Dienstag, 19. März 2024

Archiv

100 Tage Trump
Rückschlag für das friedliche Zusammenleben

Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump vor 100 Tagen ist der Ton in der US-amerikanischen Gesellschaft rauer geworden. In der Stadt Ferguson bei St. Louis etwa, wo es 2014 schwere Rassenunruhen gab, nehmen Afroamerikaner ihre Kinder ins Gebet. Sie sollen lernen, wie man sich im Umgang mit Polizisten richtig verhält.

Von Sabine Adler | 27.04.2017
    Ein Wahlplakat in Ferguson bei St. Louis erinnert noch mahnend an die Gewalt und die Rassenunruhen in der Stadt.
    Ein Wahlplakat in Ferguson bei St. Louis erinnert noch mahnend an die Gewalt und die Rassenunruhen in der Stadt. (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    "Das war die Tankstelle, die man aus den Medien kennt. Man sah, wie sie abbrannte. Die Eigner bauten sie nicht wieder auf, sondern gaben das Grundstück an die Regionalregierung. Und die errichtet jetzt hier ein Berufsbildungszentrum, was natürlich gut ist. Aber man kann jetzt nirgendwo in der Nähe mehr Benzin bekommen."
    Nick Kasoff vermietet Wohnungen und hat Zeit, die Schauplätze der wochenlangen Proteste zu zeigen. Er führt uns durch ein ruhiges Viertel, viel zu gepflegt, viel zu grün für Gewalt und Ausschreitungen. Doch genau hier wurde am 9. August 2014 der schwarze High-School-Absolvent Michael Brown erschossen.
    "Wir gehen jetzt die Canfield-Straße runter zu den Canfield-Wohnungen, wo die Schüsse gefallen sind. Mike Brown kam von dem Laden zurück und ging auf der Straße, als der Polizist ihn anhielt. Hier ist die Michael-Brown-Erinnerungsplakette. Hier geschah es."
    Der Albtraum aller afroamerikanischen Eltern
    Michael Browns Schicksal ist der Albtraum von Linda Lockhart und allen afroamerikanischen Eltern. Sie versuchen deswegen rechtzeitig, die Kinder zu einem ernsthaften Gespräch beiseite zu nehmen. Danach sehen vor allem Söhne die Welt mit anderen Augen.
    "Wir nennen es 'the talk', das Gespräch. Wir erklären ihnen, die bisher nur Liebe erfahren haben, dass die Welt ungerecht und unfair ist. Wie sie sich benehmen müssen, wenn sie unterwegs von einem Polizisten angehalten werden, dass sie dann nur mit "Ja Sir, nein Sir" antworten dürfen. Die Hände immer so halten müssen, dass sie sichtbar sind und dass niemand sagen kann, sie wollten eine Waffe ziehen. Diese Art von Konversation haben Weiße wohl eher nicht."
    Über Jahre sollten Polizei und Justiz in Ferguson nicht für die Verbrechensbekämpfung, sondern mit Strafmandaten für volle Stadtkassen sorgen, lautet der Vorwurf gegenüber den Behörden. Per Gesetz wurde jetzt eine Obergrenze für Einnahmen aus Strafmandaten eingezogen. Ein Erfolg der Bürgerinitiativen, in denen sich Leute wie der weiße Vermieter Nick Kasoff oder der Lehrer John Powell engagieren. Doch nicht alle sind zu einem Schulterschluss zwischen Weißen, Schwarzen und Menschen ganz gleich welcher Hautfarbe bereit, sagt der Aktivist John Powell.
    "Die Trump-Wahl ist leider eine Reaktion darauf, dass sich viele Leute, meist Weiße, diesen Problemen nicht stellen wollen, zumal man selbst von diesem System profitiert, weil es einen als Weißen privilegiert."
    Der Hass ist nicht größer geworden, nur offener
    Chris Phillipps engagiert sich ebenfalls, wie viele Schwarze aus Ferguson. Er hat schon als Fünfjähriger vom Rücksitz im Auto aus beobachtet, wie die Polizei seinen Vater schikanierte. Er bedauert, dass Ex-Präsident Barack Obama kein ein einziges Mal in Ferguson war. Seit dem Sieg von Donald Trump sei der Ton in der Gesellschaft noch rauer geworden, am Hass habe sich aber nichts verändert.
    "Der Hass ist nicht größer geworden, sondern die Leute geben jetzt nur ihre wahren Gefühle klarer zu erkennen. Trump hat diese Ambitionen genährt. Die Leute sind regelrecht stolz auf ihren Hass und Rassismus. Jetzt kommen sie heraus, schwenken die Konföderationsflagge, geben auf Kindergeburtstagen Siebenjährigen Waffen, stecken Kreuze in Brand."
    Chris Philipps und Carla Fletcher könnten äußerlich nicht unterschiedlicher sein. Er jung, groß, muskulös, schwarz, sie seit langem Rentnerin, gebrechlich, zierlich, weiß. In Drake‘s Cafe auf der Florissant Avenue berichten sie von ihrem Einsatz für ein gewaltfreies Zusammenleben in Ferguson, das nach der Wahl von Donald Trump einen Rückschlag erlitten habe.
    "Ich bin kein Fan von ihm wegen seiner Art, alles erst einmal zu zerstören, damit es besser wird."
    Ungerechtigkeiten sind systemisch
    Carla Fletcher hat als Rechtsanwältin viele junge Schwarze verteidigt. Sie hätte wissen können, dass die Ungerechtigkeiten systemisch, keineswegs Einzelfälle sind. Das wirft sie sich jetzt selbst vor.
    "Ich trage etwas von dieser weißen Schuld in mir. Ich wusste, dass Schwarze anders behandelt werden. Eines der Privilegien, die du als Weiße hast, ist, dass du darüber nicht nachdenken musst."
    Sie hat einen Buchclub gegründet, in dem sie gemeinsam Literatur über Rassendiskriminierung lesen. Doch die Leute, die sich der Problematik verweigern, erreichen auch sie nicht.
    Robert Kenney wohnt in einem gemischten Viertel von St. Louis, das ebenfalls Rassenunruhen erlebt hat. Der massige Weiße lässt sich keinen Rassismus vorwerfen, er ist mit seinem Nachbarn, einem schwarzen Lokalpolitiker, eng befreundet. Der ehemalige Buchhalter, Vater zweier Kinder, ist selbst Vertreter einer Minderheit.

    "Ich bin 70. Obwohl ich verheiratet war, bin ich schwul. Die meisten meiner Freunde sind Republikaner."
    Robert Kenney und sein Nachbar
    Robert Kenney und sein Nachbar (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Zufrieden mit dem, was Trump macht
    Robert Kenney ist katholisch und ein strikter Abtreibungsgegner. Mit seiner Homosexualität widerspricht er dem Klischee vom Trump-Wähler.
    "Ich bin zufrieden mit dem, was Trump politisch tut. Seine Tweets sind zwar total peinlich, aber wenn man seine Persönlichkeit bei Seite lässt, unterstütze ich das Meiste: seine Regierungsmannschaft, seine Politik. So gesehen hat sich meine Hoffnung erfüllt."
    Gene Hutchins, ein anderer Trump-Unterstützer, trägt eine Trump-Baseball-Kappe und ebenfalls einen beachtlichem Bauch. Der 68-Jährige ist seit sieben Jahren Mitglied der Republikanischen Partei. Er hat sich im Sessel so weit zurückgelehnt, dass er fast liegt. Nur bei der Frage, wie seine Frau gewählt hat, schnellt er in die Senkrechte.
    "Meine Frau ist das genaue Gegenteil, sie ist liberal. Ich habe ständig kritisiert, was Obama tat. Als jetzt Trump an die Macht kam, sagte sie mir: Du hast mir acht Jahre lang die Hölle heiß gemacht, jetzt kriegst du das alles zurück."