzierung der Universitäten, ein funktionierendes System zur Vergabe von Studienplätzen, die Bafög-Reform, eine bessere Lehrerausbildung, die Zukunft des Wissenschaftssystems nach dem Auslaufen von Bundesförderprogrammen wie der Exzellenzinitiative 2017. Auch die Grundfinanzierung der Schulen ist ungenügend, Geld fehlt vor allem, um mehr Ganztagsschulen zu schaffen und Lehrkräfte für den inklusiven Unterricht auszubilden. Einheitliche Bildungsstandards wie bundesweit vergleichbare Schulabschlüsse fehlen nach wie vor, und immer noch dauert es vielerorts sehr lange, bis Schulabgänger einen Ausbildungsplatz finden. Und bei alledem gilt grundsätzlich, was Barbara Ischinger so formuliert:

    "Ein starker politischer Wille wäre auch erforderlich, um einen anderen Zusammenhang aufzulösen oder abzuschwächen, der in Deutschland über alle Altersgruppen hinweg stark besteht: jenen zwischen sozialem Hintergrund und Leistung. In kaum einem anderen Land hängt die Lesekompetenz so sehr vom Bildungsstand der Eltern ab wie hierzulande."

    Ein "starker politischer Wille" – etwa eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat - wäre vor allem nötig, um im Grundgesetz das drängendste Problem der Bildungspolitik anzugehen: das sogenannte Kooperationsverbot. Dieses Verbot gibt es seit 2006, es wurde im Zuge der Föderalismusreform verabschiedet, um den Ländern Handlungsfreiheit zu geben. Seitdem darf der Bund dort nicht investieren, wo allein die Länder zuständig sind: bei den Schulen, Hochschulen, Universitäten. Einst vom hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch initiiert, hielten CDU und FDP bisher daran fest, alle anderen Bundestagsparteien wollen es abschaffen. Kai Gehring von den Grünen und Ulla Burchardt von der SPD - vor der Wahl:

    Kai Gehring: "Das Kooperationsverbot ist völlig absurd und passt nicht in die Zeit, und wir haben deshalb immer dagegen gekämpft."

    Ulla Burchardt: "Das versteht kein Mensch, deswegen gibt es seit Jahren Bewegungen, die sagen: ‚Also, ihr Politiker im Bundesrat, im Bundestag, nun macht doch endlich was und macht diesem Unsinn ein Ende!‘"

    Keine Planungssicherheit
    Wegen dieses Kooperationsverbotes kann der Bund bislang nur "befristete Projekte" fördern: der Hochschulpakt I zum Beispiel, mit dem der Bund den Hochschulen Geld gab, um die hohen Studierendenzahlen zu bewältigen, galt für drei Jahre, der folgende Hochschulpakt II weitere vier Jahre.

    Planungssicherheit entsteht dadurch nicht, groß ist die Furcht der Hochschulen, im internationalen Wettbewerb nicht bestehen zu können. Zu einer Lockerung des Kooperationsverbotes zugunsten der Hochschulen wäre die schwarz-gelbe Koalition bereit gewesen. Den von SPD und Grünen geführten Regierungen gingen die Regelungen aber nicht weit genug. Sie verlangten eine "große Lösung", bei der der Bund auch Schulen fördern darf. Das wiederum lehnten die beiden CDU-Ministerinnen Annette Schavan und Johanna Wanka ab – zu einer Grundgesetzänderung kam es nicht. Das Kooperationsverbot dürfte also in den Koalitionsverhandlungen das beherrschende Thema der Bildungspolitik werden. Die Abschaffung war eines der Wahlkampfthemen der SPD. Ernst-Dieter Rossmann, in der vergangenen Legislaturperiode bildungs- und forschungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag:

    "In unserem Wahlprogramm haben wir das stehen, in den zehn Punkten, die unser Konvent beschlossen hat, steht auch, dass es über das Grundgesetz neue Möglichkeiten der gemeinsamen Förderung für Schule und Hochschule geben soll, von daher ist uns das sehr wichtig!"

    Der Bund soll Hochschulen und Schulen finanzieren dürfen. Gäbe es diese Klarstellung im Grundgesetz, müsste der Bund seine Finanzierung nicht über Umwege leisten. So hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit einen Ausnahmetatbestand geschaffen, der es dem Bund "bei Katastrophen und unvorhergesehenen Ereignissen im Banken- und Umweltbereich" erlaubt, auch Schulen und Hochschulen zu finanzieren – einzig um Bundesmittel aus dem Konjunkturpaket II für die energetische Sanierung von Schulen und Hochschulen verwenden zu können. Ernst-Dieter Rossmann ärgert ein solches Prozedere:

    "Wenn wir das Grundgesetz ernst nehmen, dann dürfen wir es ja nicht immer zu umgehen versuchen. Wie einfach wäre es, wenn wir in einem guten Grundgesetz dieses dann souverän zwischen dem Bund und den Ländern vereinbaren könnten, statt immer solche geheimnisvollen Ersatzwege nutzen zu müssen. Und das ist eben die Hoffnung, die wir haben: Wir sind jetzt möglicherweise in einer Großen Koalition, bei der wir starke Einsicht aus dem Bundestag mit starker Einsicht aus den Bundesländern zusammenbringen könnten, um dann dort wieder eine gute Verfassung zu haben."

    Union will Verbot beibehalten
    Auch in der Union denken manche so – doch äußern sich öffentlich meist nur die, die in der Tagespolitik keine Rolle mehr spielen. Rita Süssmuth zum Beispiel, die langjährige Bundestagspräsidentin und heutige Präsidentin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes – sie sagte schon 2011:

    "Dieses Verbot ist für mich höchst problematisch, und wir sehen, hier müssen wir wieder eine klarere Regelung haben. Das Verbot ist eine klare Regelung, aber es ist wie ein Schweizer Käse! Und dieser Schweizer Käse wird laufend durchbrochen. Ob es frühkindliche Bildung ist, ob es Ganztagsschule ist, nehmen Sie den Hochschulpakt – ich könnte lauter Beispiele anführen, wo dieses Verbot sehr kunstgeschmiedet dann doch durchbrochen wird, deswegen denke ich, wenn die Praxis anders ist als die Theorie, dann sollte man in diesem Fall der Praxis folgen."

    Doch sind dies Einzelstimmen. CDU und CSU können mit dem Kooperationsverbot leben. Die unionsgeführten Länder Bayern, Sachsen und Thüringen beharren sogar auf ihrer Bildungshoheit: Nur die Länder, so das Hauptargument, könnten die Bedürfnisse ihrer Schulen und Hochschulen wirklich einschätzen, eine "zentrale Bildungspolitik" sei ein Unding; die in der Verfassung festgeschriebenen Aufgaben nicht mehr eigenständig wahrzunehmen, käme einer Selbstaufgabe gleich.

    Für Albert Rupprecht, seit 2009 bildungs- und forschungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, gibt es in dieser Hinsicht keinen Änderungsbedarf. Bund und Länder kooperierten erfolgreich. Er erinnert daran, dass die Große Koalition von 2005 bis 09 den Bildungsetat um sechs Milliarden, die schwarz-gelbe Koalition ihn um weitere 13 Milliarden Euro erhöht habe.

    "Das war nie eine Veranstaltung der Bundesebene alleine, sondern da ging es bei vielen Pakten, Themen genau darum: Zusammenarbeit mit den Ländern. Beispielsweise beim Hochschulpakt, beispielsweise Exzellenzinitiative und viele andere Themen mehr, wo wir in der Bildungspolitik in keinster Weise jetzt eine Zeitenwende brauchen, sondern im Grunde nur das, was im Übrigen auch international anerkannt wurde, insbesondere auch im Forschungsbereich: dass wir einen massiven Schritt hin zur Weltspitze wieder gemacht haben!, dass wir das weiterentwickeln, aber keine vollkommene Kursänderung, ganz im Gegenteil."

    Genau diese "Kursänderung" hingegen hält der SPD-Politiker Ernst-Dieter Rossmann für notwendig.

    "Es bleibt dabei, dass wir ja eine Verfassung wollen, die es souveränen politischen Kräften in Deutschland, den Ländern wie dem Bund, ermöglichen muss zu kooperieren. Ob sie dann kooperieren, das sollen sie dann doch in der Situation entscheiden. Weshalb wollen wir das über das Grundgesetz für die Zukunft ausdrücklich festlegen, dass sie nicht kooperieren dürfen? Das ist doch das, was niemand einsieht: das sogenannte Kooperationsverbot muss zu einer Ermöglichung verändert werden, also nicht sagen, was man nicht tun darf, sondern sagen, was gegebenenfalls getan werden kann."

    Rita Süssmuth (CDU)
    Rita Süssmuth: "Dieses Verbot ist für mich höchst problematisch." (Deutschlandradio - Bettina Straub)
    Angst vor zu viel Einfluss des Bundes
    Albert Rupprecht aber fürchtet, dass sich der Bund ohne das Kooperationsverbot zu sehr in der Bildungspolitik einmischt.

    "Wo die SPD Recht hat, ist, dass die Schulen und die Hochschulen in der Grundfinanzierung eine angemessene, gute Ausstattung brauchen. Die Frage ist nur: Was ist der Mehrwert und der Vorteil, wenn der Bund das Geld gibt? Ob das Geld von den Ländern kommt oder vom Bund – ist zunächst den Schulen und den Hochschulen mal egal. Wenn wir nicht den Wettbewerbsföderalismus hätten – was wäre denn nach dem PISA-Ergebnis damals passiert?"

    Gerade das wettbewerbliche System zwischen den Ländern habe doch zu großer Dynamik geführt. Rupprechts Überzeugung:

    "Nicht die Länderkompetenz bei der Bildung abzuschaffen, ist die Lösung, sondern den Wettbewerbsföderalismus zu stärken! Vergleichbarkeit herzustellen, Bildungsstandards zu vereinbaren – und dann in Länderzuständigkeit, in Länderverantwortung vor Ort die beste Lösung suchen."

    Der Präsident jener Kultusministerkonferenz, die diesen Wettbewerbsföderalismus vertritt, Stephan Dorgerloh von der SPD, Kultusminister Sachsen-Anhalts, sieht das ganz anders:

    "Das ist ja sehr deutlich auch im Kreis der KMK, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, insbesondere was den weiteren Ausbau der Inklusion angeht, was den Ausbau der Ganztagsschulangebots angeht, was den flächendeckenden Einsatz von Schulsozialarbeit angeht – das sind drei ganz wichtige Felder, das muss finanziert werden, da reden wir über einen ordentlichen, zweistelligen Milliardenbetrag, der zu investieren ist und zwar dauerhaft, und deswegen glaube ich, dass wir um eine Grundgesetzänderung in der kommenden Legislatur ernsthaft reden müssen, und die auch sehr frühzeitig auf den Weg zu bringen ist."

    Für welchen Weg die Regierungskoalition sich auch entscheide – Bund und Länder müssten "endlich in die Lage versetzt" werden, Gemeinschaftsaufgaben auch wirklich hinreichend finanzieren zu können, fordert Dorgerloh.

    "Für die Kultusminister ist wichtig, dass das Geld kommt, und dass es dauerhaft kommt und dafür auch verlässliche Regelungen da sind; man kann nicht einerseits bei der Inklusion die UN-Konvention unterzeichnen und denn die Länder aber mit den Kosten alleine lassen. Hier ist tatsächlich über die gesamtstaatliche Verantwortung beider Partner zu reden."

    Das Heft des Handelns liegt dabei für Ernst-Dieter Rossmann eindeutig beim Bund:

    "Und natürlich muss derjenige ran, der auch eine souveränere Finanzgestaltung machen kann. Und wir haben es nun in Deutschland immer noch so, dass die Steuergesetze vom Bund aus gemacht werden und von daher vom Bund aus auch die Einnahmesituation wesentlich mitgestaltet werden kann. Deshalb geht ja das Ringen darum, die Länder leistungsfähig zu halten in der Bildungsfinanzierung und den Bund leistungsfähig zu halten in der Begleitung der Länder in ihrer guten und besseren Bildungspolitik."

    Frage der Finanzen
    Darüber wird allerdings nicht bei den Bildungspolitikern, sondern in der Arbeitsgruppe "Finanzen, Haushalt und Bund- Länder-Finanzbeziehungen" verhandelt.

    "Und wenn es um die Frage der Grundfinanzierung geht: Wenn die Länder der Meinung sind, dass der gesamte Länderhaushalt überfordert ist, weil sie zu wenig Einnahmen haben, dann ist das eine Frage der Finanzbeziehung, aber nicht der Bildungspolitik."

    Grundsätzlich haben beide Koalitionäre angekündigt, ins Bildungssystem investieren zu wollen. Für Bundeskanzlerin Merkel gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre, die Schulden abzubauen sowie in Bildung und Forschung zu investieren. Das teilte sie in ihrer Videobotschaft Anfang Oktober mit.

    "Und wir müssen bei Forschung und Bildung investieren; wir müssen es schaffen, 3 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für Forschung auszugeben, damit wir innovativ bleiben und damit auch qualitativ gute Arbeitsplätze in Deutschland haben."

    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) freut sich über den deutlichen Wahlsieg der Union.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Wir müssen bei Forschung und Bildung investieren." (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Schuldenbremse muss eingehalten werden
    Das erklärte Ziel der Kanzlerin, 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bildung zu investieren, ist noch lange nicht in Sicht; wegen der guten Konjunktur sieht Albert Rupprecht aber durchaus Chancen, die Forschungsinvestitionen noch zu erhöhen.

    "Darüber hinaus sind wir der Ansicht, dass im Forschungsbereich wir von 3 Prozent auf 3,5 Prozent wachsen sollten, weil das im internationalen Wettbewerb notwendig ist. Wenn man diese 7 Prozent und 3,5 Prozent zugrunde legt, wären das in etwa 18 Milliarden Euro zusätzlich für die nächste Legislatur für Forschung und Bildung. Ob das möglich ist, werden die Verhandlungen zeigen, aber innerhalb des Rahmens wird man sich ein Stück bewegen müssen, und dann müssen wir als Fachpolitiker all unsere Wünsche und Themen durchdeklinieren und auch letztendlich mit Beträgen versehen. Weil eines ist klar: Die Schuldenbremse ist zu halten, da gibt’s kein Deuteln daran."

    Ein Zuwachs von 18 Milliarden Euro würde Ernst-Dieter Rossmann nicht ausreichen.

    "In der Perspektive hätten wir als SPD es gerne, wenn auf die nächsten vier Jahre zehn Milliarden zusätzlich an Finanzierung für die Länder ermöglicht wird und zehn Milliarden beim Bund ermöglicht werden. Und damit hätten wir die 20 Milliarden, die wir auch brauchen, um auf den Durchschnitt vergleichbarer Länder zu kommen in der öffentlichen Finanzausstattung für Bildung. Das ist die Ausgangslage, und an der Stelle werden wir sehr, sehr hart kämpfen und verhandeln."

    Wirkliche Kontroversen um Inhalte wird es zwischen den Verhandlungspartnern wohl nicht geben. Für die SPD, so Ernst-Dieter Rossmann, seien "extrem wichtig":

    "Die Fragen des Bafög, der sozialen Lage von Studierenden im umfassenden Sinne, die Ausstattung der Hochschulen, die Verbesserung der Gestaltungsmöglichkeiten von Schulen in Richtung Ganztagsschule und inklusive Schule und auch die Grundbildung."

    Wenig strittige Themen
    Die "Ziele und die Themen" seien "nicht groß strittig", so Albert Rupprecht von der CSU, nur "in Nuancen" gebe es "unterschiedliche Einschätzungen". Ein erstaunlicher Satz, erinnert man sich zum Beispiel an die früheren, mit ideologischer Härte geführten Debatten über Ganztagsschule.

    "Ganztagsschule, Inklusion und die anderen Themen – in der Sache stimmen wir überein: Wir brauchen diesen Ausbau, diese Weiterentwicklung. Die Frage ist nur noch mal: Welche Ebene wird federführend sich um welches Thema kümmern und es lösen? Es ist nicht zwingend so, dass wir zu jedem Thema das in gemeinsamen Paketen machen müssen. Das Subsidiaritätsprinzip ist bei jedem Thema zu prüfen und zu klären, inwieweit es von Mehrwert ist, wenn wir vonseiten des Bundes uns da mitengagieren."

    So viel inhaltliche Harmonie? Machen wir die Probe aufs Exempel beim Thema Bafög. Ernst-Dieter Rossmann erläutert die Position der SPD:

    "Wir brauchen eine Erhöhung der Fördersätze und auch eine Erhöhung der Freibeträge, zum Zweiten brauchen wir auch eine Anpassung des Bafög an veränderte Lebensverhältnisse, Lebensgewohnheiten, Studienverhältnisse. Die Altersgrenzen, bis zu denen man Bafög beziehen kann, sind nicht mehr angemessen. Wir haben festgestellt, dass in der Studienstruktur von Bachelor/Master es Lücken gibt in der Förderung, die aufgenommen werden müssen. Es gibt verstärkte Studienverläufe bei Menschen, die im Teilzeitverhältnis studieren und nicht Vollzeit, was dann auch auf das Bafög bezogen sein muss."

    Albert Rupprecht von der CSU widerspricht dem nicht:

    "Das Bafög muss natürlich weiterentwickelt werden, zum einen müssen die Sätze und die Freibeträge entsprechend den Preissteigerungen und Einkommensentwicklungen im Land angepasst werden – und zum Zweiten gibt es auch die Notwendigkeit, strukturelle Anpassungen beim Bafög vorzunehmen, beispielsweise Übergang vom Bachelor zum Master und andere strukturelle Themen, wo das Bafög einfach modernisiert werden muss."

    Komplizierte Bund-Länder-Beziehungen
    Unüberwindbar scheinen die Gegensätze wahrlich nicht zu sein. Das bildungspolitische Hauptthema der Koalitionsverhandlungen könnten tatsächlich die Bund/Länder-Beziehungen werden. Hier sind die Verhältnisse unübersichtlich. Als Voraussetzung für eine solide Kooperation wird der Bund auch in einer Großen Koalition darauf bestehen, dass die Länder sich auf Gemeinsames, Vergleichbares verständigen: bei den Bildungsstandards, den Abituraufgaben oder der Anerkennung von Ausbildungsbeschlüssen – doch genau das fällt den Ländern äußerst schwer. Beim Bund wiederum sitzt das Misstrauen tief, die Länder könnten Gelder für die Bildung zweckfremd einsetzen, um Haushaltslöcher zu stopfen.

    "Es kann auch nicht sein, wie wir es beim Kita-Ausbau erlebt haben, dass der Bund Gelder gibt, die Länder das vereinnahmen, sich vom Acker machen. Und deswegen sagen wir als Bildungspolitiker: Es braucht einen Zukunftspakt, eben genau dass der Schlüsselbegriff Kooperation zwischen Bund und Ländern, wo man sich auf gemeinsame Maßnahmen auch verpflichtet. Aber: mit klaren Verantwortlichkeiten. Überall dort, wo jeder für alles verantwortlich ist und letztendlich keiner, erleben wir, dass das eher zur Verwirrung führt als zu Lösungen."

    Ernst-Dieter Rossmann ist optimistischer, es gebe doch "hervorragende Gegenbeispiele". Das Vier-Milliarden-Ganztagsschulprogramm der Regierung Schröder etwa, mit dem zwischen 2003 und 2009 mehr als 8000 Ganztagsschulen geschaffen werden konnten oder der "Qualitätspakt Lehre" der Regierung Merkel, mit dem der Bund zwischen 2011 und 2020 rund zwei Milliarden Euro für gute Studienbedingungen an den deutschen Hochschulen zur Verfügung stellt - sehr genaue Abmachungen habe es jeweils gegeben, wie die Mittel in den Ländern ausgezahlt werden sollen: und sie seien alle eingehalten worden.

    "Ich glaube, dass, nicht auf den letzten Cent, aber im Wesentlichen sehr wohl: die Bundesmittel, die für Bildung in welcher Form auch immer – institutionell, über Programme, über Verwaltungsvereinbarungen - an die Länder, an die Bildungseinrichtungen in den Ländern gehen - dort gut ausgegeben werden und von daher diese Sorge, dass es am Ende die Lücken nicht schließt, sondern nur der Haushaltssanierung auf Umwegen dient, nicht berechtigt ist."

    "Schüler als Versuchskaninchen"
    Der Bund solle die Bildungsziele definieren, sagte kürzlich Hubertus Pellengahr von der arbeitgebernahen "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", wie die Ziele zu erreichen wären, das sei dann Sache der Länder.

    "Wir können uns diesen Flickenteppich, den wir im Moment haben, diese Experimentierwiese und Schüler als Versuchskaninchen zu missbrauchen – das können wir uns ganz sicher nicht länger leisten. Wir brauchen jeden. Bildung hat etwas mit Chancengerechtigkeit und Teilhabe zu tun. Das ist ein wichtiges Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft. Deshalb kommt der Bildungspolitik hier auch die Schlüsselrolle zu: Wir werden unseren Wohlstand nicht halten können, wenn wir die Potenziale nicht nutzen, die heute noch verschenkt werden, weil Schüler keinen Abschluss machen, weil Jugendliche keine Berufsausbildung haben."

    Ob mit oder ohne Kooperationsverbot – die möglichen Koalitionspartner halten gleichermaßen die Bildungs- und Forschungspolitik für eines der wichtigsten Politikfelder der kommenden Jahre. Sagen sie jedenfalls. Insofern sollte man einen großen Entwurf erwarten dürfen – ist es doch bis zur "Bildungsrepublik Deutschland" noch ein sehr weiter Weg.