Freitag, 26. April 2024

Archiv

70 Jahre NRW
"Kommt ein Westfale, der einen Papagei auf der Schulter hat, in die Kneipe..."

Es gebe nicht das eine Nordrhein-Westfalen. Es gebe die Vielfalt, sagte der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) im DLF. Gerade die kleinen regionalen Unterschiede machten "das Leben doch auch lebenswert". Zur Verdeutlichung erzählte Rüttgers den Witz vom maulfaulen Westfalen und seinem gesprächigen Papagei.

Jürgen Rüttgers im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.08.2016
    Der CDU-Politiker Jürgen Rüttgers am 4. September 2015
    "Kommt ein Westfale, der einen Papagei auf der Schulter hat, in die Kneipe..." Der CDU-Politiker Jürgen Rüttgers hatte als NRW-Ministerpräsident eine Sammlung von einigen Dutzend Westfalen-Rheinland-Witzen. (imago / Future Image)
    Christoph Heinemann: "Das Land ist ein Kriegskind." So hat es der Kabarettist Jürgen Becker formuliert. Wie so viele politische Einheiten in Europa ist auch Nordrhein-Westfalen das Ergebnis von Krieg, Trümmern und dem Willen, Grenzen neu zu ordnen. Im August 1946 fügte die britische Militärregierung den nördlichen Teil der preußischen Rheinprovinz und die preußische Provinz Westfalen zusammen, später stieß das Gebiet Lippe dazu. Fertig war Nordrhein-Westfalen.
    Die ersten 70 Jahre werden in diesen Tagen gefeiert. Zum NRW-Tag werden von heute an bis Sonntag rund eine Million Besucher in Düsseldorf erwartet.
    Nordrhein-Westfalen - heute Früh habe ich den ehemaligen Ministerpräsidenten des bevölkerungsreichsten Landes Jürgen Rüttgers (CDU) gefragt: Wie trennend ist der Bindestrich?
    Jürgen Rüttgers: Gar nicht! Er zeigt nur, dass wir zusammen gehören, wobei die Frage, die Sie gerade stellen, die ist in den letzten Tagen häufig auch bei den öffentlichen Veranstaltungen, bei den Reden immer wieder behandelt worden und ich meine falsch beantwortet worden. Da wird immer gesagt, das ist ein Kunstprodukt, NRW, das ist ein Land, das irgendwie nicht zusammenpasst, es ist bis heute nicht so, dass da ein NRW-Gefühl sich entwickelt hat. Ich bin der gegenteiligen Auffassung. Ich bin viel, viel durchs Land gefahren, über zehn Jahre lang jeden Tag, und die Menschen fühlen sich als Nordrhein-Westfalen, auch als Westfale, auch als Lipper, auch als Rheinländer. Aber das ist ja gerade heute in der Moderne so, dass man auch verschiedene Identitäten in sich und mit sich vereinen kann.
    Den Strukturwandel habe NRW geschafft, weil man zusammen war
    Heinemann: Aber was verbindet Rheinländer und Westfalen?
    Rüttgers: Da verbindet zum Beispiel das Bewusstsein, dass Nordrhein-Westfalen die großen Umbrüche der letzten sieben Jahre, die wir immer mit dem Begriff Strukturwandel bezeichnen, dass wir die nur gemeinsam haben schaffen können, dass überhaupt die Demokratie in Nordrhein-Westfalen nur entstanden ist, weil das Rheinland und Westfalen, später Lippe dazu und auch kann man das in dem Zusammenhang erwähnen) das Ruhrgebiet, nur sich an die große revolutionäre Veränderung von der Diktatur zur Demokratie haben auch gewöhnen können, weil man eben zusammen war.
    Heinemann: Das Verbindende hat sich aber zum Beispiel zwischen Kölnern und Düsseldorfern noch nicht so richtig eingestellt.
    Rüttgers: Ach, das gehört dazu. Ich habe als Ministerpräsident auch eine Sammlung von einigen Dutzend Westfalen-Rheinland-Witzen gehabt.
    Heinemann: Erzählen Sie einen!
    Rüttgers: Einen kleinen.
    Heinemann: Bitte!
    "Diese Kleinigkeiten machen das Leben doch auch lebenswert"
    Rüttgers: Kommt ein Westfale, der einen Papagei auf der Schulter hat, in die Kneipe, geht zur Theke und zeigt einen Finger hoch, heißt bestellt ein Bier, sagt keinen Ton. Er bekommt das Bier. Und dann auf einmal sagt der Wirt zu ihm: Spricht der da? Meint natürlich den Papagei. Und dann sagt der Papagei: Weiß ich auch nicht! - Das sind so diese Kleinigkeiten, die wir zwischen Köln und Düsseldorf im Karneval haben. Die haben wir übrigens in vielen, vielen Ortschaften, übrigens auch gerade nach der kommunalen Neuordnung, aber die machen das Leben doch auch lebenswert, weil es das Leben etwas leicht macht.
    Heinemann: Als Sie in Köln geboren wurden, bestand Nordrhein-Westfalen seit fast fünf Jahren. Haben Sie sich damals schon als Nordrhein-Westfale gefühlt?
    Rüttgers: Nein! Da habe ich mich als gar nichts gefühlt. Da war ich froh, wenn ich satt wurde.
    Heinemann: Ab wann haben Sie sich als Nordrhein-Westfale gefühlt?
    Rüttgers: Ich glaube, schon in der Schule ging das langsam los. Wir hatten einen guten Heimatkunde-Unterricht, einen guten Geschichtsunterricht. Da gab es schon Sachen, die man wusste. Man wusste vom Ruhrgebiet, wusste von den Kumpeln, man wusste vom größten Binnenhafen der Welt im Duisburger Hafen, der übrigens in diesen Tagen seinen 300. Geburtstag feiert.
    In der Geschichte haben wir auch mal gelernt, dass wir eine Phase gehabt haben, wo wir 250 Jahre alle von einer Stelle aus regiert worden sind, nämlich damals vom Erzbischof von Köln, der auch gleichzeitig Bischof von Münster war und gleichzeitig Erzbischof von Paderborn. Also da gibt es schon viele Gemeinsamkeiten. Und wer es gar nicht glaubt, der soll mal auf der B1 fahren, eine Bundesstraße, die von Aachen im Westen bis auch dann zum Osten führt, mitten durch Nordrhein-Westfalen, durch wunderschöne Landschaften.
    Heinemann: Wir grüßen alle Hörerinnen und Hörer auf der B1! - Bei Bayern, Herr Rüttgers, fällt einem je nachdem Lederhose oder Laptop ein. Was ist typisch für das Bindestrichland Nordrhein-Westfalen?
    Rüttgers: Da habe ich lange drüber nachgedacht und habe auch versucht, was Ähnliches zu finden. Mir ist das leider nicht gelungen, weil es gibt nicht das eine in Nordrhein-Westfalen. Es gibt die Vielfalt und die kann man nicht auf einen Begriff bringen.
    Heinemann: Nordrhein-Westfalen war vor allem durch das Ruhrgebiet lange Zeit das Zentrum der deutschen Wirtschaft. Hat das Land den Anschluss verpasst?
    "Prozess der Deindustrialisierung in der Metropole Ruhr"
    Rüttgers: Dafür ist jetzt - wir reden in dem Zusammenhang von der Industrie - Südwestfalen der Teil, der den höchsten Industriebesatz in Deutschland hat. Ich will Ihnen, Herr Heinemann, sagen: Ich mache mir da große Sorgen, gerade auch um die Metropole Ruhr. Da haben wir einen nicht mehr wegzudiskutierenden Prozess der Deindustrialisierung. Und wie wichtig Industrie ist, das haben wir ja gerade in der Finanzkrise gemerkt. Wir sind ja nur deshalb gestärkt aus dieser Krise hervorgekommen - und damit meine ich jetzt ganz Deutschland -, weil wir einen noch relativ hohen Industriebesatz haben, etwa im Vergleich zu Großbritannien oder im Vergleich zu Frankreich.
    Heinemann: Wieso regiert in Nordrhein-Westfalen fast immer die SPD?
    Rüttgers: Nein, das stimmt ja auch nicht. Am Anfang hat fast immer …
    Heinemann: In den letzten Jahrzehnten.
    Rüttgers: Na ja. Aber am Anfang hat zuerst mal fast immer die CDU regiert. Dann hat die CDU große Fehler gemacht und dann hat eine lange, lange Zeit, auch mit dem Namen Johannes Rau verbunden, die SPD regiert. Und 2005 habe ich ja gezeigt, dass das auch anders geht.
    Heinemann: Hielt dann aber nur fünf Jahre.
    Rüttgers: Ja das ist aber im Moment doch anscheinend überall so und hatte übrigens keine nordrhein-westfälischen Gründe, sondern damals eine Entscheidung der Bundesregierung im Jahre 2010, nämlich im Kontext der Eurokrise und der Staatsschuldenkrise doch Geld an Griechenland zu geben, was ich übrigens persönlich immer gefordert hatte und was auch richtig ist. Aber man hätte nicht so lange tun sollen gegenüber den Bürgern, dass es nie irgendeinen Transfer gibt. Europa ist eine Transferunion, genauso wie übrigens Deutschland eine Transferunion ist.
    Vielfalt hat immer in der Geschichte zu Deutschland gehört
    Heinemann: Apropos, Herr Rüttgers. Wenn Sie dürften, wie Sie wollten, wie viele Bundesländer blieben dann übrig?
    Rüttgers: Ich würde keine Reform machen. Ich würde keines abschaffen. Auch die kleinen nicht, weder Bremen noch Hamburg noch das Saarland, weil gerade die Unterschiedlichkeit auch da ganz wichtig ist. Die beiden Städte, wenn Sie wollen Berlin dazu, dann sind es drei, auf der einen Seite, auch die kleinen Bundesländer, zusammen mit den großen, geben auch eine Repräsentanz in der Demokratie in unseren beiden Parlamenten, sowohl im Bundestag wie im Bundesrat, auch von der Vielfalt, die immer in der Geschichte zu Deutschland gehört hat.
    Heinemann: Jürgen Rüttgers (CDU), der ehemalige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Gespräch haben wir vor anderthalb Stunden aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.