Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Abwehr in Paris
Frankreich mobilisiert gegen Radikalisierung durch IS

Knapp ein halbes Jahr nach der Verabschiedung des "Aktionsplans gegen die Radikalisierung und den Terrorismus" haben sich in Paris erstmals Vertreter von Staat und Gemeinden getroffen, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Denn die Vergangenheit hat gezeigt: In der Kommunikation zwischen Paris und den Kommunen liegt noch einiges im Argen.

Von Suzanne Krause | 25.10.2016
    Französische Soldaten patrouillieren am 15. August 2016 vor der Pariser Kathedrale Notre Dame.
    Die französische Regierung will im Kampf gegen die Radikalisierung enger mit den Gemeinden zusammenarbeiten, um Terroranschlägen vorzubeugen. (afp / Alain Jocard)
    Seit April 2014 hat die französische Regierung eine eigene Hotline geschaltet, bei der man sich melden kann, wenn man sich sorgt, der Sohn, Nachbar oder Freund könnte sich radikalisiert haben. 11.175 Personen sind seitdem gemeldet worden. Nicht in jedem Fall entpuppt sich die Warnung als berechtigt. Dennoch spricht das Innenministerium von rund 20.000 Personen im Land, die sich radikalisiert haben oder dabei sind.
    Am stärksten betroffen seien die ehemaligen Industrie-Gebiete in Nord- und Ostfrankreich, der Pariser Großraum sowie Orte am Mittelmeer. Dies bebildert auch die «Landkarte der Radikalisierung », die die Koordinationsstelle für den Kampf gegen den Terrorismus, die UCLA, erstellt hat, berichtet deren Direktor Loic Garnier.
    "Wenn wir eine Karte der Treffpunkte von Salafisten, von Extremisten, erstellen und die Karte mit den Wohnorten von denen, die nach Syrien gegangen sind, darüber legen, zeigt sich, dass diese beiden Karten deckungsgleich sind.
    Da kann man mir nicht erzählen, der lokale Kontakt mit Salafisten habe nichts damit zu tun, dass sich jemand radikalisiert. Hätte das Internet bei der Radikalisierung wirklich einen solchen Einfluss, dann wären diejenigen, die sich radikalisieren, über das ganze Land verteilt."
    Terroristen aus der Provinz
    Wissembourg jedoch verfügt nicht über eine salafistische Szene. Die idyllische Gemeinde am Rhein, gute 20 Kilometer westlich von Karlsruhe, zählt 8.000 Einwohner. Und gilt, bekräftigt Bürgermeister Christian Gliech, keinesfalls als sozialer Brennpunkt.
    "Die Arbeitslosenrate bei uns beträgt sechs Prozent, wir liegen auf Platz 4 der Gemeinden mit der niedrigsten Quote im Land. Unser Gymnasium gehört zu denen, die landesweit die besten Ergebnisse erzielen. Unsere Bevölkerung ist etwas reicher als der nationale Durchschnitt. Und dennoch sind sogar wir mit der Radikalisierung konfrontiert worden."
    Einer der Attentäter, die im vergangenen November im Pariser Konzertsaal Bataclan 90 Menschen erschossen haben, stammt aus Wissembourg.
    "Eines Morgens rief ein Gendarme an und sagte: Der dritte Terrorist, den wir erst jetzt identifizieren konnten, wurde in Wissembourg geboren. Ziemlich bedauerlich dabei ist: Der Gendarme hatte die Neuigkeit in der Zeitung gelesen.
    Daraufhin habe ich den Unter-Präfekten angerufen und auch der wusste von nichts. Um eines klarzustellen: Ich verlange vom Staat keinesfalls, mir mitzuteilen, welcher Bewohner meiner Stadt bei den Sicherheitsbehörden als radikalisiert geführt wird. Aber ich möchte dennoch gerne wissen, ob es diesbezügliche Ermittlungen in meiner Gemeinde gibt."
    Bürgermeister steht an forderster Front
    Schließlich stehen die Bürgermeister bei der Anti-Radikalisierungspolitik an vorderster Front. In Straßburg zum Beispiel wurde eine spezielle Koordinationsstelle eingerichtet, die unter anderem Schulungen für die städtischen Angestellten durchführen. Sozialarbeiter, Jugendbetreuer, alle, die Bürger-Kontakt haben, sollen in Zukunft erste Anzeichen einer potenziellen Radikalisierung erkennen können, erklärt Olivier Bitz, der stellvertretende Bürgermeister.
    "Diese Schulungen versammeln in jedem Viertel die dort beschäftigten Angestellten aus den unterschiedlichsten Bereichen. Das verbessert deren Zusammenarbeit. dem beziehen wir lokale Vereine mit ein."
    Gegen eine mögliche Radikalisierung ihrer Bürger geht das Rathaus in Saint-Gratien schon seit einem Jahrzehnt vor, erzählt Bürgermeisterin Jacqueline Eustache-Brinio. Die Stadt zehn Kilometer nördlich von Paris hat knapp 21.000 Einwohner. Eustache-Brinio ist kategorisch: die Zeit der Wundpflaster-Politik sei vorbei.
    "Ich habe Gebetsorte religiöser Extremisten dicht machen lassen, der Gemeinderat steht hinter mir, aber ansonsten werde ich ziemlich allein gelassen. In Kürze eröffne ich eine Anlaufstelle für Frauen, ein Ort des Austauschs, um die Regeln der Republik zu vermitteln."
    Denn die konservative Lokalpolitikerin ist überzeugt: Das beste Mittel im Kampf gegen islamistische Fanatiker ist eine Stadtpolitik, die die Republik wieder ins Zentrum stellt. Und den Anwohnern entsprechende Perspektiven biete.