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100 Tage schwarz-blaue Regierung in Österreich
Viele Skandale und ein zweiter "Schweigekanzler"

In den ersten 100 Tagen der schwarz-blauen Regierung gab es in Österreich gleich mehrere handfeste Skandale: Antisemitismus in regierungsnahen Burschenschaften, ein gekipptes Rauchverbot und Streit mit einem ORF-Moderator. Während die FPÖ poltert, bleibt Sebastian Kurz glatt unverbindlich.

Von Andrea Beer | 22.03.2018
    ÖVP und FPÖ präsentierten auf dem Kahlenberg nach der gestrigen Einigung genau zwei Monate nach der Wahl das regierungsprogramm der türkis-blauen Koalition. Die designierten Regierungschefs, Sebastian Kurz, Bundeskanzler (L/ÖVP), Heinz-Christian Strache Vizekanzler (R/FPÖ)
    Österreichs Regierungschefs:Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) (imago / Georges Schneider )
    Langweilig waren sie nicht, die ersten 100 Tage. Vor allem rund um die FPÖ gab es gleich mehrere handfeste Skandale. Bei Burschenschaften mit engen Verbindungen bis in die Regierungsspitze wurden Liederbücher mit antisemitischen Texten gefunden.
    "Es hat allein in der letzten Woche mehrere Fälle gegeben von massivem Antisemitismus, bei denen man auch nicht zusehen oder wegsehen darf."
    Kanzler Sebastian Kurz über den Rassismus, der die Rechtspopulisten nun veranlasst ihre Parteigeschichte aufzuarbeiten. Die antisemitischen Skandale erregten auch im Ausland Aufmerksamkeit. Während in Österreich Schwarz-blau auch mit Kürzungen im Sozialbereich für Gesprächsstoff sorgte.
    Für geflüchtete Menschen soll es weniger Sozialleistungen geben, ein Familienbonus wurde eingeführt, ein Programm für ältere Langzeitzeitarbeitslose beendet. Ein Lieblingsprojekt der Sozialdemokraten, die ihre Rolle in der Opposition noch finden müssen.
    Diskussion ums Rauchverbot
    Gelegenheit gab die landesweite Debatte um das geplante Rauchverbot in Lokalen, das die Regierung auf Wunsch der FPÖ gekippt hat.
    Ex-Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern: "Halte ich für völlig unangebracht."
    Eine Meinung, die der eher lustlos wirkende Oppositionsführer mit einer halben Million Österreicher teilt. Denn so viele haben für das Volksbegehren "Don’t smoke" unterschrieben.
    Der Ansturm der Bürger legte tagelang viele Server lahm und das regte Rauchgegner, wie hier in Innsbruck, noch mehr auf: "Es ist so, als würde man einfach Hindernisse vor die Beine werfen." - "Wir sind wild und wütend, das sage ich Ihnen!"
    Der zweite Schweigekanzler
    Auch in der ÖVP würden viele liebend gerne am geplanten Rauchverbot festhalten, unter anderem der erklärte Nichtraucher Sebastian Kurz. Zu seinem Koalitionspartner äußert er sich zurückhaltend und oft nur auf Twitter. Er bleibt höflich, glatt unverbindlich und wird von Journalisten schon der zweite Schweigekanzler genannt. Frei nach dem letzten ÖVP Kanzler Wolfgang Schüssel.
    Dieser regierte ebenfalls mit den Rechtspopulisten und schwieg häufig zu rechten Eskapaden, erinnert Nina Horaczek von der Wochenzeitung "Falter": "Er kann nicht so tun, als hätte er mit seinem Koalitionspartner nichts zu tun."
    Auf Wolfgang Schüssels schwarz-blaue Regierung lastete europaweit bekanntlich weit mehr Druck als heute auf schwarz-blau. Und Kanzler Kurz legte von Beginn an größten Wert auf einen proeuropäischen Kurs, zumal Österreich ab Mitte des Jahres den EU Vorsitz übernimmt.
    "Unser großes Ziel als Österreich ist hier, ein Brückenbauer zu sein."
    FPÖ sorgte für mehrere Skandale
    Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz Christian Strache setzte unterdessen auf Konfrontation und bezichtigte den landesweit bekannten ORF-Moderator Armin Wolf auf Facebook als Lügner. Reine Satire, so Strache: "Wenn Sie so wollen, war das mein Beitrag zum Faschingsdienstag."
    Es folgte eine Klage, bei der sich die Parteien inzwischen verglichen haben.
    Unterdessen hat sich eine weitere komplizierte Affäre um FPÖ Innenminister Herbert Kickl auf die Agenda geschoben. Die Opposition mutmaßt, dass Kickl den Chef des Verfassungsschutzes schassen will.
    Aus zwei Gründen: um ihn durch blaue Getreue zu ersetzen und um an Unterlagen des Verfassungschutzes über Rechtsextremismus zu kommen. SPÖ-Fraktionschef Schieder sieht den Sicherheitsapparat beschädigt, der auf Zusammenarbeit mit dem Ausland angewiesen sei.
    "Sie haben es geschafft, in weniger als 100 Tagen das Vertrauen in die Staatssicherheit tief zu erschüttern."
    Die Antwort von FPÖ-Innenminister Kickl in der gestrigen Sondersitzung des Parlaments brachte selbst ausgewiesene FPÖ-Gegner zu Lachen: "Die ausländischen Geheimdienste machen Ihnen Sorgen - nennen Sie mir einen Vertreter dieser Einrichtungen, der das laut in der Öffentlichkeit sagt."
    Die nächsten 100 Tage von Schwarz-blau, sie werden sicher nicht langweilig.