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Abgas-Skandal
Schadenersatz für Volkswagen-Aktionäre?

Eine Investition an der Börse ist mit Risiko - also Geldverlust - verbunden. Aber unter bestimmten Bedingungen haben Aktionäre die Möglichkeit, Schadenersatz zu fordern: Wenn ein Unternehmen für die Kursentwicklung relevante Informationen nicht oder nicht rechtzeitig veröffentlicht hat. Im Fall des Abgas-Skandals um Volkswagen prüfen derzeit Anwälte und Aktionäre die Erfolgsaussichten.

Von Alexander Budde |
    Logo vom Automobilhersteller Volkswagen VW am Verwaltungsgebäude in Wolfsburg
    Hat der Konzern zu spät seine Anleger informiert? (imago stock&people/Christian Schroedter)
    Alexander Noll ist auf VW nicht gut zu sprechen. Der Kleinanleger aus Hessen hat im Mai und Juni dieses Jahres für durchschnittlich 208 Euro pro Aktie insgesamt 170 Vorzugsaktien von VW gekauft. Bei 35.000 Euro Investment ist bislang ein Vermögensverlust von 17.000 Euro aufgelaufen.
    "Ich denke, man kann mit vielen Risiken leben an der Börse, aber mit einer vorsätzlichen Manipulation, da fühle ich mich schon sehr getäuscht."
    Offenbarungspflichtige Insiderinformationen
    Noll verlangt von Volkswagen Schadensersatz, also die Rückabwicklung seiner Aktienkäufe. Und die Aussichten ihres Mandanten seien gut, sagt Grubers Fachanwältin Petra Brockmann von Hahn Rechtsanwälte, einer Wirtschaftskanzlei in Bremen. Volkswagen habe es nämlich unterlassen, offenbarungspflichtige Insiderinformationen unverzüglich in Form sogenannter Ad-hoc-Mitteilungen offenzulegen. Solche Informationen für die Anleger sind im Wertpapierhandelsgesetz zwingend vorgeschrieben.
    "Insiderinformationen sind in diesem Zusammenhang die Manipulation der Abgastests, die von VW durchgeführt worden sind. Der Aktionär kann in diesem Fall Schadensersatz geltend machen, bzw. Rückabwicklung des Aktienkaufes, weil er bei Kenntnis der Insiderinformationen die Aktien selbst nicht gekauft hätte."
    Voraussetzung für die Klage sei, dass die Aktien zum Zeitpunkt der tatsächlichen Bekanntmachung der Manipulationen durch den damaligen Konzernchef Winterkorn noch gehalten wurden. Das war am 20. September. Noch hat der VW-Aufsichtsrat nicht erklärt, welche Informationen nach dem 3. September im Management kursierten. An diesem Tag hatte Volkswagen in den USA eingeräumte, dass es eine Betrugs-Software gebe, mit deren Hilfe sich bessere Abgaswerte auf dem Prüfstand vorgaukeln ließen.
    Medien berichten über Aussagen eines Technikers vor der Konzern-Revision, die den Schluss nahelegen, dass die Wolfsburger schon viel früher gewarnt waren - möglicherweise auch schon von der gigantischen Zahl von elf Millionen weltweit betroffenen Fahrzeugen wussten. Der Skandal hat seinen Ursprung bereits im Jahr 2014, als unabhängige Messungen in Deutschland, später auch in den USA den massiven Widerspruch zwischen den Herstellerangaben und den realen Stockoxid-Emissionen auf der Straße nachwiesen.
    Die Wolfsburger offenbarten sich der US-Umweltbehörde - spätestens da hätten im VW-Konzern sämtliche Alarmglocken läuten müssen, meint auch der Präsident der Aktionärsvereinigung DSW, Ulrich Hocker. Auch die DSW prüft die Einreichung so genannter Musterklagen, Sollte sich der Verdacht erhärten, dass Volkswagen die Anleger zu spät oder fehlerhaft informiert hat. Auch die Wertpapieraufsicht untersucht den Fall.
    Denn eine reguläre Information an den Kapitalmarkt gab Volkswagen erst am Dienstag vergangener Woche heraus. Bereits am Vortag war die VW-Vorzugsaktie um zeitweise mehr als ein Fünftel eingebrochen.
    Ein Drittel des Börsenwerts eingebüßt
    Der VW-Konzern, der vor zwei Wochen an der Börse noch mit rund 80 Milliarden Euro bewertet wurde, hat binnen einer Woche mehr als 25 Milliarden Euro und damit ein Drittel seines Börsenwertes eingebüßt. Wie hoch die Rechnung für Europas größten Autobauer letztlich ausfallen wird, kann derzeit niemand seriös beziffern. Neben den Risiken für Umsatz, Image und Gewinn drohen Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen und Prozesskosten in Milliardenhöhe, sagt Autoanalyst Frank Schwope von der Nord LB.
    "Im ersten Moment hat das natürlich sehr übertrieben ausgesehen, das war am ersten Tag um die 20 Prozent. Aber die Kosten, die Volkswagen jetzt zu tragen hat, mit Strafzahlungen, mit Schadensersatzzahlungen, mit Rückrufaktionen, dürften sich mit Sicherheit im zweistelligen Milliardenbereich bewegen."
    Manche Anleger liebäugeln mit dem Kauf von VW- oder anderen Autoaktien, weil sie vermuten, dass diese auf dem vermeintlichen Tiefpunkt nun billig zu haben sein. Die Experten von Finanztest raten indes zur Vorsicht. Ob eine Aktie ihren aktuellen Preis wert ist, hängt nämlich vom künftigen Geschäftserfolg ab. Der aber lässt sich vor allem bei Volkswagen noch gar nicht abschätzen. Die Affäre zeigt auch, dass selbst gründlichste Recherche nicht vor Reinfällen schützt. Sicherer fährt, wer sich möglichst breit aufstellt, raten die Experten. Wer statt einer Einzelaktie über einen Indexfonds in die ganze Branche investiert, senkt das Risiko bereits erheblich.