Christian Schütte: Telekommunikationsüberwachungsgesetz - hinter diesem etwas sperrigen Namen verbirgt sich etwas, das viele Menschen in Deutschland beunruhigt. Konkret geht es ums Telefonieren, Surfen im Internet, um Mails und SMS-Botschaften. Die Verbindungsdaten sollen für sechs Monate gespeichert werden, also Rufnummern beziehungsweise die Kenn-Nummer des Computers, Datum und Uhrzeit der Verbindung, bei Handy-Gesprächen der Standort des Benutzers. Um dagegen zu protestieren, sind in dieser Woche mehrere tausend Menschen in Deutschland auf die Straße gegangen:
"Ich bin hier, weil ich es unmöglich finde, dass es möglich sein kann, dass meine Daten, meine Faxe, meine E-Mails, meine Telefonate ein halbes Jahr lang gespeichert werden, dass jeder das quasi nachverfolgen könnte, weil: Ich weiß nicht, wer das speichert, wo das gespeichert wird. Das ist undurchsichtig. und ich finde das eine Sauerei."
"Wenn wir jetzt Telefonate mitschneiden, sie für ein halbes Jahr aufbewahren und darauf zugreifen können, wenn wir irgendeinen geringen Verdacht haben, was machen wir dann danach?"
"Ich bin in der DDR groß geworden und da hat man von mir eine Akte angelegt. Ich war verhältnismäßig jung, und trotzdem wurde ich eben schon geführt, mit welchen Freunden ich mich traf und was ich gemacht habe, und eigentlich möchte ich nicht, dass ich oder auch meine Kinder in so einem Staat leben müssen."
Das Gesetz, gegen das diese Demonstranten hier demonstriert haben, protestiert haben, kommt aus dem Bundesjustizministerium. Mit uns telefonisch verbunden ist die Ministerin Brigitte Zypries von der SPD. Guten Morgen Frau Zypries!
Brigitte Zypries: Guten Morgen Herr Schütte!
Schütte: Sie haben den Protest der Bürger gerade mitgehört. Können Sie deren Ärger und vor allem ihre Sorgen vor einem Überwachungsstaat verstehen?
Zypries: Ich kann natürlich verstehen, dass man sich Sorgen macht, aber was ich nicht verstehen kann ist, dass die Informationsbasis ganz offenbar so schlecht ist. Man hat ja auch aus den Meinungsäußerungen der Bürgerin wenigstens eben auch gehört, dass sie gedacht hat oder dass sie denkt, die Inhalte eines Gesprächs werden gespeichert. Das ist natürlich überhaupt gar nicht wahr. Wir speichern die Verbindungsdaten. Sie haben das richtig gesagt in Ihrer Anmoderation. Das heißt, wer hat mit wem wann telefoniert? Und wir speichern das deshalb europaweit jetzt - das ist ja eine europäische Richtlinie, von der wir reden -, europaweit, weil wir die Attentate von Madrid durch genau die Rückverfolgung dieser Daten sehr schnell aufklären konnten. Deshalb haben wir gesagt, wir müssen sehen, dass wir künftig bei solchen terroristischen Anschlägen, aber auch zur Verfolgung anderer schwerer Taten noch die Möglichkeit haben, auf die Daten zurückzugreifen.
Um es ganz klar zu sagen: Diese Daten werden nicht beim Staat gespeichert. Sie werden bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert, und im Grunde ist es dasselbe wie das, was große Telekommunikationsanbieter wie die Telekom heute schon machen. Wenn sie möchten, kriegen sie am Monatsende zur Verfolgung ihrer Abrechnung eine Übersicht, welche Gespräche von ihrem Apparat aus geführt wurden. Und genau um diese Daten geht es. Diese Daten speichert die Telekom künftig nicht nur drei Monate, sondern sechs Monate.
Schütte: Die Daten werden ohnehin gespeichert, aber nun können Ermittlungsbehörden darauf zugreifen. Ist das nicht doch eine neue Qualität?
Zypries: Nein! Das ist keine neue Qualität, weil das natürlich geltende Rechtslage ist. Auf die Daten, auf die man zugreifen kann, können Ermittlungsbehörden das heute schon. Voraussetzung: Sie haben den Verdacht einer schweren Straftat und ein Richter hat entschieden, dass diese Daten herauszugeben sind von dem Telekommunikationsunternehmen. Das ist heute geltende Rechtslage, und das bleibt.
Schütte: Wenn das aber alles gar nichts Neues ist, wenn die Behörden jetzt schon auf diese Daten zugreifen können im Verdachtsfalle, weshalb brauchen wir dann noch ein neues Gesetz?
Zypries: Der Unterschied ist der, dass heute nur die Daten dann zu Abrechnungszwecken gespeichert werden, wenn der Kunde das wünscht. Und wir sagen, künftig müssen alle diese Daten für sechs Monate erst mal gespeichert werden, ehe sie bei den Telekommunikationsunternehmen wieder zu löschen sind. Das ist der Unterschied. Das heißt, wir haben heute nur eine willkürliche Auswahl, und künftig sind eben alle betroffen.
Schütte: Mit dem Gesetz - Sie haben es schon erwähnt - wird eine EU-Vorgabe umgesetzt. Irland ist in dieser Sache vor den Europäischen Gerichtshof gezogen. Warum wollen Sie die Entscheidung der Richter nicht erst einmal abwarten?
Zypries: Bei der Klage geht es um etwas ganz anderes. Da geht es nämlich um die Frage, ob das Wechseln der Rechtsgrundlage, was die Engländer unter ihrer Präsidentschaft seinerzeit vorgenommen haben, mit europäischem Recht vereinbar ist. Wir hatten ursprünglich die sogenannte dritte Säule. Das heißt, der Rat hätte einstimmig entscheiden müssen. Da hat Deutschland ein Jahr blockiert, weil ich immer gesagt habe, das, was England, Schweden und andere wollen, ist uns viel zu viel. Wir dürfen nur viel weniger an Daten sammeln. Ich habe ein Jahr lang die Abstimmung in Brüssel verhindert. Dann haben die Engländer gesagt, okay, dann gehen wir doch jetzt an ein anderes Verfahren. Dann müsst ihr Deutschen euch eine qualifizierte Minderheit suchen, um unser Vorgehen noch zu blockieren, und wir können das ganze verabschieden, denn Deutschland war, das muss man ganz klar sagen, auf europäischer Ebene, was den materiellen Gehalt dieser Normen anbelangt, völlig isoliert. Alle anderen europäischen Staaten wollten sehr, sehr viel mehr Daten speichern, wollten versuchte Anrufe speichern, wollten nicht nur für 6 Monate, sondern für 36 Monate speichern und anderes mehr. Da haben wir sehr gekämpft, damit die Anforderungen insgesamt runtergeschraubt werden.
Schütte: Wenn ich das zusammenfassen darf: Sie haben sich dafür eingesetzt, dass es so grundrecht-schonend wie möglich geschieht. Gehört die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zum Selbstverständnis einer modernen Demokratie?
Zypries: Doch, natürlich. Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert. Das hat sich auch als Abwehrrecht gegen den Staat positioniert. Wir haben hier die Besonderheit, dass der Staat nicht die Daten sammelt. Ich sage es noch mal: Die Daten kommen nur dann in staatliche Hände, wenn ein unabhängiges Gericht darüber entschieden hat, und die Voraussetzung dafür überhaupt erstmal ist der Verdacht einer schweren Straftat.
Schütte: Datenschützer sagen, die Verhältnismäßigkeit bei dem ganzen ist überhaupt nicht gewahrt.
Zypries: Das ist so ein pauschaler Vorwurf. Darauf kann man so pauschal auch nichts weiter drauf sagen.
Schütte: Betroffene werden anschließend informiert. Darauf haben Sie eben schon indirekt angespielt. Sie können auch anschließend klagen, falls sie sich als unschuldig herausstellen. Ein wirklicher Schutz des Bürgers ist das aber nicht oder?
Zypries: Was heißt "ein wirklicher Schutz"? Ich würde gerne darauf hinweisen, dass sie jetzt hier diese zwei Gesetze vermischen. Wir haben eben über die Vorratsdatenspeicherung gesprochen, und die Vorratsdatenspeicherung heißt, diese Verbindungsdaten werden gespeichert, Zugriff nur durch richterlichen Beschluss bei Verdacht einer schweren Straftat. Alles andere, was wir heute noch novellieren, sind die ganz normalen Ermittlungsbefugnisse, die in der Strafprozessordnung geregelt sind. Da sind noch zahlreiche andere Möglichkeiten gegeben, und für alle die gilt, dass wir die Bürgerrechte insofern sichern, als wir die Informationspflichten des Staates verbreitern, die Rechtsschutzmöglichkeiten verbessern und auch eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung noch mal einführen, die der Richter künftig immer vornehmen muss, ehe er überhaupt dazu kommt, solche verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zu genehmigen.
Schütte: Mit dem geplanten Gesetz wird noch etwas anderes geregelt. Künftig sollen Telefone in Arztpraxen, Redaktionsbüros, auch in bestimmten Anwaltskanzleien abgehört werden dürfen, obwohl es eigentlich einen Vertrauensschutz gibt durch das Zeugnisverweigerungsrecht. Warum ist das Vertrauen zu einem Arzt oder zu einem Journalisten offensichtlich weniger Wert als das zu einem Priester oder Abgeordneten, denn dort darf nicht gelauscht werden?
Zypries: Herr Schütte, sehen Sie, das ist so ein Teil der wirklich schwierigen Darstellung in den Medien in der Vergangenheit. Das, was Sie referiert haben, wird schlicht und ergreifend nicht so geregelt. Wir haben ein bestehendes Recht in der Strafprozessordnung, was verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht. Diese Rechte, die heute bestehen, in der Form, wie sie heute bestehen, bleiben alle erhalten. Das heißt, es ändert sich negativ gar nichts. Es ändert sich positiv was für Bürgerinnen und Bürger. Das habe ich eben gesagt: Rechtsschutzmöglichkeit, Benachrichtigungspflichten und so weiter. Und wir führen ein aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass bei Seelsorgern, soweit sie seelsorgerisch tätig sind, und bei Strafverteidigern, soweit sie insoweit tätig sind, und bei Abgeordneten erst gar nicht abgehört werden darf. Das ist eine quasi on the top, was wir einbringen aufgrund Karlsruher Entscheidungen, und im Übrigen bleibt es dabei, wie jetzt die Rechtslage auch ist. Das heißt, es wird niemand mehr abgehört oder so was, sondern es wird allenfalls weniger abgehört, weil Richter eben künftig noch zu einer gesonderten Verhältnismäßigkeitsprüfung verpflichtet sind.
Schütte: Sie sagen also, das wird in den Medien etwas falsch dargestellt. Mich verwundert dann nur, dass auch namhafte Juristen davon sprechen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht nun zweigeteilt wird und es ein Zwei-Klassen-System geben soll.
Zypries: Ja gut. Das liegt daran, dass wir diese drei Gruppen, von denen ich eben sprach, noch ein kleines bisschen besser stellen, als sie jetzt ohnehin stehen. Dann kann man natürlich sagen gut, je mehr ich das nach oben verbessere, dann fallen andere nach unten. Aber die Rechtslage derer, die sich jetzt beschweren, wird nicht verschlechtert gegenüber dem jetzigen Zustand, sondern sie wird im Gegenteil verbessert.
Schütte: Heute ist das Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung im Bundestag. Was ist der nächste Schritt, die Online-Durchsuchung?
Zypries: Ich würde das nicht in eins stellen, um das ganz klar zu sagen. Die Strafprozessordnungsmöglichkeiten gibt es heute schon. Die novellieren wir nur und geben verbesserte Bürgerrechte durch verbesserte Informationen, Benachrichtigungen und Eingriffshüllen. Die Vorratsdatenspeicherung ist in der Tat eine andere Form von tatsächlichem Eingriff. Das stimmt. Da werden jetzt Daten gespeichert, aber diese Daten werden nur dann abgefragt, wenn es um den Verdacht einer schweren Straftat geht und ein Gericht entschieden hat. Die Online-Durchsuchung wäre noch mal eine Neueinführung eines anderen Elements, was insbesondere für den präventiven Bereich ja gelten soll und nicht zur Verfolgung von Straftaten, sondern im Vorfeld schon eingesetzt werden soll. Dieses Projekt betreibt mein Kollege Schäuble, und deswegen kann ich da zum Zeitplan sowieso nichts sagen.
Schütte: Wir haben zu Beginn über die Befürchtungen der Bürger über einen Überwachungsstaat gesprochen. Wo ist für Sie, Frau Zypries, eine Grenze erreicht bei der Erfassung von Daten?
Zypries: Man kann das, Herr Schütte, nicht so allgemein sagen. Das hängt doch immer ganz stark davon ab, was wir für eine Gefahrenlage haben. Ich sage mal, wären solche Attentate wie in Madrid nicht passiert, dann wäre man nicht auf die Idee gekommen zu sagen, das sind wichtige Daten für uns zur Aufklärung solcher terroristischen Anschläge, und deshalb wollen wir die europaweit jetzt speichern. Das heißt also, je mehr wir solche terroristischen Anschläge haben oder auch uns anderen Formen von schwerster Kriminalität gegenüber sehen wie zum Beispiel organisierter Kriminalität, oder wenn der Rechtsradikalismus wieder stärker werden sollte, dann muss man natürlich als abwehrbereiter Staat zur Verteidigung unserer demokratischen Rechte auch bereit sein, etwas zu tun. Wo diese Grenze im Einzelnen ist, kann man so allgemein nicht sagen, sondern das muss dann immer sehr konkret abgewogen werden.
Schütte: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Vielen Dank für das Gespräch.
Zypries: Bitteschön.
"Ich bin hier, weil ich es unmöglich finde, dass es möglich sein kann, dass meine Daten, meine Faxe, meine E-Mails, meine Telefonate ein halbes Jahr lang gespeichert werden, dass jeder das quasi nachverfolgen könnte, weil: Ich weiß nicht, wer das speichert, wo das gespeichert wird. Das ist undurchsichtig. und ich finde das eine Sauerei."
"Wenn wir jetzt Telefonate mitschneiden, sie für ein halbes Jahr aufbewahren und darauf zugreifen können, wenn wir irgendeinen geringen Verdacht haben, was machen wir dann danach?"
"Ich bin in der DDR groß geworden und da hat man von mir eine Akte angelegt. Ich war verhältnismäßig jung, und trotzdem wurde ich eben schon geführt, mit welchen Freunden ich mich traf und was ich gemacht habe, und eigentlich möchte ich nicht, dass ich oder auch meine Kinder in so einem Staat leben müssen."
Das Gesetz, gegen das diese Demonstranten hier demonstriert haben, protestiert haben, kommt aus dem Bundesjustizministerium. Mit uns telefonisch verbunden ist die Ministerin Brigitte Zypries von der SPD. Guten Morgen Frau Zypries!
Brigitte Zypries: Guten Morgen Herr Schütte!
Schütte: Sie haben den Protest der Bürger gerade mitgehört. Können Sie deren Ärger und vor allem ihre Sorgen vor einem Überwachungsstaat verstehen?
Zypries: Ich kann natürlich verstehen, dass man sich Sorgen macht, aber was ich nicht verstehen kann ist, dass die Informationsbasis ganz offenbar so schlecht ist. Man hat ja auch aus den Meinungsäußerungen der Bürgerin wenigstens eben auch gehört, dass sie gedacht hat oder dass sie denkt, die Inhalte eines Gesprächs werden gespeichert. Das ist natürlich überhaupt gar nicht wahr. Wir speichern die Verbindungsdaten. Sie haben das richtig gesagt in Ihrer Anmoderation. Das heißt, wer hat mit wem wann telefoniert? Und wir speichern das deshalb europaweit jetzt - das ist ja eine europäische Richtlinie, von der wir reden -, europaweit, weil wir die Attentate von Madrid durch genau die Rückverfolgung dieser Daten sehr schnell aufklären konnten. Deshalb haben wir gesagt, wir müssen sehen, dass wir künftig bei solchen terroristischen Anschlägen, aber auch zur Verfolgung anderer schwerer Taten noch die Möglichkeit haben, auf die Daten zurückzugreifen.
Um es ganz klar zu sagen: Diese Daten werden nicht beim Staat gespeichert. Sie werden bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert, und im Grunde ist es dasselbe wie das, was große Telekommunikationsanbieter wie die Telekom heute schon machen. Wenn sie möchten, kriegen sie am Monatsende zur Verfolgung ihrer Abrechnung eine Übersicht, welche Gespräche von ihrem Apparat aus geführt wurden. Und genau um diese Daten geht es. Diese Daten speichert die Telekom künftig nicht nur drei Monate, sondern sechs Monate.
Schütte: Die Daten werden ohnehin gespeichert, aber nun können Ermittlungsbehörden darauf zugreifen. Ist das nicht doch eine neue Qualität?
Zypries: Nein! Das ist keine neue Qualität, weil das natürlich geltende Rechtslage ist. Auf die Daten, auf die man zugreifen kann, können Ermittlungsbehörden das heute schon. Voraussetzung: Sie haben den Verdacht einer schweren Straftat und ein Richter hat entschieden, dass diese Daten herauszugeben sind von dem Telekommunikationsunternehmen. Das ist heute geltende Rechtslage, und das bleibt.
Schütte: Wenn das aber alles gar nichts Neues ist, wenn die Behörden jetzt schon auf diese Daten zugreifen können im Verdachtsfalle, weshalb brauchen wir dann noch ein neues Gesetz?
Zypries: Der Unterschied ist der, dass heute nur die Daten dann zu Abrechnungszwecken gespeichert werden, wenn der Kunde das wünscht. Und wir sagen, künftig müssen alle diese Daten für sechs Monate erst mal gespeichert werden, ehe sie bei den Telekommunikationsunternehmen wieder zu löschen sind. Das ist der Unterschied. Das heißt, wir haben heute nur eine willkürliche Auswahl, und künftig sind eben alle betroffen.
Schütte: Mit dem Gesetz - Sie haben es schon erwähnt - wird eine EU-Vorgabe umgesetzt. Irland ist in dieser Sache vor den Europäischen Gerichtshof gezogen. Warum wollen Sie die Entscheidung der Richter nicht erst einmal abwarten?
Zypries: Bei der Klage geht es um etwas ganz anderes. Da geht es nämlich um die Frage, ob das Wechseln der Rechtsgrundlage, was die Engländer unter ihrer Präsidentschaft seinerzeit vorgenommen haben, mit europäischem Recht vereinbar ist. Wir hatten ursprünglich die sogenannte dritte Säule. Das heißt, der Rat hätte einstimmig entscheiden müssen. Da hat Deutschland ein Jahr blockiert, weil ich immer gesagt habe, das, was England, Schweden und andere wollen, ist uns viel zu viel. Wir dürfen nur viel weniger an Daten sammeln. Ich habe ein Jahr lang die Abstimmung in Brüssel verhindert. Dann haben die Engländer gesagt, okay, dann gehen wir doch jetzt an ein anderes Verfahren. Dann müsst ihr Deutschen euch eine qualifizierte Minderheit suchen, um unser Vorgehen noch zu blockieren, und wir können das ganze verabschieden, denn Deutschland war, das muss man ganz klar sagen, auf europäischer Ebene, was den materiellen Gehalt dieser Normen anbelangt, völlig isoliert. Alle anderen europäischen Staaten wollten sehr, sehr viel mehr Daten speichern, wollten versuchte Anrufe speichern, wollten nicht nur für 6 Monate, sondern für 36 Monate speichern und anderes mehr. Da haben wir sehr gekämpft, damit die Anforderungen insgesamt runtergeschraubt werden.
Schütte: Wenn ich das zusammenfassen darf: Sie haben sich dafür eingesetzt, dass es so grundrecht-schonend wie möglich geschieht. Gehört die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zum Selbstverständnis einer modernen Demokratie?
Zypries: Doch, natürlich. Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert. Das hat sich auch als Abwehrrecht gegen den Staat positioniert. Wir haben hier die Besonderheit, dass der Staat nicht die Daten sammelt. Ich sage es noch mal: Die Daten kommen nur dann in staatliche Hände, wenn ein unabhängiges Gericht darüber entschieden hat, und die Voraussetzung dafür überhaupt erstmal ist der Verdacht einer schweren Straftat.
Schütte: Datenschützer sagen, die Verhältnismäßigkeit bei dem ganzen ist überhaupt nicht gewahrt.
Zypries: Das ist so ein pauschaler Vorwurf. Darauf kann man so pauschal auch nichts weiter drauf sagen.
Schütte: Betroffene werden anschließend informiert. Darauf haben Sie eben schon indirekt angespielt. Sie können auch anschließend klagen, falls sie sich als unschuldig herausstellen. Ein wirklicher Schutz des Bürgers ist das aber nicht oder?
Zypries: Was heißt "ein wirklicher Schutz"? Ich würde gerne darauf hinweisen, dass sie jetzt hier diese zwei Gesetze vermischen. Wir haben eben über die Vorratsdatenspeicherung gesprochen, und die Vorratsdatenspeicherung heißt, diese Verbindungsdaten werden gespeichert, Zugriff nur durch richterlichen Beschluss bei Verdacht einer schweren Straftat. Alles andere, was wir heute noch novellieren, sind die ganz normalen Ermittlungsbefugnisse, die in der Strafprozessordnung geregelt sind. Da sind noch zahlreiche andere Möglichkeiten gegeben, und für alle die gilt, dass wir die Bürgerrechte insofern sichern, als wir die Informationspflichten des Staates verbreitern, die Rechtsschutzmöglichkeiten verbessern und auch eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung noch mal einführen, die der Richter künftig immer vornehmen muss, ehe er überhaupt dazu kommt, solche verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zu genehmigen.
Schütte: Mit dem geplanten Gesetz wird noch etwas anderes geregelt. Künftig sollen Telefone in Arztpraxen, Redaktionsbüros, auch in bestimmten Anwaltskanzleien abgehört werden dürfen, obwohl es eigentlich einen Vertrauensschutz gibt durch das Zeugnisverweigerungsrecht. Warum ist das Vertrauen zu einem Arzt oder zu einem Journalisten offensichtlich weniger Wert als das zu einem Priester oder Abgeordneten, denn dort darf nicht gelauscht werden?
Zypries: Herr Schütte, sehen Sie, das ist so ein Teil der wirklich schwierigen Darstellung in den Medien in der Vergangenheit. Das, was Sie referiert haben, wird schlicht und ergreifend nicht so geregelt. Wir haben ein bestehendes Recht in der Strafprozessordnung, was verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht. Diese Rechte, die heute bestehen, in der Form, wie sie heute bestehen, bleiben alle erhalten. Das heißt, es ändert sich negativ gar nichts. Es ändert sich positiv was für Bürgerinnen und Bürger. Das habe ich eben gesagt: Rechtsschutzmöglichkeit, Benachrichtigungspflichten und so weiter. Und wir führen ein aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass bei Seelsorgern, soweit sie seelsorgerisch tätig sind, und bei Strafverteidigern, soweit sie insoweit tätig sind, und bei Abgeordneten erst gar nicht abgehört werden darf. Das ist eine quasi on the top, was wir einbringen aufgrund Karlsruher Entscheidungen, und im Übrigen bleibt es dabei, wie jetzt die Rechtslage auch ist. Das heißt, es wird niemand mehr abgehört oder so was, sondern es wird allenfalls weniger abgehört, weil Richter eben künftig noch zu einer gesonderten Verhältnismäßigkeitsprüfung verpflichtet sind.
Schütte: Sie sagen also, das wird in den Medien etwas falsch dargestellt. Mich verwundert dann nur, dass auch namhafte Juristen davon sprechen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht nun zweigeteilt wird und es ein Zwei-Klassen-System geben soll.
Zypries: Ja gut. Das liegt daran, dass wir diese drei Gruppen, von denen ich eben sprach, noch ein kleines bisschen besser stellen, als sie jetzt ohnehin stehen. Dann kann man natürlich sagen gut, je mehr ich das nach oben verbessere, dann fallen andere nach unten. Aber die Rechtslage derer, die sich jetzt beschweren, wird nicht verschlechtert gegenüber dem jetzigen Zustand, sondern sie wird im Gegenteil verbessert.
Schütte: Heute ist das Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung im Bundestag. Was ist der nächste Schritt, die Online-Durchsuchung?
Zypries: Ich würde das nicht in eins stellen, um das ganz klar zu sagen. Die Strafprozessordnungsmöglichkeiten gibt es heute schon. Die novellieren wir nur und geben verbesserte Bürgerrechte durch verbesserte Informationen, Benachrichtigungen und Eingriffshüllen. Die Vorratsdatenspeicherung ist in der Tat eine andere Form von tatsächlichem Eingriff. Das stimmt. Da werden jetzt Daten gespeichert, aber diese Daten werden nur dann abgefragt, wenn es um den Verdacht einer schweren Straftat geht und ein Gericht entschieden hat. Die Online-Durchsuchung wäre noch mal eine Neueinführung eines anderen Elements, was insbesondere für den präventiven Bereich ja gelten soll und nicht zur Verfolgung von Straftaten, sondern im Vorfeld schon eingesetzt werden soll. Dieses Projekt betreibt mein Kollege Schäuble, und deswegen kann ich da zum Zeitplan sowieso nichts sagen.
Schütte: Wir haben zu Beginn über die Befürchtungen der Bürger über einen Überwachungsstaat gesprochen. Wo ist für Sie, Frau Zypries, eine Grenze erreicht bei der Erfassung von Daten?
Zypries: Man kann das, Herr Schütte, nicht so allgemein sagen. Das hängt doch immer ganz stark davon ab, was wir für eine Gefahrenlage haben. Ich sage mal, wären solche Attentate wie in Madrid nicht passiert, dann wäre man nicht auf die Idee gekommen zu sagen, das sind wichtige Daten für uns zur Aufklärung solcher terroristischen Anschläge, und deshalb wollen wir die europaweit jetzt speichern. Das heißt also, je mehr wir solche terroristischen Anschläge haben oder auch uns anderen Formen von schwerster Kriminalität gegenüber sehen wie zum Beispiel organisierter Kriminalität, oder wenn der Rechtsradikalismus wieder stärker werden sollte, dann muss man natürlich als abwehrbereiter Staat zur Verteidigung unserer demokratischen Rechte auch bereit sein, etwas zu tun. Wo diese Grenze im Einzelnen ist, kann man so allgemein nicht sagen, sondern das muss dann immer sehr konkret abgewogen werden.
Schütte: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Vielen Dank für das Gespräch.
Zypries: Bitteschön.