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Zwischenbilanz der Greencard-Regelung

Gerner: Vor einem Jahr wurde die erste Greencard ausgestellt. Es sollten eigentlich 20.000 Computerspezialisten nach Deutschland kommen. Allerdings, wenn man sich die Zahlen vor Augen hält, die die Bundesregierung veröffentlicht hat, dann sind bislang nicht einmal die Hälfte der Spezialisten da - 8.556, um genau zu sein. Ich habe Hans-Olaf Henkel, Vizepräsident des BDI und Mitglied in der Zuwanderungskommission von Rita Süßmut gefragt, ob die Greencard deshalb ein Misserfolg sei.

    Henkel: Nein, überhaupt nicht. Die Zielsetzung war 20.000 über einen Zeitraum von über zwei Jahren. Die Periode läuft ja erst Ende des nächsten Jahres aus, und da sind eigentlich 8.000 eine ganz gute Zahl und man kann - glaube ich - diese ganze Diskussion um diese Greencard nicht nur an diesen Zahlen messen, sondern sie hatte ja interessante Nebeneffekte.

    Gerner: Nämlich?

    Henkel: Nun ja, zum Beispiel, dass in Deutschland seit der Diskussion über Zuwanderung viel nüchterner diskutiert wird. Die Zuwanderungskommission, der ich ja angehörte, wie Sie zu recht sagten, wäre nach meiner festen Überzeugung ohne diese vorangegangene Greencard-Diskussion überhaupt nicht aufgesetzt worden. Übrigens sind seit der Diskussion um die Greencard die Hörsäle für Informatik in Deutschland wieder voll, sie waren vorher halb voll - oder halb leer, wenn Sie wollen.

    Gerner: Die Wirtschaftsbosse haben letztes Jahr gesagt, es fehlen uns 100.000 Computerexperten. Ist der Bedarf überschätzt worden?

    Henkel: Das ist möglich. Aber ich glaube nicht, dass das das Problem ist. Wir erkennen doch ganz deutlich, dass Deutschland Schwierigkeiten hat, attraktiv zu sein für diese Art von Spezialisten. Das hat ein paar objektive Gründe, die man nachvollziehen kann - zum Beispiel: In Deutschland wird natürlich deutsch gesprochen, und Inder oder Bulgaren sprechen erst einmal ihre eigene Heimatsprache, und die zweite Sprache, die sie dann können, ist meistens englisch. Und sie werden ja überall gesucht. Großbritannien sucht Informationstechniker; in den Vereinigten Staaten werden ca. 600.000 Informationstechniker gesucht, obwohl dort die Konjunktur im Augenblick nicht so stark ist. Also, Deutschland befindet sich im Wettbewerb um diese Leute, und da ist die Sprache ein Problem. Aber ich vermute mal, es gibt noch viel größere.

    Gerner: Ist nicht ein Grund für die Zahl, die nicht einmal 10.000 beträgt - ich nannte sie eben auch -, dass zögerlich die Arbeitserlaubnis nur auf 5 Jahre begrenzt wird. Das klingt so, als ob man den neu Zugekommenen halbherzig nur eine neue Heimat geben will.

    Henkel: Das ist richtig. Ich halte das auch für falsch, und der Vorschlag der Zuwanderungskommission war ja auch, für eine begrenzte Anzahl von Spezialisten diese Periode der Testzeit aufzuheben. Denn es kommt hier jemand her mit seiner Frau, hat vielleicht zwei Kinder - oder eine Frau mit ihrem Mann -, und die sollen nach fünf Jahren wieder weg oder sie sind nicht so sicher, ob sie bleiben dürfen. Diese Restriktion gibt es in Amerika nicht.

    Gerner: Die Bundesregierung rechnet vor: Ein Computerexperte schafft zwei bis drei zusätzliche Arbeitsplätze im Durchschnitt. Nun haben wir in den letzten Wochen und Monaten eine erhebliche Anzahl von Firmenpleiten in der IT-Branche erlebt. Kann man diese Rechnung noch guten Gewissens aufrecht erhalten?

    Henkel: Also - ja, was heißt Firmenpleiten? Also selbstverständlich ist das sicherlich auch ein Grund, warum im Augenblick der Bedarf an diesen Greencards nicht so hoch ist, wie er noch vor einem Jahr eingeschätzt wurde. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir in Deutschland einen großen Mangel an hochqualifizierten Leuten haben. Die Industrie klagt ja heute trotz vier Millionen Arbeitsloser immer noch darüber, dass 1,5 Millionen Arbeitsplätze einfach nicht besetzt werden. Ich meine, das ist die Realität. Und wir müssen auch sehen, dass es große regionale Unterschiede in unserem Land gibt. Also, in Bayern werden Sie als Informatiker und Kommunikationstechniker sofort eine Stelle finden, das ist in Mecklenburg-Vorpommern natürlich etwas anders.

    Gerner: Die FDP schlägt jetzt vor, großzügiger als SPD und Union vorzugehen, die Beschränkung nach Hochqualifizierten zu lockern. Reichen uns da die 60.000, die die Süßmut-Kommission vorschlägt, aus?

    Henkel: Also, wir sollten uns an Zahlen nicht festlegen, denn der Charme an dem Vorschlag unserer Kommission ist ja folgender, dass wir ein System vorschlagen, das flexibel reagiert. Mit anderen Worten: Einmal im Jahr wird der Bedarf an Fachkräften festgelegt, und dann wird entsprechend eine Quote für dieses Jahr festgelegt. Das kann 10.000 sein, das können auch mal 20.000 sein - oder vielleicht sogar mal 30.000. Und dieser Bedarf schwankt, und den vorauszusagen und vorauszusehen, das kann man nicht, denn wir sprechen hier mit viel zu vielen Variablen - es hängt davon ab, wieviel Menschen aus EU-Ländern kommen, denn wir reden hier nur von Menschen außerhalb der EU bei diesen Quoten, es hängt davon ab, wieviel Leute in Deutschland in diesen Fachrichtungen ausgebildet werden - wie gesagt, wir haben zu wenig Ingenieure, Mathematiker, Physiker und Chemiker zur Zeit, dass kann sich aber ändern. Es hängt auch davon ab, ob ausländische Studenten, wenn sie denn wieder nach Deutschland kommen, hier bleiben dürfen, um sozusagen hier weiter ihr Glück zu machen, nachdem sie hier schon studiert haben. Es hängt von so viel Variablen ab, deshalb kann man nicht schätzen.

    Gerner: Ohne Beschränkung in das Land gelassen werden sollen ja in Ihrem Papier Existenzgründer. Da heißt es, die sollen lediglich eine 'tragfähige' Geschäfts-Idee vorweisen. Bei allen anderen soll es Beschränkungen geben. Schafft das nicht Klassen von Ausländern, und sagt das nicht etwas über unsern wirtschaftsorientierten Ansatz? Die Ausländerbeiräte kritisieren ja 'in Eurem Konzept' sagen sie der Süßmut-Kommission, 'sind wir reine Wirtschaftssubjekte'.

    Henkel: Nein, nein. Man darf es nicht vergessen: Wir sind innerhalb der Europäischen Union mit 8,9 Prozent Ausländeranteil heute schon ein Land mit relativ hohem Ausländeranteil, und wir haben heute schon Integrations-Probleme, die gelöst werden müssen. Und dazu haben wir eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Es beginnt zum Beispiel mit dem sanften - aber klaren - Druck, die deutsche Sprache zu sprechen. Und wir wissen auch, dass wir Zuwanderung aus anderen Bereichen bekommen werden in der Zukunft, so wie wir sie auch in der Vergangenheit hatten. Ich denke hier an diejenigen, die in Russland noch leben - an diejenigen, die das Recht haben, nach Deutschland zu ziehen. Das könnten ja einige Hunderttausend sein in den nächsten 10 Jahren, obwohl es in der letzten Zeit nicht mehr sehr viele waren. Also es gibt überall Bedarf, die Integration der Ausländer zu fördern, völlig unabhängig davon - wobei ich sagen muss: Diejenigen, die jetzt ins Land gelassen werden sollen aufgrund ihrer Qualifikation, die haben wahrscheinlich den geringsten Integrationsbedarf.

    Gerner: Innerhalb der CDU erscheint ja noch nicht wenigen Einwanderung vielfach als Quelle von Problemen.

    Henkel: Ja, das kommt darauf an, welche Einwanderung. Bisher haben wir eigentlich immer nur Probleme deshalb bekommen, weil sich die Einwanderer das Land ausgesucht haben. Diese Kommission - die Süßmut-Kommission - hat zum erstenmal einen Vorschlag gemacht, wie Deutschland mal sich die Einwanderer aussuchen kann . . .

    Gerner: . . . da kann man auch sagen, wir machen sie uns verfügbar . . .

    Henkel: . . . so ist es. Und ich glaube, das ist das gute Recht eines Landes, zumal es ja sehr viele Menschen gibt, die tatsächlich ihr Glück woanders suchen wollen und das ja auch erfolgreich unter Beweis gestellt haben. Wir haben uns die Erfahrung in Amerika angekuckt, in Kanada, auch in Australien, Neuseeland, und wir wissen, dass wir im Wettbewerb auch mit Frankreich zum Beispiel um solche Arbeitskräfte stehen. Es ist also wirklich entscheidend, dass Deutschland hier eine offene Gesellschaft bleibt, denn ich persönlich glaube, Deutschland ist offen gegenüber Ausländern. Und wir müssen eben zusätzlich zu den bestehenden Konzepten auch ein Konzept entwickeln - das haben wir vorgeschlagen -, das es Deutschland erlaubt, auch von sich aus die Qualifikation derjenigen zu bestimmen, die zu uns kommen, und nicht nur umgekehrt.

    Gerner: Aus dem Schily-Ministerium gibt es Töne, die Aufenthaltsgenehmigungen für anerkannte Asylbewerber nach zwei Jahren zu überprüfen. Wird das Grundrecht zum 'Gnadenrecht'?

    Henkel: Nun bin ich zufälligerweise - oder auch nicht - Mitglied von Amnesty International und habe mich in dieser Kommission, wie einige andere auch, nicht dafür ausgesprochen, das Asylrecht in Deutschland irgendwie zu verwässern. Und ich glaube, wir schulden es auch unserer Geschichte und sollten dran festhalten. Und ich bin auch sehr froh darüber, dass sowohl die CSU als auch die CDU zum Beispiel Pläne, die einige ihrer Vertreter am Anfang der Diskussion einmal hatten, nämlich dies Grundrecht auf Asyl zu ändern - ich rede hier von Artikel 16 a GG -, dass die fallengelassen wurden. Das scheint jetzt parteiübergreifend tatsächlich gemeinsame Position zu sein. Und ich finde, wir sollten es dabei belassen.

    Gerner: Aber wie bewerten Sie denn diese zwei Dinge, die Schily und seinem Ministerium zugeschrieben werden. Ist das das Bemühen, eine Mehrheit für das Gesetz komme . . .

    Henkel: . . . ich vermute mal. Also ich glaube, dass natürlich vor allem die SPD ziemlichen Respekt vor der Möglichkeit hat, dass sie sozusagen auf dem 'falschen Fuß' von den CDU- bzw. CSU-Politikern erwischt werden kann, die ihnen vielleicht eine zu laxe Einstellung gegenüber Scheinasyl usw. vorwerfen können. Also hier belauern sich ganz offensichtlich die beiden großen Parteien. Niemand will den Populisten eine Blöße geben. Und ich glaube, dass deshalb Schily auch nicht ungeschickt taktiert, denn letzten Endes geht's ja um ein Ergebnis, was möglicherweise im Bundestag von allen Parteien getragen wird. Und das ist natürlich seine Aufgabe; das konnte nicht die Aufgabe der Süßmut-Kommission sein.

    Gerner: Was heißt das für den Wahlkampf?

    Henkel: Ja, also ich hoffe nichts. Ich hoffe, dass wir in der Lage sind, noch in diesem Jahr ein Gesetz zu bekommen, was dann tatsächlich auch die Übereinstimmung der CDU und der CSU findet, und dann auch vom Bundestag so rechtzeitig verabschiedet wird, dass wir im Wahlkampf nicht gegenseitig anhören müssen, wer nun ausländerfeindlicher ist oder wer der Ausländerfreundlichste ist.

    Gerner: Ein Jahr Greencard und die Frage: Wieviel Zuwanderung braucht Deutschland? Hans-Olaf Henkel war das, stellvertretender BDI-Chef und Mitglied der Zuwanderungskommission von Rita Süßmut.

    Link: Interview als RealAudio