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Ägyptens Wirtschaftslage
"Ein schwieriger Weg hin zu einer offenen Volkswirtschaft"

Deutschland sei der zweitwichtigste Handelspartner Ägyptens, sagte Volker Treier vom Deutscher Industrie- und Handelskammertag im Deutschlandfunk. Durch den Aufbau von Produktionsstätten könnten deutsche Unternehmen dabei helfen, das Land zu stabilisieren.

Volker Treier im Gespräch mit Birgid Becker | 02.03.2017
    Zahlreiche Menschen gehen am 04.05.2015 in der Nähe eines Basars an einer Straße in der Innenstadt von Kairo (Ägypten). Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa | Verwendung weltweit
    Menschen in der ägyptischen Hauptstadt Kairo (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Birgid Becker: Seit dem Aufstand aus dem Jahr 2011und den anschließenden Unruhen ging es mit der Wirtschaft Ägyptens bergab. Der Export brach ein, Touristen blieben weg, die Auslandsinvestitionen bleiben aus. Heute besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel das gut 90 Millionen Einwohner starke Land. Politisch ist es wichtig als immer noch relativ stabiler Anker in der Region und als Kooperationspartner, wenn es darum geht, Migration zu steuern – böswilliger kann man auch sagen: von Europa fern zu halten.
    Welche Rolle spielt Ägypten für deutsche Unternehmen und welche Rolle kann die deutsche Wirtschaft spielen, wenn es darum geht, die wirtschaftliche Lage in Ägypten zu festigen? Darüber habe ich vor der Sendung mit dem Außenhandels-Chef des DIHK, mit Volker Treier gesprochen und ihn zunächst um eine Bestandsaufnahme gebeten. Ägypten, klar, steht für Tourismus; aber was gibt es sonst an Beziehungen?
    Volker Treier: Wir sind sogar Ägyptens zweitwichtigster Handelspartner hinter China. Insgesamt macht das 5,5 Milliarden Euro in unserem Handelsvolumen aus. Das klingt jetzt erst mal nicht viel, das lässt noch viel Raum für Potenzial, was wir ausschöpfen wollen. Es sind aber auch Unternehmen vor Ort, 250 deutsche Unternehmen, die mit Produktion da sind, die 35.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen, und insgesamt gibt es in Ägypten 700 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung. Das ist ganz okay und im letzten Jahr hat sich das auch einigermaßen gut entwickelt, aber es ist natürlich auch weit entfernt, wenn man das Potenzial sieht Ägyptens mit Deutschland und angesichts von 80 Millionen Bevölkerung.
    Siemens in Ägypten stark vertreten
    Becker: An Gaskraftwerke denkt man ja ziemlich schnell, wenn man an Ägypten und deutsche Unternehmen denkt. Siemens zum Beispiel spielt in Ägypten eine wichtige Rolle.
    Treier: Ja. Siemens hat einen sehr, sehr großen Auftrag an Land gezogen. Es ist auch gut so, dass Ägypten in seine Infrastruktur investiert, und wenn sie dabei Technologie made in Germany verwenden, ist das natürlich für uns auch ein gutes Zeichen, dass Ägypten Deutschland als Wirtschaftspartner sehr ernst nimmt. Und dieser Auftrag ist natürlich für das Unternehmen selbst, aber auch für viele deutsche mittelständische Unternehmen, die zusammen mit Siemens arbeiten, ein ganz super Zeichen und das war im letzten Jahr ein richtiger Konjunktur-Hoffnungswert auch in anderen Bereichen.
    Becker: Umstrittener ist da schon die Lieferung der U-Boote. Das erste von vieren ist schon in Ägypten angekommen. Auch einen umstrittenen Bereich gibt es dort durchaus.
    Treier: Na ja, das muss die Politik entscheiden, welche sicherheitspolitischen Aspekte sie berücksichtigt, wenn sie Ägypten in den Kreis der Länder aufnimmt, in den auch deutsche Unternehmen Sicherheitstechnologie liefern dürfen. Der Arabische Frühling hat gezeigt, dass der Weg von den heutigen oder auch von diktatorischen Regimen hin zu einer ja hoffentlich irgendwann mal Demokratie westlicher Prägung schwierig ist und dass instabile Länder viele Probleme machen und letztlich dann auch die Sicherheitssituation in Deutschland und in Europa betreffen. Insofern wird sich die Bundesregierung was dabei gedacht haben, wenn sie solche Lieferungen erlaubt.
    Auswirkungen der Freigabe der Währung
    Becker: Nun ist die wirtschaftliche Lage in Ägypten ja eine ziemlich problematische seit dem Aufstand aus dem Jahr 2011. Im November hat die ägyptische Zentralbank eine, muss man sagen, historische Zäsur vorgenommen und hat das ägyptische Pfund freigegeben, das zuvor mit Devisen künstlich gestützt wurde. Die Folge: Das Pfund verfiel und war dann auch prompt schnell hinterher nur noch die Hälfte wert. Was hat das für Folgen für Unternehmen, die in Ägypten investieren?
    Treier: Die Investitionen werden dadurch für sich gesehen erst mal lukrativer, weil sie kostengünstiger sind. Andererseits ist die Frage einer Freigabe von Währung dann auch damit verbunden, dass sich die Hoffnung erhöht, dass die Unternehmen auch ihre Gelder über die Grenze hinweg leichter transferieren können, wenn sie Gewinne machen, dass sie dann durchaus auch Gewinnverlagerung an die heimischen Standorte bringen dürfen. Ansonsten macht ja die Investition – nun ja, ich meine, Reinvestition ist ein wichtiges Thema, aber man will natürlich auch an den Investitionen teilhaben. Dazu gehört eine konvertible Währung dazu. Aber das ist der springende Punkt in Ägypten. Das Land hat eine akute Devisenknappheit und diese Freigabe des Wechselkurses hat diese Devisenknappheit sicherlich nicht verbessert in einem ersten Schritt. Man versucht, an anderer Stelle jetzt hinterherzuoperieren, indem man versucht, weniger Importe in das Land zuzulassen, damit nicht noch mehr Devisen abfließen. Das ist ein schwieriger Weg hin zu einer offenen Volkswirtschaft. Die Freigabe der Währung ist ein erster Schritt. Die Frage ist aber, in welcher Reihenfolge macht man die Schritte, wenn man hinterher dann wieder Maßnahmen tätigen muss, um diesen Schritt auch wieder zu konterkarieren. Speziell geht es mir hierbei um eine besondere Registrierungspflicht, wenn Sie Waren nach Ägypten liefern wollen. Das ist auch ein Thema, was jetzt bei der Wirtschaftsdelegation der Bundeskanzlerin eine Rolle spielen wird, eine spezielle Registrierungspflicht, so dass es ganz schwierig ist, bestimmte Waren in das Land zu liefern. Das konterkariert dann wiederum so ein liberales Instrument wie die Freigabe der Währung.
    Becker: Ist es das, was im Moment ausländische Investoren vor allem als Hindernis sehen, diese Registrierungspflicht?
    Treier: Ausländische Investoren haben natürlich eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, wann sie in ein Land gehen und wann sie ihr Geld und ihr Knowhow, ihre Technologie und mit Risiko in ein Land gehen, um dann dort auch zu produzieren. Viele Faktoren sind wichtig. Die Registrierungspflicht für Importeure von Zulieferungen aus dem Ausland ist ein Hindernis, weil wenn Sie dort investieren, dann werden Sie stärker auch Teil einer Wertschöpfungskette, und wenn Sie die nicht tagesaktuell in das Land bringen können, dann macht dieser ganze Aufbau von Produktion an diesem Standort vielfach auch wenig Sinn. Es gibt ja zum Beispiel die Fertigungsstätten für Automobile und da brauchen Sie Zulieferbestandteile aus Deutschland oder aus Europa. Insofern ist das ein großes Hindernis.
    Becker: Ich habe es erwähnt: Angela Merkels Reise hat ja vor allem eine politische Mission. Sie braucht Ägypten wie andere Staaten Nordafrikas auch, um Migration zu steuern. Deutschland, Europa überhaupt wünscht sich diese Staaten als Bollwerk gegen Zuwanderung. Das ist eine Strategie, die kann man aus guten Gründen kritisch sehen. Aber was ja unzweifelhaft ein Vorteil für die Region wäre, das wäre wirtschaftliche Genesung oder konjunkturelle Erholung. Ganz konkret: Wie können deutsche, wie können europäische Unternehmen dabei helfen?
    Aufbau von Produktion wichtig für die Stabilisierung
    Treier: Durch den Aufbau von Produktion können deutsche Unternehmen dabei helfen, das Land zu stabilisieren, und die Unternehmen können dann dabei helfen, die Regierung mit zu beraten, jetzt auch im Beisein der Bundeskanzlerin und deutscher Politiker, dass man an den Standortbedingungen arbeitet, dass man darüber diskutiert, die bislang verhindern, dass mehr deutsche Produktion vor Ort stattfinden kann. Es ist ja einerseits von der ägyptischen Seite gewollt, dass wir helfen, Arbeitsplätze aufzubauen. Das Land hat ja eine riesige Anzahl von arbeitslosen Jugendlichen. Andererseits aber ist es in einer bestimmten Zwangssituation, dass aufgrund der Devisenknappheit sie dann wieder Maßnahmen machen, die genau das verhindern, nämlich den Aufbau von Produktion. Aber darüber zu reden, macht sehr großen Sinn, und ein Beispiel will ich nennen: Der Aufbau von Strukturen der beruflichen Bildung, wie die vorhandenen, dort vor Ort vertretenen deutschen Unternehmen, aber möglicherweise auch ägyptische selbst ihre eigenen jungen Leute ausbilden und letztlich in die Produktion und in den normalen Arbeitsmarkt bringen können. Das ist ein Thema, was auch ein ganz konkretes ist und was letztlich dann, wenn es gut gemacht wird, mit guten neuen, vielleicht auch noch besseren Projekten unterlegt, dann letztlich zu einer Linderung der wirtschaftlichen Not in Ägypten führt. Wie gesagt: Im letzten Jahr hat sich Ägypten ganz gut entwickelt, aber aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums ist noch viel mehr wirtschaftliche Dynamik erforderlich, damit sich das Land wirtschaftlich und dann auch vielleicht gesellschaftlich stabilisiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.