Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Abgasaffäre
Dicke Luft rund um den Diesel

Der Skandal um manipulierte Abgaswerte sorgt nach wie vor für Schlagzeilen. In Deutschland sollte ein Untersuchungsausschuss für Aufklärung sorgen. In dieser Woche berät der Bundestag über den Abschlussbericht. Kritiker bemängeln, dass man bei der politischen Aufarbeitung kaum vorangekommen sei.

Von Nadine Lindner und Gerhard Schröder | 27.06.2017
    Ein silberfarbener Auspuff mit Abgasen
    Der Abschlussbericht liegt vor, der Ärger ist nach wie vor groß. (imago / Christian Ohde)
    Clemens Höbarth startet seinen Wagen, einen schwarzen VW Passat TDI, Baujahr 2007. "Das ist er, zehn Jahre alt, haben wir gebraucht gekauft." Vor sechs Jahren war das, Höbarth suchte ein Familienauto, mit viel Platz für die Kinder und niedrigen Spritkosten.
    "Also war dann relativ schnell klar, geht auf Diesel raus, weil Hybrid da seine Stärken nicht ausspielen kann und Benzin relativ teuer im Verbrauch. Und dann halt umgesehen, und dann war halt relativ schnell klar, Passat, das ist die Vernunftentscheidung, nicht sexy, aber macht halt Sinn."
    Der 39-Jährige war zufrieden mit seinem Wagen, bis der VW-Dieselskandal begann: "Die kriminelle Energie, die da zutage getreten ist, war dann schon überraschend."
    Höbarths Auto zählt zu den rund 2,4 Millionen VW-Dieselfahrzeugen in Deutschland, die der Wolfsburger Konzern mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet hat. Das bedeutet: Auf dem Prüfstand ist der Wagen unauffällig, die Abgase werden ordnungsgemäß gesäubert, auf der Straße dagegen gelangen die giftigen Stickoxide weitgehend ungefiltert in die Luft.
    Keine Chance auf die Innenstadt
    "Wenn die Fahrverbote so kommen, wie sie diskutiert werden, dann habe ich mit dem Euro-5-Diesel eine Technik, die weit davon entfernt ist, veraltet zu sein. Und ich werde auf absehbare Zeit nicht mehr in die Innenstadt kommen."
    Höbarth lächelt, dabei ist er stocksauer. In den USA hat VW die Abgasmanipulationen vor zwei Jahren eingestanden, und über 20 Milliarden Dollar an Strafen und Entschädigungen gezahlt. In Europa dagegen sollen die Verbraucher leer ausgehen. Das will Höbarth, der studierte Betriebswirt, nicht akzeptieren. Er will VW auf Schadensersatz verklagen:
    "Mir geht’s nicht um die 1.000 Euro, die ich dafür als Schadensersatz bekommen würde, das ist mir egal an der Stelle, es geht mir um eine ehrliche Kommunikation seitens der Hersteller und ein klares Schuldeingeständnis und dass mit gleichem Maß gemessen wird."
    Ansprüche an Rechtsdienstleister abgetreten
    Höbarth hat seine Ansprüche an MyRight abgetreten, ein Rechtsdienstleister, der über 25 000 VW-Kunden vertritt. Gemeinsam mit der US-Kanzlei Hausfeld will er im Herbst eine Sammelklage gegen VW einreichen. Weil der Konzern die Abgasreinigung manipuliert habe, hätten die Fahrzeuge nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprochen, sagt Christopher Rother, Deutschland-Chef der Kanzlei Hausfeld:
    "Das hat zur Folge: Das Fahrzeug hätte erstens nicht verkauft werden dürfen, zweitens nicht zugelassen werden dürfen und drittens nicht in Betrieb genommen werden dürfen. Und wir meinen, dass aus diesem Grund, Volkswagen als Hersteller verpflichtet ist, das Fahrzeug zurück zu nehmen und dem Kunden den gezahlten Kaufpreis zu erstatten."
    Drei Klage-Akten des Justiz-Dienstleisters MyRight gegen den VW-Konzern stehen auf einem Tisch.
    MyRight vertritt gemeinsam mit der US-amerikanischen Anwaltskanzlei Hausfeld Forderungen von VW-Besitzern gegen Volkswagen wegen des Abgas-Skandals. (picture alliance / Peter Steffen/dpa)
    Die rechtliche Aufarbeitung des VW-Abgas-Skandals ist die eine Dimension. Die andere ist die politische Aufklärung. Ende April 2016 erklärten die Oppositionsfraktionen im Bundestag, Linke und Grüne, dass sie die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses beantragen.
    "Wir sind entschlossen, dass aufgeklärt wird, welche Verantwortung bei der Bundesregierung liegt", so Linken-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch damals. Auf anderem Wege, also etwa im Verkehrsausschuss oder über das Mittel der Kleinen Anfrage, so Bartschs Überzeugung, sei gar keine Aufklärung zu erreichen. Im Juli beschloss der Bundestag die Einsetzung des Untersuchungsausschusses, im September 2016 begann die Beweisaufnahme.
    Niemand hatte etwas gewusst
    Es folgten 17 Sitzungstage mit über 50 Zeugenbefragungen. Darunter die ehemaligen Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee und Peter Ramsauer, sowie der amtierende Ressort-Chef Alexander Dobrindt. Ex-VW-Chef Martin Winterkorn musste aussagen, ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Alle beteuerten unisono, vor dem Auffliegen der illegalen VW-Manipulationen in den USA im September 2015 nichts gewusst zu haben.
    Merkel machte während ihrer Aussage noch einmal deutlich, dass sie weiterhin am Diesel festhält. Aus industriepolitischen Gründen und weil der Diesel weniger klimaschädliches CO2 ausstoße als ein Benzinmotor.
    Ende vergangener Woche - es ist nur ein kurzer Termin auf der Präsidial-Ebene des Bundestags, in einem Besprechungszimmer von Parlamentspräsident Norbert Lammert. Die vier Obleute Ulrich Lange, Kirsten Lühmann, Oliver Krischer und Herbert Behrens übergeben Lammert den Abschlussbericht des Ausschusses, der am kommenden Freitag im Bundestag beraten wird. Inklusive zweier Sondervoten von Grünen und Linken. Denn zu weit auseinander lagen die Einschätzungen von Koalition und Opposition.
    Ein Papierstapel von fast 700 Seiten
    699 Seiten Text - Lammert muss den dicken Papierstapel mit beiden Händen festhalten, während er sich an den Ausschussvorsitzenden der Linken, Herbert Behrens, wendet. "Herr Vorsitzender, ich bedanke mich sehr für einen Bericht, bei dem es mir noch lieber gewesen wäre, dass es ihn nicht hätte geben müssen…"
    Aber, sagt CDU-Politiker Lammert, Untersuchungsausschüsse zeichne nun mal aus, "dass sie selten einen gemütlichen Gegenstand haben."
    Der Obmann der Grünen, Oliver Krischer, ist überzeugt davon, dass der Skandal hätte verhindert werden können, wenn die Behörden die zahlreichen Hinweise zum Beispiel von Umweltverbänden ernst genommen hätten: "Es ist unfassbar eigentlich, dass eine Bundesregierung, eine Bundesbehörde über Jahre hinweg alle Hinweise ignoriert hat."
    Ein organisiertes Wegschauen
    Für Krischer ist das: organisiertes Staatsversagen. Der Obmann der Linken, Herbert Behrens, urteilt: "Für mich war es eher ein organisiertes Wegschauen, was ich festgestellt habe."
    Es sei der größte industriepolitische Skandal seit dem 2. Weltkrieg, so Behrens. Bei den Koalitionsabgeordneten hingegen: Kopfschütteln über derlei Vorwürfe. Ulrich Lange, CSU: "Wir sind überzeugt, dass die Bundesregierung keinerlei Hinweise, keine positive Kenntnis von den Abschalteinrichtungen hatte."
    Auch wenn im Untersuchungsausschuss ein direktes Fehlverhalten der Behörden letztlich nicht nachgewiesen werden konnte, bleibt bei vielen Beobachtern der Eindruck, dass Hinweise auf abweichende Schadstoffwerte äußerst passiv behandelt wurden. Entsprechend heißt es im Berichtsteil, verantwortet von den Abgeordneten der Großen Koalition, der Ausschuss habe keine relevanten neuen Erkenntnisse zu Tage gefördert. Änderungsbedarf? Fehlanzeige.
    Das Kraftfahrtbundesamt KBA soll zwar gestärkt werden, durch 21 neue Mitarbeiter und ein Messlabor mit Rollenprüfstand. An seinen Zuständigkeiten ändert sich aber vorerst nichts. Es ist weiter für Zulassung und Überprüfung der Fahrzeuge zuständig. Eine Aufspaltung der Kompetenzen und die Einbeziehung einer anderen unabhängigen Behörde wie dem Umweltbundesamt sind nicht geplant. Das hatten die Grünen gefordert. Auch Branchen-Experte Stefan Bratzel vom Auto-Institut in Bergisch-Gladbach hat seine Zweifel, ob die Personalverstärkung allein ausreicht: "Allein jetzt ein paar Headcounts beim KBA einzuführen, das geht deutlich zu kurz."
    Neues Institut für Verbrauchs- und Emissionsmessung
    Immerhin, das Verkehrsministerium lässt nun, wenige Tage bevor der Bundestag sich über den Abschlussbericht beugt, zumindest etwas Handlungswillen erkennen. Überraschend kündigte CSU-Verkehrsminister Dobrindt an diesem Dienstag an, ein neues Institut für Verbrauchs- und Emissionsmessung schaffen zu wollen. Es soll von der Auto-Industrie finanziert und von Ländern, Kommunen und Verbraucherschutzverbänden kontrolliert werden. Das Ziel: den Verbrauch der Wagen auf der Straße transparent machen. Dennoch: die Bilanz der Ausschussarbeit abgesehen von 700 Seiten Papier fällt insgesamt mager aus.
    Die entsprechende EU-Richtlinie 715/2007, die den Einsatz von Abschalteinrichtungen eigentlich verbietet, wurde nicht verschärft. Sie lässt weiterhin Ausnahmen zu Zwecken des "Motorschutzes" zu. Eine Regelung, auf die sich die Hersteller stützen, um die Abschaltung der Abgasreinigung als legal zu rechtfertigen. Seit über einem Jahr setzt sich der deutsche Verkehrsminister in Brüssel dafür ein, dass in der EU-Regelung der – Zitat - "Stand der Technik" berücksichtigt wird.
    Alexander Dobrindt in einem pilotiert fahrenden Audi A7
    Alexander Dobrindt will ein neues Institut zur Verbrauchs- und Emissionsmessung schaffen. (dpa/picture alliance/Peter Kneffel)
    Mit dieser Formulierung soll die Zahl der Ausnahmen, die sich auf den Motorschutz berufen, gesenkt werden. Aber bislang ohne Erfolg. Stattdessen: verpflichtende Rückrufe für 2,4 Millionen VW-Fahrzeuge sowie freiwillige Service-Aktionen für 630.000 Fahrzeuge der deutschen Hersteller Opel, VW, Audi, Porsche und Daimler. Und die Auto-Industrie selbst? Hat knapp zwei Jahre nach Auffliegen des Skandals ein Umdenken eingesetzt? Der-CSU-Abgeordnete Ulrich Lange hofft es wenigstens. "Nichtsdestotrotz ist die Industrie gefordert, die Standards zu liefern, die sie auch verspricht."
    "Größte Transformation in der Geschichte von Volkswagen"
    Volkswagen will den Dieselskandal am liebsten möglichst schnell hinter sich lassen. Keine einfache Aufgabe, wie VW-Vorstandschef Mathias Müller auf der Hauptversammlung im Mai einräumt: "Das Rad müssen wir nicht neu erfinden, alles andere aber schon. Im vergangenen Geschäftsjahr haben wir die Weichen gestellt für die größte Transformation in der Geschichte von Volkswagen."
    Hat Volkswagen also gelernt aus dem Dieselskandal, die richtigen Schlüsse aus den Fehlern der Vergangenheit gezogen? Axel Friedrich ist skeptisch. Er leitet das Emissionskontrollinstitut der Deutschen Umwelthilfe. Seit über zwei Jahren misst er die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen. Nicht im Labor, sondern im realen Straßenbetrieb, auf Testfahrten in der Stadt, über Land, auf der Autobahn. Friedrichs Fazit: Von 56 Fahrzeugen hielten nur vier den geltenden Grenzwert ein.
    Audi A 8 TDI hält den Negativrekord
    Der Rest – darunter Modelle von VW und Mercedes, Ford und BMW, Fiat und Opel - übertraf den zulässigen Grenzwert um ein Vielfaches. Den Negativrekord hält ein Audi A 8 TDI, den Friedrich vor drei Wochen testete. Ein Wagen, der in der Grundausstattung über 100.000 Euro kostet.
    "Das ist der neue Spitzenreiter, der 1424 Milligramm Stickoxide ausstößt, bei einem Grenzwert von 80 Milligramm. Das heißt: Unglaublich schlecht auf der Straße, gut im Labor." Ein Ergebnis, das den 69jährigen Abgastester fassungslos macht.
    "Das kann nicht sein, dass wir Fahrzeuge verkaufen, die Euro 6 einhalten sollten, aber nicht mal Euro 1 auf der Straße einhalten, ein Grenzwert, der 1991 eingeführt wurde. Das ist für mich völlig inakzeptabel."
    Eckehart Rotter, Sprecher des Verbands der Automobilindustrie VDA, widerspricht. Die Fahrzeuge müssten die Grenzwerte nur im Labortest einhalten, so schreibe es das Gesetz vor. Und diese Vorgabe erfüllten die Hersteller:
    "Der Webfehler bei diesen Tests ist der, dass man dem Bürger den Eindruck erweckt, es gäbe eine Vorgabe, dass die Fahrzeuge auf der Straße den Grenzwert erfüllen müssten, der auf der Rolle, also im Labor, gilt. Das ist derzeit nicht der Fall, insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Fahrzeuge auf der Straße andere Werte haben."
    Umweltbehörde prangerte Manipulationen an
    Die amerikanische Umweltbehörde EPA sieht das bekanntermaßen anders. Vor zwei Jahren schon prangerte sie gezielte Manipulationen an. Volkswagen hatte in die Fahrzeuge Abschalteinrichtungen eingebaut, also Software, die dafür sorgt, dass die Abgase auf dem Rollenprüfstand ordnungsgemäß gesäubert werden, nicht aber im Straßenbetrieb. Das sei nicht zulässig, sagte der Jurist Martin Führ im ZDF:
    "Abschalteinrichtungen sind verboten, damit die Fahrzeuge im realen Betrieb nicht mehr Schadstoffe ausstoßen als im Labor. Weil nur so lässt sich die Gesundheit der Bürger in Europa effektiv schützen. Und das ist das Ziel der europäischen Verordnung."
    Die in der Praxis aber ständig unterlaufen wird. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes stoßen Euro-6-Fahrzeuge – das sind die modernsten Dieselwagen, die auf dem Markt sind – im Straßenbetrieb durchschnittlich 500 Miligramm Stickoxid pro Kilometer aus – mehr als sechsmal so viel, wie eigentlich erlaubt ist. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Automobilclub ADAC. Von 38 getesteten Dieselmodellen hielten nur zwei die aktuellen Grenzwerte ein, sagt Reinhard Kolke, Chef des ADAC-Technikzentrums im bayerischen Landsberg.
    "Die wenigen Fahrzeuge, die wir sehen, etwa ein BMW 118 oder die Mercedes E-Klasse, die besonders sauber ist mit SCR und Harnstoff, das sind bisher immer noch die Ausnahmen, die wir untersuchen."
    Diesel-Fahrzeuge könnten sauber sein
    Für Kolke ist das schwer nachvollziehbar. Die Technik sei vorhanden, Diesel-Fahrzeuge könnten sauber sein, also die aktuellen Grenzwerte auch im Straßenbetrieb einhalten. Aber die meisten Hersteller sparten bei der Abgasreinigung, so Kolke. Auf Kosten der Umwelt.
    "Letzten Endes sind es betriebswirtschaftliche Erwägungen. Und wenn betriebswirtschaftlich entschieden wurde, sich diese Technik zu sparen, steigert man Gewinn und Margen, aber man schadet damit der Umwelt."
    Die Folge: Die Luft in vielen Städten ist schlecht. Wenn nichts geschieht, werden die Grenzwerte für Stickstoffdioxid noch 10, 15 Jahre überschritten, sagt Martin Schmied, er leitet im Umweltbundesamt die Abteilung Verkehr:
    "Nach unseren Berechnungen sind zumindest in den verkehrsnahen innerstädtischen Messstellen erst zwischen 2025 und 2030 die EU-Luftqualitätsgrenzwerte für Stickstoffdioxid eingehalten. Das ist der Grund, dass wir auf jeden Fall davon ausgehen, dass zusätzlich Maßnahmen getan werden müssen."
    Stickstoffdioxid No2 wird vielerorts überschritten
    In vielen Städten Deutschlands wird der Grenzwert für das besonders gesundheitsschädliche Stickstoffdioxid No2 überschritten. Es kann die Lungen schädigen und Allergien verstärken. Deshalb gilt seit 2010 EU-weit ein Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Die Deutsche Umwelthilfe hat auf Basis dieser Vorschriften gegen die Luftreinhaltepläne von 16 Städten vor Verwaltungsgerichten geklagt, weil die Grenzwerte überschritten werden. Gut möglich, dass letztlich Gerichte die Städte zwingen, Fahrverbote zu verhängen. Innerhalb der Bundesregierung herrscht seit Monaten große Uneinigkeit, wie sie auf die drohenden Fahrverbote reagieren soll. Dies wurde zuletzt Mitte Juni in der Regierungspressekonferenz deutlich. Der Sprecher des CSU-geführten Verkehrsministeriums erklärte:
    "Dass Fahrverbote dabei ein falscher politischer Ansatz sind. Zur Verbesserung der Luftqualität in Städten darf Mobilität nicht eingeschränkt werden oder die Bürger oder die innerstädtische Wirtschaft belastet werden."
    Stattdessen sollten alternative Antriebe gefördert werden. Der Vertreter des SPD-geführten Umweltministeriums widersprach auf offener Bühne: "Für die Bundesumweltministerin ist diese Diskussion sicherlich noch nicht abgeschlossen. Sie hat immer gesagt, Fahrverbote sind das allerletzte Mittel, was eine Stadt anwenden kann und notfalls auch anwenden muss."
    VDA sperrt sich gegen Fahrverbote
    Der Verband der Automobilindustrie VDA allerdings sperrt sich ganz gegen Fahrverbote, argumentiert, dass es wirkungsvoller sei, auf die Flottenerneuerung im Öffentlichen Personennahverkehr zu setzen, alte Dieselbusse durch neue Elektrobusse zu ersetzen. Das jedoch könnte zu lange dauern: Nach Klagen der Deutschen Umwelthilfe wurden Städte wie Düsseldorf, München, Hamburg und Stuttgart von Gerichten gezwungen, an Fahr-Einschränkungen für Diesel-Fahrzeuge zu arbeiten.
    Schild mit der Aufschrift "Schmutzige Diesel raus!" neben einem "Verbotsschild für Dieselfahrzeuge", das von Greenpeace für die Aktion aufgestellt wurde.
    Unter anderem Greenpeace fordert schon seit Längerem Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in bestimmten Bereichen von Innenstädten. (dpa/picture alliance/Lino Marcel Mirgeler)
    In Kraft sind sie allerdings noch nicht. Tatsächlich steht noch ein entscheidendes Urteil aus: das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig muss klären, ob Diesel-Fahrverbote nach jetziger Rechtslage überhaupt zulässig sind. Das im Herbst erwartete Urteil wird letztinstanzlich und verbindlich für rund 80 betroffene Ballungsräume in Deutschland sein. Deshalb dreht sich die Debatte nun doch vor allem um die Frage, ob ältere Diesel technisch so umgerüstet werden können, dass sie die Grenzwerte einhalten und damit vom Fahrverbot verschont werden könnten.
    Der Autozulieferer Twintec-Baumot in Witten. Henning Middelmann steht unter einem VW-Passat, in der Hand einen grauen Kasten: "Das ist ein Adblue-Serientank. Der dient zur Aufnahme von Adblue, um bei Dieselfahrzeugen die Stickoxidemissionen zu reduzieren. Und den bauen wir jetzt hier in den Passat ein."
    Abgasreiningung verbessern für 1.500 Euro
    Dazu kommen noch ein Wärmeaggregat und ein Steuergerät, das die Zufuhr von Harnstoff regelt. Dadurch soll die Abgasreinigung verbessert werden, so Henning Middelmann im ZDF. Kostenpunkt: Rund 1.500 Euro. Reinhard Kolke, Chef des ADAC-Technikzentrums im bayerischen Landsberg hat den nachgerüsteten Dieselwagen getestet. Und ist begeistert.
    "Unsere Untersuchungen an dem Prototyp haben gezeigt, dass das Fahrzeug bei seinen Emissionen um mehr als 90 Prozent gesenkt werden konnte. Das heißt, der alte Euro-5-Passat war plötzlich so sauber wie der moderne Mercedes E 220 mit seinen niedrigsten Emissionen."
    Aufgabe der Autoindustrie sei es jetzt, serienreife Nachrüstsysteme für möglichst viele Dieselfahrzeuge zu entwickeln, fordert ADAC-Mann Kolke. Und hat auch klare Vorstellungen, wer die Nachrüstung bezahlen soll:
    Nachrüstung auf Kosten der Endverbraucher? Kann nicht sein
    "Es kann nicht sein, dass eine Nachrüstung auf Kosten der Endverbraucher angeboten wird. Ich denke, hier hat auch der Automobilhersteller eine Verantwortung gegenüber seinen Kunden, denn die Profite sind ja schon alle eingestrichen worden durch die geringeren Investitionen in die Abgasnachbehandlung in den vergangenen Jahren."
    Die Autoindustrie selbst hält sich aber noch bedeckt. Sie hat bislang eher auf Softwareupdates gesetzt. Das ist billiger, aber bei weitem nicht so effektiv. Experten schätzen, dass die Emissionen dadurch nur um 20 bis höchstens 50 Prozent reduziert werden könnten. Eckehart Rotter, Sprecher des Verbands der Deutschen Automobilindustrie:
    "Zunächst muss geklärt werden, welche technischen Möglichkeiten es gibt, um bei Euro 5-Diesel die Stickoxidemissionen im innerstädtischen Verkehr deutlich zu senken. Und danach wird die Frage gestellt, wie hoch sind die Kosten und wer trägt die."
    Hendricks kündigt Auto-Gipfel an
    Der politische Druck auf die Autokonzerne aber wächst. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat heute für August einen Auto-Gipfel angekündigt. Morgen will sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer mit den Spitzen der bayerischen Autoindustrie beraten. Auf dem Tisch liegt ein Entwurf für eine verpflichtende Nachrüstung von dreckigen Dieselfahrzeugen - ein Vorhaben der baden-württembergischen Landesregierung. Anfang Juli will sie den Entwurf in den Bundesrat einbringen. Der grüne Verkehrsminister Winfried Herrmann ist zuversichtlich, dass die Länderkammer den Entwurf annehmen wird.
    Bundesumweltminsterin Barbara Hendricks (SPD) spricht am 22.03.2017 in Berlin im Bundestag zu den Abgeordneten.
    Bundesumweltminsterin Barbara Hendricks (SPD) ( dpa / Kay Nietfeld)
    Alle Euro-5-Diesel nachzurüsten, würde fünf bis zehn Milliarden Euro kosten, schätzt Herrmann. Uneins sind sich allerdings auch die Länder, wer bezahlen soll: "Es ist nicht ganz eindeutig, weil nicht alle meine Kolleginnen und Kollegen der Meinung sind, dass die Branche alleine zahlen soll. Aber alle sind der Meinung, die Branche muss einen erheblichen Beitrag zahlen, weil sie das Problem auch geschaffen hat. Aber die Frage ist, wer zahlt den Rest?" so Baden-Württembergs Verkehrsminister Herrmann. #
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks von der SPD gibt sich kämpferisch: "Bezogen auf den Fahrzeugbestand – und da liegt ja das Hauptproblem – erwarte ich von der Automobilwirtschaft, dass sie die Fahrzeuge nachbessert. Und zwar selbstverständlich auf Kosten der Hersteller und nicht der Verbraucher."
    Entscheiden aber wird darüber die neue Bundesregierung. Welche Zukunft der Diesel in Deutschland hat, diese Frage stellt sich nach der Bundestagswahl im September dieses Jahres wohl noch einmal neu.