Montag, 29. April 2024

Archiv

100 Jahre "Kathimerini"
Alle Krisen überstanden

Zwar hat die griechische Tageszeitung "Kathimerini" nur noch eine Auflage von wenigen zehntausend Exemplaren. Doch der gesellschaftliche Einfluss ist auch 100 Jahre nach der Gründung noch groß – auch weil das Blatt ein breites Meinungsspektrum abbildet.

Von Marianthi Milona | 17.01.2019
    Ein Mann nimmt eine Ausgabe der griechischen Tageszeitung "Kathimerini" von einem Aushang. Auf dem Titelbild vom 07. März 2014 ist der damalige Bundespräsident Joachim Gauck beim Staatsbesuch zu sehen.
    Die Tageszeitung "Kathimerini" gehört zu den traditionsreichsten Blättern Griechenlands. (dpa / Orestis Panagiotou)
    Montagmorgen im nordgriechischen Büro der "Kathimerini". Seit früh morgens beschäftigen sich die Mitarbeiter mit den aktuellen Themen. An diesem Tag geht es um die Beziehungen zwischen Griechenland und dem kleinen angrenzenden Staat Mazedonien. Für Stavros Tsimas, Journalist bei der "Kathimerini", ist die Klärung des Konflikts schon längst überfällig. Und so schreibt er es auch in seiner Kolumne. Seit 25 Jahren ist Tsimas in Nordgriechenland und dem Balkan für seine Zeitung unterwegs.
    "Die Kathimerini ist eine Zeitung, die heute politisch dem rechten Lager angehört. Doch seit ihrer Gründung im Jahr 1919 galt der Vorsatz, liberal zu berichten. Für griechische Bürger ist das bis heute keine Selbstverständlichkeit. Die politische Ausrichtung einer Zeitung ist für die meisten ausschlaggebend, ob man die Zeitung am Ende kauft oder nicht. Die 'Kathimerini' will das anders. Unter ihren Autoren befinden sich Journalisten und bekannte Persönlichkeiten aus allen Bereichen des politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens."
    Viele Krisenzeiten überstanden
    Vermutlich ist das ein wichtiger Grund, warum die überregionale griechische Tageszeitung, mit Hauptsitz in Athen, im Gegensatz zu anderen Blättern die Krise überstanden hat, wie überhaupt viele Krisen im zurückliegenden Jahrhundert.
    Ihr erster Herausgeber, Giorgos Blachos, war selbst Journalist und Theaterdramaturg gewesen. Er führte das damals eher linksliberale Tagesblatt konsequent durch zahlreiche politisch und gesellschaftlich stürmische Zeiten. Wie zum Beispiel nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als Hunger und Not im Land herrschten. Oder während der kleinasiatischen Katastrophe 1922, als zum ersten Mal nach 500 Jahren Griechen und Türken voneinander getrennt wurden.
    Stavros Tsimas zählt noch andere Daten auf: "Die schwierigsten Jahre für die Kathimerini sind die deutsche Besatzungszeit 1941-45 und die Jahre der griechischen Militärdiktatur 1967-74 gewesen. Damals zwangen die faschistischen Generäle, Eleni Blachou, die den Verlag von ihrem Vater übernommen hatte, die Zeitung zu schließen. Wenn eine Zeitung von der Oberfläche verschwindet, dann könnte man meinen, dass sie sehr bald von den Menschen vergessen sein wird. Nicht die 'Kathimerini'! Sie wurde nach dem Fall der Junta von der Bevölkerung sofort wieder gelesen und die ist ihr bis heute treu geblieben."
    Großer gesellschaftlicher Einfluss
    Von den damals 150.000 täglich verkauften Exemplaren, kann man bei der "Kathimerini" heute allerdings nur noch träumen. Stavros Tsimas beschreibt, warum sie sich trotzdem immer noch von anderen griechischen Zeitungen abhebt: "Du liest Texte eines konservativ denkenden Generals und findest daneben Kommentare eines linksorientierten Politikers oder eines liberal denkenden Journalisten. Das, worauf bei uns Journalisten immer wieder geachtet wird, ist: Keine extremen Äußerungen und kein Aufheizen der Emotionen beim Leser."
    Im Vergleich zu griechischen Skandalblättern sind die Verkaufszahlen der "Kathimerini" eher niedrig und verraten nichts von ihrem wahren Einfluss auf die Gesellschaft. Stavros Tsimas erinnert sich: "Ich werde nie vergessen, was mir der erste Präsident der damals unabhängigen Republik Mazedonien, Kiro Glygorov, Mitte der 90er Jahre sagte: 'Wir verfolgen und beobachten immer, was in der 'Kathimerini' geschrieben steht, weil wir wissen, welchen Einfluss es auf diplomatische, geistige, politische und wirtschaftliche Kreise ausübt'. Das war mir als junger Journalist damals gar nicht so bewusst."
    "Recht altklug und belehrend"
    Die Leser der "Kathimerini" reichen auch heute von der griechischen Mittelschicht bis zu den höheren politischen und akademischen Kreisen. Möchte sie sich allerdings für die Zukunft wappnen, sollte sie sich vielleicht den Rat eines Lesers zu Herzen nehmen. Der junge Grieche, Alexis Sourtis meint: "Mir gefallen viele ihrer Kolumnisten, weil sie seriös sind, auch wenn ich nicht immer ihre Meinung teile. Die Sprache ist anspruchsvoll, das Thema kann aber von einem Laien verstanden werden. Jedoch fehlt eine provokative Auseinandersetzung. Da müsste es noch etwas geben, das mich als Leser vom Hocker reißt. Sie kommt auch mal recht altklug und belehrend daher."
    Vermutlich kein schlechter Rat, um auch die nächsten 100 Jahre als gedruckte Zeitung zu bestehen.