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Zypern-Hilfspaket von Eurogruppe "dilettantisch geschnürt"

Zyperns Nein zur geplanten Zwangsabgabe auf Bankguthaben sei zu erwarten gewesen, meint FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Angesichts der politischen Dynamik hätte die Eurogruppe das Hilfspaket zu spät angepasst. Trotzdem sei es jetzt an Zypern, Brüssel einen akzeptablen Vorschlag zu machen.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Das Rettungsgeld der Europäischen Union wollen die Zyprer nicht, jedenfalls nicht unter den gegebenen Bedingungen. Nicht ein einziger Abgeordneter wagte gestern, mit Ja zu stimmen und damit die Zwangsabgaben für Kleinsparer und Großinvestoren anzunehmen. Stattdessen richten sich ihre Hilfe suchenden Blicke nach Russland und China, ihren bisherigen Partnern also entgegen, deren Superreiche bereits Milliarden auf Zypern investiert haben, und deren Politiker schon mehrfach mit Notkrediten aushalfen. Doch noch heißt es verhandeln und warten, in Russland, aber auch in Zypern selbst.

    Den Deutschen Aktienindex, den lässt die Zypernkrise offenbar kalt. Er legt sogar zu um 0,4 Prozent an diesem Mittag. Mehr dazu hören Sie dann auch in unserer Wirtschaftssendung ab 13:35 Uhr hier im Deutschlandfunk. Die politischen Reaktionen, die fallen jedoch ziemlich enttäuschend aus: sowohl bei den europäischen Partnern in Brüssel als auch in der Bundeshauptstadt, in Berlin.

    Am Telefon begrüße ich den liberalen Europaabgeordneten Alexander Graf Lambsdorff. Guten Tag, Herr Lambsdorff!

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Tag, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Bereits gestern Mittag hat Zyperns Präsident von einer Überraschung für Brüssel gesprochen. Waren Sie überrascht, als Sie von der Entscheidung des Parlaments gehört haben?

    Graf Lambsdorff: Ich war nicht davon überrascht. Nach den Unruhen, die es zuvor gegeben hatte, war ja klar, dass sich in diesem Parlament keine Mehrheit finden würde. Das Einzige, was vielleicht überrascht hat, war, dass es keine einzige Ja-Stimme für diesen Vorschlag gegeben hat, aber ansonsten war das ja zu erwarten gewesen nach den Ereignissen des Tages.

    Dobovisek: Nicht überrascht, aber enttäuscht?

    Graf Lambsdorff: Ja, enttäuscht schon, denn man hatte ja das Paket so weit modifiziert, dass die Kleinsparer ausgenommen werden sollten, was nach Lage der Dinge auch vollkommen richtig war. Das Paket war am Anfang dilettantisch geschnürt worden von der Euro-Gruppe, und man hat es dann modifiziert. Das war aber zu spät, angesichts der politischen Dynamik.

    Dobovisek: Dilettantisch geschnürt – wer hat da also geschlafen?

    Graf Lambsdorff: Das ist eine gute Frage, denn ich glaube, dass diese Verfahren, wie das im Hinterzimmer in Brüssel dann ausgehandelt wird, auch mal geprüft werden müssten. Ganz offensichtlich hat man ja hier eine rein mechanische Betrachtung dieses Pakets gemacht, man hat es als ein reines Zahlenwerk aufgefasst, und man hat dann einen Vorschlag gemacht, der wirklich das Vertrauen in die Einlagen in ganz Europa, in die Bankeinlagen in ganz Europa erschüttert hat und der in Zypern für große Unruhe gesorgt hat.

    Ob da jetzt die Euro-Gruppe und ihr Vorsitzender Dijsselbloem verantwortlich sind, ob die EZB beteiligt war, welche Rolle der Internationale Währungsfonds gespielt hat, all das sind Fragen, die wir in den nächsten Tagen klären müssen.

    Dobovisek: Hinter diesen Zahlen stehen auch immer Menschen, und die Menschen auf Zypern, die wenden sich jetzt ganz offensichtlich Russland zu. Betont gelassen zeigte sich gestern Abend Zyperns Finanzminister Sarris, als er zu Gesprächen in Moskau eintraf.

    O-Ton Michalis Sarris: "Wir müssen über eine ganze Reihe von Themen mit der russischen Regierung reden. Es geht darum, unsere Beziehungen zu festigen. Wir gehen durch schwierige Zeiten, deshalb wollen wir mit unseren Freunden reden und sehen, wie wir zusammenarbeiten können, um aus dieser schwierigen Situation herauszukommen."

    Dobovisek: Kann Europa es sich leisten, dass sich das Euroland Zypern damit von Europa abwendet?

    Graf Lambsdorff: Also das wäre in der Tat eine besorgniserregende Entwicklung, wenn Moskau Sitz und Stimme in der Eurogruppe bekommen würde über Alliierte in Nikosia. Das kann nicht eine Entwicklung sein, die wir gut finden können.

    Dobovisek: Ist das denn Ihre Vermutung, dass Russland als Marionettenspieler hinter der Marionette Zypern sitzen würde?

    Graf Lambsdorff: Nun, ich sage mal so: Zypern hat einen Finanzierungsbedarf von ungefähr 17 Milliarden Euro. Die Russen haben einen Kredit von ungefähr zweieinhalb Milliarden Zypern bereits gegeben, der soll verlängert werden, die Zinsen sollen gesenkt werden. Wenn Herr Sarris da mit den Russen über andere Dinge spricht, dann ist es natürlich so, dass Russland seinen Einfluss steigern könnte auf der Insel. Das ist etwas, was wir schon sehr genau beobachten müssen.

    Dobovisek: Wie hoch könnte der Preis sein, den Moskau verlangt?

    Graf Lambsdorff: Nun, Zypern ist ja in einer Situation, in der die Finanzen zwar in einer schwierigen Lage sind, aber auf der anderen Seite hat es gerade ein sehr großes Gasvorkommen direkt vor seiner Küste entdeckt. Das ist etwas, was für Moskau interessant ist. Also ich könnte mir durchaus vorstellen, dass, ähnlich wie Mexiko das mal mit den Vereinigten Staaten gemacht hat, Zypern und Russland auch über die Frage der Ausbeutung dieser Gasvorkommen reden werden.

    Dobovisek: Was wäre schlecht daran?

    Graf Lambsdorff: Nun, daran wäre zunächst einmal nichts schlecht. Die Frage ist einfach die, ob Nikosia dann nach Moskaus Pfeife tanzen würde und die Entscheidungen in der Eurogruppe, die Entscheidungen der Europäischen Zentralbank unter einen zumindest indirekten Einfluss Moskaus geraten könnten.

    Da muss man allerdings die Kirche auch ein wenig im Dorf lassen. Zypern ist ein kleines Land, Zypern hat also einen sehr überschaubaren Einfluss in diesen Gremien. Dennoch ist es eine Entwicklung, die wir wirklich sehr genau beobachten müssen.

    Dobovisek: Der Bankensektor mit seinen Großinvestoren ist Zyperns wichtigster Wirtschaftszweig. Eine Zwangsabgabe würde diesen faktisch zerschlagen. Hat die EU mit ihrer Forderung zu hoch gepokert?

    Graf Lambsdorff: Ich glaube nicht, dass die EU hier zu hoch gepokert hat. Das zyprische Wirtschaftsmodell mit diesem wirklich absolut aufgeblähten Bankensektor ist eines, das nicht nachhaltig ist, das zulasten anderer geht. Das ist ja auch in den vergangenen Jahren schon öfter kritisiert worden. Ich glaube, dass dieses Geschäftsmodell zu beenden, oder zumindest wieder auf ein Normalmaß zurechtzustutzen, etwas ist, das im europäischen Interesse liegt, langfristig wahrscheinlich sogar im Interesse der Zyprer selber.

    Dobovisek: Aber das kann ja nicht von heute auf morgen geschehen, wenn damit gleichzeitig die Wirtschaftsgrundlage dieses ganzen Landes abgedreht werden würde.

    Graf Lambsdorff: Nun, wenn die Wirtschaftsgrundlage aber der Finanzsektor ist, dann ist ein Land immer verwundbarer gegenüber Krisen. Wir sehen das im Vereinigten Königreich, wir sehen es in Irland, wir haben es in Spanien gesehen. Sobald ein Finanzsektor aufgebläht ist, sobald es künstliche Blasen gibt, ist ein Land verwundbar, und wir wollen widerstandsfähige Länder in der Eurozone haben. Insofern bin ich der Meinung, dass das mittelfristig zumindest der richtige Weg ist für Zypern, sich auf ein anderes Geschäftsmodell einzustellen.

    Dobovisek: Wie sollte sich jetzt Europa an dieser Stelle noch einmal neu sortieren, um vielleicht Zypern ein neues Angebot zu unterbreiten?

    Graf Lambsdorff: Ich glaube, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Zypern hat das Angebot der Eurozone zurückgewiesen. Es ist jetzt an Zypern, einen Vorschlag zu machen und mit einem solchen Vorschlag nach Brüssel zu kommen, ein Vorschlag, der akzeptabel ist für die anderen Länder der Eurozone, für die Europäische Zentralbank, für die Kommission, den IWF, aber vor allem auch für die zypriotische Bevölkerung, denn wenn man die nicht mitnimmt, dann passiert das, was wir jetzt in dieser Woche gesehen haben.

    Dobovisek: Ja, dann passiert nämlich genau das, dass sich Zypern Russland, möglicherweise auch China zuwendet. Die Kirche soll auch mit im Spiel sein. Das ist also alles nicht das, was Europa sich wünschen würde. Also müsste sich, noch mal die Frage, Europa auch noch bewegen?

    Graf Lambsdorff: Nun, wenn Zypern ein Angebot macht, das akzeptabel ist, in dem die Beteiligung Zyperns selber an dem Paket in Höhe von 5,8, so war es ja zuletzt, oder sechs Milliarden Euro gewährleistet wird, dann kann Europa sich auch bewegen, was die Modalitäten angeht. Der Punkt ist nur der, dass die Ansage ganz klar ist, Europa ist nicht bereit, länger hinzusehen, dass Zypern mit einem nicht nachhaltigen Geschäftsmodell operiert, zulasten anderer europäischer Mitgliedsstaaten, wenn es in Schieflage dann gerät, die Hilfe dieser Mitgliedsstaaten in Anspruch nimmt, aber nicht bereit ist, ein eigenes Modell zu modifizieren. Ich glaube, das ist eine Botschaft, die in Brüssel nicht ankommen wird, und darauf muss sich Nikosia auch einstellen.

    Dobovisek: Woher könnte denn Zypern das Geld nehmen, wenn nicht von den Anlegern, also von den Sparern, oder auch aus Russland?

    Graf Lambsdorff: Also ich habe es ja eben gesagt: Zypern hat ein großes Gasfeld direkt vor seiner Küste entdeckt. Ich glaube, das wird eine neue wichtige Einnahmequelle für den zypriotischen Staatshaushalt werden. Zypern ist ein Land mit Tourismus, mit Landwirtschaft und mit auch Industrie. Also insofern: Es gibt durchaus Wirtschaftszweige auf der Insel, mit denen man arbeiten kann. Der Bankensektor ist künstlich aufgebläht, dadurch besonders verwundbar, und das sehen wir jetzt.

    Dobovisek: Das Erschließen der Gasfelder, so ist zumindest mein Stand des Wissens, wird noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Wäre denn die Europäische Union, wären Sie möglicherweise bereit, zumindest überbrückend zu helfen?

    Graf Lambsdorff: Nun, die Europäische Union ist ja bereit zu helfen. Vergessen wir bitte nicht, dass hier über ein Paket geredet wird von zehn Milliarden Euro für eine Insel, auf der weniger Menschen leben als in der Stadt Köln. Also dass hier Europa nicht helfen würde, das ist eine falsche Vermutung. Europa hilft, aber Europa erwartet von Zypern eine Gegenleistung, und es erwartet ein Umstellen des Geschäftsmodells auf eine vernünftige nachhaltige Wirtschaftspolitik.

    Dobovisek: Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff über die vertrackte Zypernrettung. Vielen Dank für das Gespräch.

    Graf Lambsdorff: Ich danke Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.