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Zypries rechnet künftig mit weniger Abhöraktionen

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries rechnet im Zuge der vorgesehenen Neuregelung beim so genannten Großen Lauschangriff mit einem Rückgang der Abhörfälle. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts seien Abhörmaßnahmen nur noch beschränkt möglich. Die Option zur akustischen Wohnraumüberwachung sei aber weiterhin erforderlich, um Straftäter abzuschrecken.

Von Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: So ändern sich die Zeiten: In den 90er Jahren war der Große Lauschangriff, mit dem die Polizei Strafverdächtige abhören kann, ein riesiges Thema. Nach heftigsten Auseinandersetzungen trat damals die liberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von ihrem Amt zurück. Vergleichsweise wenig wurde dann von der Öffentlichkeit beachtet, dass zunächst das Bundesverfassungsgericht vor gut einem Jahr den Lauschangriff teilweise als einen Verstoß gegen die Menschenwürde erachtet hat. Gestern haben SPD, Union und Grüne im Vermittlungsausschuss einen Kompromiss besiegelt, als Konsequenz aus dem Urteil von Karlsruhe. Am Telefon begrüße ich nun Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, SPD. Guten Morgen, Frau Zypries.

    Brigitte Zypries: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Was wird sich ab dem 1. Juli, wenn das neue Gesetz gilt, ändern?

    Zypries: Die Wohnraumüberwachung, und im Übrigen geht es um die Wohnraumüberwachung zur Strafverfolgung und nicht der Polizei, die Wohnraumüberwachung wird enger gefasst. Wir stellen mit dem Gesetz jetzt klar, dass niemand zuhört, wenn Gespräche geführt werden, die den Kern privater Lebensgestaltung betreffen, das heißt also, wenn der Wohnungsinhaber mit Familienangehörigen, aber auch mit Freunden Gespräche führt über persönliche Probleme, über Eheprobleme, über Sexualprobleme, schwere berufliche Probleme, Krankheiten oder Ähnliches mehr. Da darf grundsätzlich niemand mehr zuhören. Deswegen stellen wir sicher, dass diejenige Strafverfolgungsorgane, die an den Geräten sitzen und das Abhören machen, dann ausstellen.

    Meurer: Nun gibt es ja Bedenken, ob das in der Praxis praktikabel ist. Wie soll das aussehen?

    Zypries: Das ist in der Tat schwierig, das will ich gerne zugestehen. Nur ist es genau die Vorgabe, die das Bundesverfassungsgericht gemacht hat, weil sie eben gesagt haben, in den Kernbereich privater Lebensgestaltung darf nicht eingegriffen werden. Wir müssen es versuchen handzuhaben, das heißt, es muss ausgestellt werden und dann muss man eben überlegen als Strafverfolgungsorgan, wie stelle ich wieder an. Man kann dann beispielsweise entweder nach einem gewissen Zeitablauf wieder mal reinhören oder wenn man merkt, es kommt ein anderer Besucher in die Wohnung, dann kann man sich denken, dass dieses Gespräch sowieso aufhören muss und kann dann wieder abhören oder Ähnliches mehr. Aber das ist kompliziert, das ist richtig.

    Meurer: Das Abhören muss nur unterbrochen werden und kann dann anschließend wieder aufgenommen werden?

    Zypries: Genau.

    Meurer: Wer entscheidet denn darüber, was ist jetzt wirklich richtig privat und intim?

    Zypries: Das müssen diejenigen Strafverfolgungsorgane machen, die abhören.

    Meurer: Gibt es jemand, der das nachträglich kontrollieren kann?

    Zypries: Der Richter.

    Meurer: Der bekommt einen Bericht und kann dem entnehmen, was genau gelaufen ist?

    Zypries: Wenn es zum Verfahren kommt aufgrund dieses Abhörens, - und der Betroffene ist ja berechtigt, dagegen auch vorzugehen, wenn er es weiß -, dann kann das mit überprüft werden.

    Meurer: Warum, Frau Zypries, wird verlangt, dass nur noch live mitgehört werden darf, dass nicht mitgeschnitten werden darf und anschließend wird dann abgehört?

    Zypries: Das lesen wir aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts heraus, die eben ganz eindeutig gesagt haben, dass das der Menschenwürde unterfällt, dass niemand bei solchen Gesprächen abgehört wird. Und die Menschenwürde, das wissen Sie, steht in Artikel 1 unseres Grundgesetzes und ist ein ganz besonders hohes Gut. Deswegen haben wir gesagt, es ist nicht zulässig, dass man erstmal alle Gespräche aufnimmt und sie damit quasi schon mal speichert, um dann hinterher durch einen Richter, eine Richterin dieses Band abhören zu lassen und dann zu entscheiden. Denn dann hat man eben alles das, was an Privatem gesprochen wurde, schon mal abgespeichert. Das ist ein Unterschied, ob ich das mache oder ob ich eben erst gar nicht zuhöre und es auch gar nicht erst speichere. Wir meinen, dass wir damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen mehr entsprechen.

    Meurer: Inwiefern, Frau Zypries, ist der Große Lauschangriff jetzt noch ein geeignetes Instrument zur Strafverfolgung?

    Zypries: Ich glaube, dass das wesentliche Element des Großen Lauschangriffes oder der, wie wir sagen, akustischen Wohnraumüberwachung, darin liegt, dass wir sagen, es gibt sie und wir können sie anwenden und wir wenden sie an, obwohl wir sie ja nun schon seit Jahren in ausgesprochen wenigen Fällen anwenden. Es gibt 30 Abhörmaßnahmen ungefähr jedes Jahr in Deutschland und mit diesen Erschwernissen werden es sicherlich noch weniger werden, denn sie sind personalintensiver und damit kostenintensiver. Es muss aber auch klar sein und deswegen habe ich mich schon dafür eingesetzt, dass es die akustische Wohnraumüberwachung noch gibt, es muss klar sein, dass eine Wohnung alleine nicht heißt, dass Straftäter sich zurückziehen können und planen können und machen können, was sie wollen.

    Meurer: Der Lauschangriff ist also eher eine Art Abschreckung?

    Zypries: Ja, ein Stückweit ist er das, da haben Sie Recht. Ich glaube, es ist auch eine große Maßnahme der Prävention, denn jeder weiß, ich kann mich nicht unbedingt darauf verlassen.

    Meurer: Es gibt Kritik, sage ich mal, von denen, die auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden stehen, darüber haben wir gesprochen. Auf der anderen Seite wird aber zum Beispiel gesagt, Karlsruhe hätte ja gefordert, abgehört werden darf nur bei besonders schweren Straftaten. Die Union hat darauf gedrängt, dass dieser Straftatenkatalog möglichst weit gedehnt wird. Dazu gehört auch Scheckbetrug. Ist Scheckbetrug eine besonders schwere Straftat?

    Zypries: Es geht um das Fälschen von Scheckkarten, um das Fälschen von Schecks und Wechseln in den Fällen, wo das banden- oder gewerbsmäßig gemacht wird. Wir haben ganz stark darauf abgestellt bei den Delikten, dass sie im Zuge von Bandenkriminalität gemacht werden, das heißt also, von organisierter Kriminalität. Das ist auch das wesentliche Einsatzfeld der Wohnraumüberwachung. Wir wollen gerade an diese Strukturen, die sich da treffen, die Sachen verabreden, da wollen wir rankommen. Einzeltäter, die im Zweifel ja keine Selbstgespräche führen, mit der Wohnraumüberwachung irgendwie zu erwischen, ist hinreichend unwahrscheinlich. Dafür ist es ursprünglich nicht gedacht.

    Meurer: Wie sicher sind Sie, dass das Gesetz so wie es jetzt formuliert ist, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt?

    Zypries: Da bin ich mir ganz sicher. Wir haben ja, wie gesagt, das sehr eng umgesetzt, die Entscheidung aus Karlsruhe und alles beachtet, was dort aufgeschrieben wurde.

    Meurer: Insgesamt betrachtet: Ist das neue Gesetz besser als das alte?

    Zypries: Es ist schlechter für die Strafverfolgungsbehörden, das haben Sie eben auch zitiert, von dort aus gibt es Kritik. Es ist sicherlich besser für den Grundrechtsschutz der Menschen. Nun mögen sich manche fragen, ob man den Grundrechtsschutz auch von mutmaßlichen, erheblichen Straftätern so schützen muss, dass man ihre Gespräche nicht abhört, aber das Bundesverfassungsgericht hat dazu gesagt, das müssen wir. Das respektieren wir auch.