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Zypries: Unterhaltsrecht ist gut für Zweitfamilien

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat das seit einem Jahr geltende neue Unterhaltsrecht verteidigt. Nach einer Scheidung der Eltern müsse die Betreuungssituation des Kindes im Mittelpunkt stehen. Sie erwarte, dass der Bundesgerichtshof die Regelung bestätigen werde. Verhandelt wird über die Dauer der Unterhaltszahlungen an den früheren Ehegatten, der ein gemeinsames Kind betreut. Seit der Reform besteht ein solcher Anspruch grundsätzlich nur für drei Jahre.

Brigitte Zypries im Gespräch mit Friedbert Meurer | 18.03.2009
    Friedbert Meurer: Ab wann darf einer geschiedenen Frau zugemutet werden, wieder arbeiten zu gehen? Im Unterhaltsrecht geht es meistens um die Frau, weil meistens (nicht immer) der Mann den Unterhalt bezahlt. Die Große Koalition hat nach heftigem Ringen Anfang 2008 das Unterhaltsrecht reformiert.
    In Berlin begrüße ich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries von der SPD, die federführend an der Ausarbeitung des neuen Unterhaltsrechts beteiligt war. Guten Morgen, Frau Zypries.

    Brigitte Zypries: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: In der Regel sollen Frauen dann wieder ganztags arbeiten gehen, wenn die Kinder drei Jahre alt sind. Sind die Frauen damit die Verliererinnen des neuen Unterhaltsrechts?

    Zypries: Die Prämisse ist falsch. Die ist auch in Ihrer Anmoderation schon falsch gesagt worden. Wir haben nie gesagt, dass es Geld nur bis zu drei Jahren gibt und dann gibt es quasi nichts mehr, und es sind nur Ausnahmesituationen, sondern wir haben immer gesagt, es gibt einen fließenden Übergang und man muss selber sehen, wie die eigene Situation ist, wie beispielsweise auch die Betreuung durch den Vater ist. Ich meine, in diesen ganzen Beiträgen hört es sich ja an, als müsste der Vater überhaupt keine Verantwortung übernehmen.

    Meurer: Von dem war schon mal kurz die Rede, dass er auch das Kind aus dem Kindergarten abholen kann.

    Zypries: Und es geht dann eben um die Frage, wie ist die Betreuungssituation, und das hat Frau Andersen vom Verband alleinerziehender Elternteile ja eben schön gesagt. Es gibt zu wenig Ganztagsbetreuung und deswegen muss man eben sehen, dass man dann, wenn man die Ganztagsbetreuung hat und das auch will, in Ordnung ist, aber wenn es solche Betreuung nicht gibt, dass es selbstverständlich ist, dass die Mutter oder auch der Vater dann zu Hause bleiben und das Kind betreuen. Also Einzelfallentscheidung, je nachdem wie ist die Betreuungssituation und wie ist die Situation des Kindes. Das ist ja gut rausgekommen. Das sind ja beides Kinder, die ein bisschen Probleme haben, und darauf muss man dann natürlich eine besondere Rücksicht nehmen.

    Meurer: Bei diesen beiden Aspekten wird sich in der Zukunft die Betreuungssituation verändern, weil bald Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz ab einem Jahr haben. Wird im selben Atemzug dann häufiger eben das Alter des Kindes drei Jahre doch zur Regel werden, weil die Mutter wieder ganztags arbeiten soll?

    Zypries: Nein. Dass es einen Anspruch auf eine Betreuung ab einem Jahr gibt, davon reden wir ja nicht. Das kann man dann in Anspruch nehmen, muss man aber nicht in Anspruch nehmen, weil die drei Jahre auf alle Fälle mal gesichert sind. Und es geht ja um die Zeit danach, wo das Kind in den Kindergarten geht. Da sagen wir, da ist es ja auch für die Kinder gut, wenn sie Sozialkontakte haben, wenn sie raus kommen, wenn sie lernen, sich in einer Gruppe zu bewegen. Das ist ja doch dann auch von fast allen Eltern inzwischen gewollt, dass Kinder so was machen. Nur auf diesen Zeitpunkt kommt es wie gesagt an.

    Meurer: In Juristenkreisen, Frau Zypries, wird von der sogenannten 0-8-15-Regel gesprochen, die früher gegolten hat. Will sagen: Bis acht Jahre brauchte eine Frau gar nicht zu arbeiten, bis 15 Jahre nur halbtags. Ist das aus heutiger Sicht damals besser für die Frauen gewesen als heute?

    Zypries: Ich weiß nicht, ob es wirklich besser für die Frau war. Es war auf alle Fälle nicht gut für die sogenannte Zweitfamilie. Ich meine, wir haben diese Reform ja angestoßen und haben gesagt, Kinder müssen an erster Stelle stehen. Das war ja immer das Hauptziel der Reform, weil wir eben festgestellt haben, dass es ganz zunehmend in Deutschland Zweitehen gibt, wo es wieder Kinder gibt und wo diese Kinder dann nicht mehr hinreichend betreut werden konnten. Wenn Sie sich vorstellen, dass jemand ein Monatseinkommen von 2500 Euro hat und davon zwei Kinder aus erster Ehe, die erste Ehefrau, die neue Freundin mit einem neuen Kleinkind unterhalten soll, dann funktioniert das natürlich nicht so richtig. Deswegen haben wir gesagt, als allererstesmal müssen die Kinder Geld kriegen, weil die sind das schwächste Glied der Kette. Erwachsene können sich immer noch selber helfen.

    Diese 0-8-15-Regelung hat dazu geführt, dass es schon einige Fälle gab - und wir haben viel Post dazu gekriegt -, wo gesagt wurde, hier geht jemand quasi mutwillig nicht arbeiten, aber die neue Mutter mit ihrem kleinen Kind muss direkt nach der Geburt wieder arbeiten gehen, weil andernfalls das Geld für die neue Familie gar nicht auskömmlich ist.

    Meurer: Von konservativer Seite wird Ihnen vorgeworfen, Sie drängen mit dem Unterhaltsrecht Frauen zur Berufstätigkeit und lassen Ihnen jetzt gar keine andere Wahl mehr.

    Zypries: Nein, das ist natürlich nicht richtig, denn wie gesagt: Die Frage des Betreuungsunterhalts, die haben wir schon besprochen. Es gibt natürlich auch nach wie vor weiter den Unterhalt für die geschiedene Frau wegen Alters, wegen Krankheit, wegen Erwerbslosigkeit. Das ist ja alles geblieben. Es ist ja nun nicht so, als ob das abgeschafft worden wäre.

    Meurer: Es gibt Fälle, wo Männer jetzt hingehen und sagen, obwohl sie 20 Jahre verheiratet sind, sich jetzt scheiden lassen, ich berufe mich jetzt auf das neue Unterhaltsrecht. Wie werden Frauen geschützt, die im Vertrauen auf die alte Regelung auf ihre Karriere verzichtet haben?

    Zypries: Das sind die Ansprüche auf Unterhalt nach der Scheidung, die nicht mehr den Betreuungsunterhalt umfassen, und da ist es so, dass wir im Grunde feststellen müssen, dass sich viele Männer bei uns jetzt beschweren, die sagen, da hatte ich gehofft, müsste ich nun gar nichts mehr zahlen, und muss ich aber doch noch zahlen. Das heißt also, es ist generell, würde ich gerne noch mal sagen, bei dieser Unterhaltsrechtsreform, dass die Frauen gedacht haben, sie sind nur die Verlierer, und die Männer gedacht haben, sie sind nur die Gewinner, und beide Teile müssen jetzt aber eigentlich feststellen, dass es so gar nicht ist.

    Die geschiedene Frau, die lange Jahre verheiratet war, kann selbstverständlich auch weiterhin noch Unterhalt verlangen und bekommt ihn auch. Da gibt es auch wenig Problemfälle, weil wir natürlich konstatieren - und das enthält das neue Gesetz ja auch -, dass eine Ehe, wo es eine klare Rollenverteilung gab, die auch von beiden so gewollt war, dass diese Vereinbarung, dieses "so haben wir bewusst gemeinsam gelebt" natürlich auch nach der Ehe Bestand haben muss und dass die Frau sich darauf verlassen können muss.

    Meurer: Es gibt noch einen anderen Vorbehalt der Kritiker. Unterhalt an der Ehefrau kann man von der Steuer absetzen. Wenn jetzt der Unterhalt an die Kinder eher gezahlt wird, was ja Ziel des neuen Unterhaltsrechts ist, dann ist die Steuerersparnis geringer. Hatten Sie das übersehen bei der Reform?

    Zypries: Nein, nein. Das haben wir nicht übersehen. Das haben wir lange diskutiert, auch lange mit den Ländern diskutiert und wir haben da auch Veränderungen reingebracht. Das Kindergeld beispielsweise wird gesplittet jetzt angerechnet. Aber die Frage, wie steuerlich bestimmte Belastungen abzusetzen sind, das ist natürlich nichts, was wir im Unterhaltsrecht regeln können. Der Finanzminister weiß um die Lage Bescheid und es ist Sache der Finanzpolitiker zu entscheiden, was abzusetzen ist von der Steuer und was nicht.

    Meurer: Die Gerichte müssen jetzt weiter im Einzelfall entscheiden. Das ist, so verstehe ich Sie richtig, Frau Zypries, auch gewollt. Warum gibt man nicht trotzdem klarere Vorgaben und sorgt jetzt dafür, dass weiterhin die Gerichte in großem Umfang dann im Einzelfall prüfen und entscheiden müssen?

    Zypries: Das Schwierige bei diesen klaren Vorgaben hatten wir ja. Die Probleme hatten wir ja mit dieser 0-8-15-Regelung. Die hat eben in vielen Bereichen anderswo zu großen Ungerechtigkeiten geführt, wenn ein Kind beispielsweise mit 14 auf der Ganztagsschule war und nachmittags mit den Freunden weggegangen ist und die Mutter gesagt hat, ich gehe aber trotzdem nicht in dem Maße arbeiten wie ich es könnte und der Ehemann wie gesagt mit der neuen Familie Probleme hatte, wo die Frau mit einem Baby arbeiten gehen musste. Diese Fälle haben wir ja ganz häufig gehabt.

    Meurer: Eine 03-08-Regel als Regel wollten Sie nicht einführen?

    Zypries: Nein. Wir haben das lange diskutiert, aber wir haben gesagt, es ist doch eine Frage des Einzelfalls. Sehen Sie, die Betreuungsmöglichkeiten in Berlin sind ja beispielsweise andere, auch was die Entfernung zum Betreuungsort anbelangt, als beispielsweise in Bayerischen Wald oder auf der schwäbischen Alb. Das sind einfach ganz andere Verhältnisse und diesen unterschiedlichen Verhältnissen muss man dann eben auch so differenziert Rechnung tragen. Wir meinen - und davon bin ich auch ganz überzeugt -, unsere deutsche Justiz ist leistungsfähig und sie ist gut und die kann das und die kann auch bestimmte Hinweise erarbeiten. Ich erhoffe mir von der Entscheidung heute des BGH da auch noch mal eine Verstärkung des Grundsatzes, dass es eben nicht so sein muss, dass man sofort wieder arbeiten geht.

    Meurer: Der Bundesgerichtshof befasst sich heute mit dem neuen Unterhaltsrecht. Ich sprach mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries von der SPD. Danke, Frau Zypries, und auf Wiederhören!

    Zypries: Auf Wiederhören.