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Zypern
Flüchtlingsinsel in Not

In keinem EU-Land suchen derzeit so viele Geflüchtete Asyl wie auf der Mittelmeerinsel Zypern. 2018 waren es 8.000 Menschen - 70 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die größte Gruppe kommt aus Syrien. Sie erreichen das Land entweder per Boot oder über den türkischen Teil der Insel.

Von Michael Frantzen | 12.07.2019
Ein zyprischer Offizier zeigt einer schwarzgekleideten Frau mit drei Kindern in einem Flüchtlingscamp den Weg.
Seit andere Wege dicht sind, wird die Route nach Zypern bei Flüchtlingen beliebter. (imago / Xinhua, Christos Theodorides)
Ein Papierfetzen: Er ist Ahmed Ibrahims letzte Hoffnung. Nicosia, die zyprische Hauptstadt. Das Büro des "Flüchtlingsrats Zyperns", der Hilfsorganisation. Wortlos stopft der syrische Asylbewerber den Streifen mit der Nummer des UN-Flüchtlingshilfswerks in seine Hosentasche. Eigentlich hatte der gelernte Maurer gehofft, dass ihm die NGO helfen könnte herausfinden, was mit seinem Asylbescheid ist. Stattdessen nur eine Telefonnummer. Das neue Leben des 34-jährigen: Es steht unter keinem guten Stern.
"Seit sechs Monaten warte ich jetzt schon auf meine Papiere. Ohne die darfst du als Asylbewerber in Zypern nicht arbeiten. Ein paar Mal habe ich bei den Behörden nachgefragt. Doch es ist immer das gleiche: Sie vertrösten dich. Es tut sich nichts."
7760 Geflüchtete haben letztes Jahr auf Zypern Asyl beantragt – 69 Prozent mehr als 2017. Kein anderes EU-Land hat prozentual – also im Verhältnis zur eigenen Bevölkerung - so viele Flüchtlinge aufgenommen wie die Mittelmeerinsel. Die meisten stammen aus Syrien, gefolgt vom Irak und afrikanischen Ländern wie dem Kamerun und Nigeria. Sie kommen per Boot – oder über den türkisch-besetzten Teil der Insel.
Zypern tut sich schwer mit seiner neuen Rolle
Zypern als neues Lampedusa Europas: Weil die meisten anderen Fluchtrouten dicht sind und Syrien keine zweihundert Kilometer entfernt liegt: Das Land tut sich schwer mit der neuen Rolle. Das muss man Corina Drousiotu nicht zwei Mal sagen. Natürlich weiß auch die Chefin des "Flüchtlingsrats", dass sich auf Behörden-Schreibtischen über 8000 unbearbeitete Asylanträge stapeln. Unterkünfte fehlen.
"Wir haben ein Riesen-Wohnungsproblem. Überall siehst du obdachlose Geflüchtete. Asylbewerber bekommen zwar einen Mietzuschuss, doch der beträgt monatlich nur hundert Euro. Damit findest du keine Wohnung. Und zurück ins Erstaufnahmelager?! Ist auch keine Option. Es gibt ja nur eines für Erwachsene. Ein völlig überfülltes."
"Wir haben nicht genug Platz für alle. Die Flüchtlinge sind für ein kleines Land wie Zypern ein kolossales Problem. Bei den aktuellen Zahlen: 1000 Asylbewerber im Monat: Wie soll ich da planen? Es übersteigt unsere Aufnahmefähigkeit..."
...konstatiert der zyprische Innenminister Konstantinos Petrides. Gibt es Hilfe von den anderen EU-Ländern? Der Konservative schüttelt den Kopf: Gibt es keine. Zumindest die Brüsseler EU-Kommission springt ein. Mit knapp vierzig Millionen Euro, 29 Dolmetschern und Fachleuten.
Kaum Stellen und Geld für Hilfesuchende
Gosia Chrisantou ist auf den Innenminister nicht gut zu sprechen. Für die Leiterin der Caritas-Beratungsstelle für Geflüchtete ist Petrides kein Getriebener, sondern ein Zyniker.
"Er macht das mit Absicht. Ich muss nur wiedergeben, was er und andere offen sagen: Wir wollen keine Bedingungen schaffen, die so attraktiv sind, dass noch mehr Geflüchtete kommen. Wir wollen sie abschrecken."
Aus drei Leuten besteht Gosia Chrisantous Team. Für mehr reicht das Geld nicht. 120 Hilfesuchende schauen täglich in der Beratungsstelle vorbei. Malaki Ani ist einer von ihnen.
"Ich komme jeden Morgen hierher. Meine ganzen Sachen sind in diesem Rucksack. Ich habe ja keine Wohnung. Es ist schlimm. Manchmal denke ich, mein Kopf platzt."
Seit einem Monat ist der 28jährige Nigerianer in Zypern – und auf sich allein gestellt. Zehn Minuten sind es zu Fuß von der Caritas bis zum Park unterhalb des Busbahnhofs.
"Die Bank da: Das ist mein "Bett." Siehst du?! Auf der Seite schlafe ich. Meist bleibe ich auch tagsüber im Park."