Dienstag, 19. März 2024

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Akademischer Austausch mit der Türkei
Sicherheitslage schreckt immer mehr Studierende ab

Der akademische Austausch zwischen Deutschland und der Türkei ist seit 2014 stark rückläufig. Darauf deuten zumindest Zahlen des Deutschen Akademischen AUstauschdienstes (DAAD). Ein Grund dafür sei die unklare Sicherheitslage, sagte Markus Symmank, Leiter des Referats Erasmus-Mobilität des DAAD, im Dlf.

Markus Symmank im Gespräch mit Michael Böddeker | 19.06.2017
    Die Universität Istanbul ist mit ihrer 550 jährigen Geschichte die älteste und traditionsreichste Universität der Türkei.
    Laut des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) hat isch die Zahl der deutschen Erasmus-Teilnehmer mit der Türkei seit 2014 fast halbiert. (dpa/picture alliance/ Jens Kalaene)
    Michael Böddeker: Der akademische Austausch mit der Türkei ist stark eingebrochen. Darauf deuten zumindest vorläufige Zahlen des Deutschen Akademischen Austauschdiensts DAAD hin. Wie das kommt, darüber sprechen wir mit Markus Symmank. Er leitet beim DAAD das Referat Erasmus-Mobilität. Und ihn habe ich gefragt, wie stark ist er denn zurückgegangen, der akademische Austausch zwischen Deutschland und der Türkei?
    Markus Symmank: Das ist im Moment noch nicht genau zu sagen. Wir gehen davon aus, dass es sich durchaus um eine signifikante Rückentwicklung handelt, eigentlich schon seit 2014, seit dem, was wir "Projekt 2014" nennen, denn die Erasmus-Mobilität wird in zwei Jahresprojekten organisiert, und immer am Ende eines Projekts wird abgerechnet. Und dann, bei den weiteren laufenden Projekten, schaut man in Datenbanken, die von den Hochschulen bedient werden und wo dann gesagt wird, wie viele sind denn rausgegangen – Studierende, Hochschuldozenten, Hochschulmitarbeiter –, sodass wir also dort keine klare Datenlage haben.
    Was wir aber sehen, ist eine Zurückentwicklung seit 2014 leicht und dann eine stärkere oder dynamische Zurückentwicklung jetzt insbesondere für das, was wir "Projekt 2016" nennen, also alles das, was seit dem Sommer letzten Jahres passiert ist.
    "Wir gehen davon aus, dass aber diese Trendaussage zutrifft"
    Böddeker: Insgesamt scheint der Rückgang aber schon erheblich zu sein, also laut den Zahlen, auch wenn es vorläufige Zahlen sind, von 2.400 auf 1.200. Das wäre eine Halbierung.
    Symmank: Das ist das, was die Daten sagen, richtig. Allerdings, sie sind nicht validiert, sie sind nicht schon abgesichert, denn es kann noch vieles sich ändern. Wir gehen aber davon, dass diese Trendaussage zutrifft, dass wir es mit einem erheblichen Rückgang zu tun haben. Ob der aber jetzt auf 30 oder auf 50 Prozent, wie Sie sagen, zu quantifizieren ist, das kann ich noch nicht bestätigen.
    Böddeker: Sie sagten eben auch schon, der Rückgang hat schon vor dem Putschversuch letztes Jahr begonnen ...
    Symmank: Ja.
    Böddeker: ... Wie kommt das, was sind die Gründe dafür?
    Symmank: Wir können das nicht genau festlegen, wir gehen aber davon aus, dass es sich ähnlich wie auch in anderen Bereichen immer um solche Momente handelt, die mit der öffentlichen Sicherheit beispielsweise zu tun haben oder überhaupt den Bedingungen des öffentlichen Lebens. Es gab eine Reihe von Anschlägen, wie Sie sich erinnern werden, in der Türkei auch schon im Vorfeld oder in den Jahren 14 und 15, das hat sich leider fortgesetzt, und diese Sicherheitslage hat durchaus auch die Personen, die an den Erasmus-Programmen teilnehmen, verunsichert. Das haben wir immer wieder gehört und uns von den Hochschulen, den deutschen Hochschulen, sagen lassen.
    Die türkische Nationalagentur, mit der stehen wir in engem Kontakt, die zeichnet ähnliche Daten auf und geht auch davon aus, dass es sich mit der gesamtgesellschaftlichen Situation verbinden lässt.
    Böddeker: Dann gab's letztes Jahr im Sommer diesen Putschversuch, das war genau zu einer Zeit, in der man sich ja vielleicht auch für das Wintersemester 2016/2017 angemeldet hätte, oder?
    Symmank: Ja, also genau, wie Sie sagen, vielleicht nicht angemeldet hat, aber wo dann die letztendliche Entscheidung fiel darüber, ob man diese Mobilität dann tatsächlich macht oder aufnimmt oder hinfährt. Die Auswahlen für solche Erasmus-Mobilitäten finden gerade im Bereich der Studierenden deutlich früher statt.
    Es ist also nicht so, dass man dann innerhalb von vier Wochen fährt, sondern die Hochschulen organisieren – gerade große Hochschulen auch – über Monate vorher schon Auswahlen. Aber die Förderzusagen stehen dann, und die Individuen, die Studierenden – das müssen wir aber auch sagen über Praktikanten und über Hochschuldozenten –, die alle entscheiden sich dann im Zweifel natürlich aus individuellen Motiven und sagen, wir fahren da jetzt nicht hin, weil es uns zu unsicher ist. Und gerade nach dem Putsch, wo ja dann der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, wo eine Reihe von Hochschulen auch geschlossen wurde, gab es eben wie in allen Bereichen der Türkei auch im Bereich des akademischen Zusammenarbeitens eine Verunsicherung. Und wir gehen davon aus, dass gerade das sich ausgewirkt hat so kurz, wenn Sie so wollen, vor Semesterstart.
    "Die Türkei hat sich eigentlich sehr dynamisch entwickelt"
    Böddeker: Wie geht es denn wohl weiter, also könnten die Zahlen in Zukunft vielleicht auch wieder ansteigen, und wenn ja, wovon wird das abhängen?
    Symmank: Ja, das ist eine schwierige Frage – natürlich weil ich erstens schon auf die unsichere Datenlage verwiesen habe, und jetzt in den Bereich der Spekulation gerate, aber man geht davon aus, dass natürlich auch solche Attraktivitätsmomente wie eben eine Sicherheitslage eine Rolle spielen. Und zu der Sicherheitslage gehört dann die individuelle Sicherheit, aber auch das, was man mit der politischen Gesamtsituation verbindet, als Individuum, denn das entscheidet. Und wir hoffen durchaus, dass die Türkei auch dieses Niveau wieder erreicht, mittelfristig, langfristig vielleicht, wie sie es vor ein paar Jahren hatte.
    Die Türkei hat sich eigentlich sehr dynamisch entwickelt seit ihrem Beitritt, was die Erasmus-Zahlen angeht, und wir hören auch hin und wieder, dass dort eine Normalisierung vielleicht erwartet werden kann. Wie kurzfristig die kommt und ob die jetzt beispielsweise zum Wintersemester 17/18 schon erreicht ist, das vermag ich jetzt noch nicht zu sagen.
    "Für weniger Austausch haben wir auf keinen Fall Anzeichen"
    Böddeker: Dann lassen Sie uns noch kurz in ein anderes Land schauen. Heute beginnen ja die Verhandlungen zum Brexit, und der Brexit, das befürchten zumindest viele, der könnte auch dazu führen, dass es weniger Austausch gibt, in dem Fall zwischen Großbritannien und Deutschland. Gibt es dafür schon Anzeichen?
    Symmank: Für weniger Austausch haben wir auf keinen Fall Anzeichen, sicherlich nicht. Sie erlauben mir auch da wieder, auf die vertragliche Situation hinzuweisen. Großbritannien ist nicht nur noch ein Mitglied der Europäischen Union, sondern hat eben auch diese Verträge und die Finanzzusagen für die gesamte Finanzierungsperiode von Erasmus+ beispielsweise unterzeichnet, das heißt für Projekte bis 2020 einschließlich.
    Und selbst wenn es jetzt zum Brexit kommt, diejenigen Projekte, die dann begonnen worden sind, sind natürlich vertraglich abgesichert, sodass sie das jetzt schon haben für die vertraglichen Projekte 2017 und eine Aussage für 2018. Und dann müssen Sie immer 24 oder sogar 36 Monate addieren, sodass wir da eine durchaus mittelfristige Perspektive der Stabilität noch haben im Austausch mit Großbritannien. Und zumindest, wenn wir auf die Daten schauen wie: Was macht der Austausch von Studierenden, Praktikanten, von Hochschuldozenten und Hochschulmitarbeitern? Dort haben wir eher im Moment einen positiven Trend sogar noch – ob sich der beweisen lässt, werden wir dann sehen –, dort haben wir auf jeden Fall keine Rückentwicklung.
    Böddeker: Sagt Markus Symmank. Er leitet beim DAAD das Referat Erasmus-Mobilität. Mit ihm hab ich über den akademischen Austausch zwischen Deutschland und der Türkei gesprochen, der offenbar stark eingebrochen ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.