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Zypern-Konflikt
Wie ein Nord-Süd-Paar mit der Grenze umgeht

Zwischen Nord- und Südzyprern gibt es Freundschaften und Liebesbeziehungen. Aktuell sind allerdings die Grenzen weitgehend geschlossen. Die Menschen befürchten, dass das so bleibt. Denn während sie sich mehr Nähe wünschen, wachsen die Spannungen zwischen beiden Teilen der Insel.

Von Manfred Götzke |
Eno und Kaan küssen sich
Eno und Kaan - ein zyprisches Liebespaar, das Grenzen überwindet (Deutschlandradio/ Manfred Götzke)
"Siehst du die blaue Linie hier auf der Straße? Die führt direkt zum Checkpoint."
Eno schiebt ihr Fahrrad durch die Fußgängerzone des türkisch-zyprischen Teils von Nicosia. Gleich seien wir an der Grenze, die sie normalerweise jeden Tag mehrmals überquert, erzählt die 19-Jährige. Der Checkpoint an der Ledra-Straße mitten in der geteilten Hauptstadt Zyperns. Heute versperren Eisenbarrieren den Durchgang. Anfang März hat die griechisch-zyprische Regierung vier von neun Checkpoints auf der geteilten Insel dicht gemacht. Darunter den zentralen Übergang im Herzen der Stadt.
"Es bricht mir das Herz, dass die Regierung die Menschen an die Zeiten erinnert, als wir noch gar keinen Zugang zueinander hatten", sagt Eno. "Um diese Beziehungen herzustellen, die für mich einfach Alltag sind."
Absperrgitter am geschlossenen Checkpoint an der Ledra Straße in Nicosia im Süden Zyperns
Der Süden Zyperns schließt Grenzübergänge
In ganz Europa sind Grenzen wegen der Corona-Krise plötzlich geschlossen worden, ohne Protest. Auch auf Zypern haben Grenzübergänge dicht gemacht. Doch hier protestierten die Menschen, denn sie vermuten andere Gründe.
"Ich bin stolz, dass ich auf beiden Seiten lebe"
Eno ist griechische Zyprerin, die schlanke junge Frau mit den schwarzen Locken lebt bei ihren Eltern auf der anderen Seite, direkt hinter dem Checkpoint. Doch sie arbeitet auf dieser Seite der Stadt. Und oft übernachtet sie auch in diesem Teil Nicosias, bei ihrem Freund. Dass die Verbindung nun gekappt ist - für sie eine mittlere Katastrophe.
"Ich bin wirklich stolz, dass ich auf beiden Seiten meines Landes lebe. Weil es immer noch viel zu viele Missverständnisse übereinander gibt. Ich habe selbst auch Freunde, die mit der Angst vor der anderen Seite, vor den türkischen Zyprern aufgewachsen sind. Aber ich – ich mag es hier einfach.
Schriftzug "Your wall can not divide us" - "Eure Mauer kann uns nicht trennen" - an der Grenze zwischen Nord- und Südzypern, die durch die Stadt Nicosia verläuft
Schriftzug in Nicosia, der letzten geteilten Hauptstadt der Welt (Deutschlandradio/ Manfred Götzke)
Beide sind Zyprer, sprechen aber Englisch miteinander
Wir biegen in eine Seitengasse voller kleiner Straßencafés und Kneipen. An diesem lauen Abend Anfang März – noch Tage vor dem Corona-Shutdown – ist hier fast alles dicht. In den Läden brennt kein Licht, die Jalousien runter gezogen. Die Touristen von der anderen Seite fehlten, sagt Eno. Nur im Café "Hoi Polloi" sitzen ein paar Leute Anfang 20 bei Bier und zyprischem Grappa. Eno steuert auf einen der Außentische zu – gibt ihrem Freund einen Kuss auf die Wange, schmiegt sich an ihn. Eigentlich ein normales Liebespaar - doch irgendwie auch wieder nicht: Obwohl beide auf der Insel geboren wurden, sprechen sie Englisch miteinander. Denn er ist türkischer Zyprer – und sie griechische Zyprerin.
"Es ist wirklich etwas ganz Besonderes", sagt Kaan. "Ich hatte vorher türkisch-zyprische Freundinnen oder Freundinnen aus dem Ausland. Aber mit jemandem zusammen zu sein, dessen Kultur..." - "...fast identisch ist", fügt Eno hinzu - "und gleichzeitig anders. Es gibt so viel, was ich von ihr lerne, Sprache, kleine kulturelle Dinge. Es schafft einfach etwas Neues, etwas Schönes", schwärmt Kaan. "Und gleichzeitig sprechen wir nicht mal dieselbe Sprache", sagt Eno.
Offene Grenzen für die Jugend selbstverständlich
Eno und ihr Freund Kaan waren Kinder, als 2003 der erste Checkpoint zwischen der Republik Zypern und dem von der Türkei besetzten Norden geöffnet wurde. Sie gehören zur ersten Generation, für die offene Grenzen auf der geteilten Insel selbstverständlich sind. Jeden Tag wechseln sie die Seiten, gehen hier oder da shoppen oder feiern. So haben sich die beiden auch kennengelernt, erzählt der 23-jähirge Kaan.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Zypern unter Zugzwang - Eine Insel inmitten internationaler Konflikte.
"Eno wurde von einem türkischen Zyprer angegraben, ich hab‘ sie gefragt, ob sie das ok findet, sie meinte nein. Ich habe ihm dann gesagt, er soll sie in Ruhe lassen... ja und dann hat sie den ganzen Abend an meiner Seite getanzt." "Nein, du hast neben mir getanzt, ich weiß es noch ganz genau..."
Vorbehalte der Älteren
Wie viele griechisch-türkisch zypriotische Paare es inzwischen auf der Insel gibt, kann man kaum sagen, denn manche wagten es nicht, sich zu outen, sagt Kaan. Schließlich nehmen es nicht alle Familien so locker, wenn der eigene Sohn oder die Tochter mit dem vermeintlichen Feind von einst anbandelt.
"Für meine Eltern war es nie ein Problem, dass ich mit Kaan zusammen bin. Für meine Großeltern dagegen schon: Meine Oma kam weinend zu meinen Eltern, meinte, ich soll aufhören ihn zu sehen. Und mein Opa hat ihnen gesagt, sie sollen ein Messer nehmen und langsam die Beziehungen zu diesem Jungen wegschneiden."
"Ich komme ursprünglich aus einem Dorf und für meine Freunde da war es erst auch total seltsam, dass ich eine Freundin von der anderen Seite habe. Aber jetzt finden sie es gut, nächtelang haben wir zusammen gesessen, Eno hat ihnen griechische Tänze beigebracht. Sie haben uns dann gesagt, wie sehr sie Frieden wollen – und die beiden Kulturen vermischen wollen."
Liebesgeschichte an der Grenze
Es ist spät geworden, Kaan holt eine letzte Runde Bier – seine Freundin Eno winkt ab, sie will nach Hause. Doch vorher müsse sie unbedingt noch ihre Lieblingsgeschichte von der Grenze erzählen. Von damals, vor zwei Jahren, als sie noch zur Schule ging und gerade mit Kaan zusammen gekommen war.
"Wir konnten nicht genug voneinander kriegen, ich bin jede Nacht aus dem Fenster gestiegen – und zur Grenze, um Kaan da zu treffen. Das ging über Monate so – jede Nacht. Die Grenzer kannten uns irgendwann, kannten unsere Namen. Und haben sich ihre Storys über uns erzählt. Über unsere Liebesgeschichte..."
Kaan streicht seiner Freundin durch das lange schwarze Haar, lächelt versonnen, während sie die Anekdote erzählt, die er auswendig kennt.
"Ja und an einem Abend, ich sehe es noch genau vor mir, sagten sie: Geh, Geh! Du musst deinen Ausweis nicht zeigen. Und ich dachte: Was? Ich kann jetzt wirklich in den anderen Teil meines Landes, ohne meinen Ausweis vorzuzeigen? Es war unglaublich, dass eine so große Sache für mich längst so automatisch geworden war – dass ich meinen Ausweis zeigen muss, um fünf Meter auf die andere Seite meiner eigenen Stadt zu laufen. Ja und auf einmal ließen sie uns so rüber – wir konnten das gar nicht fassen!"
Zurück in die Vergangenheit?
Jetzt ist der Übergang komplett geschlossen, nur temporär, sagt die Regierung. Kaan und Eno müssen jetzt einen langen Umweg gehen, um auf die andere Seite zu kommen. Sie wollen das nicht hinnehmen, in ein paar Tagen wollen sie für die Öffnung demonstrieren – Coronakrise hin oder her.
"Mir macht das alles Angst, ich hab‘ das Gefühl, wir gehen zurück in die Vergangenheit. Bald könnten alle Grenzen geschlossen werden und es gibt einige Leute, die fürchten, für immer. Aber dann will ich hier gar nicht mehr leben, weder im Norden noch im Süden."