Dienstag, 19. März 2024

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Aktivist Firas Abdullah in Ost-Ghouta
"Ich höre Kinder weinen durch die Fenster ihrer Zimmer"

Die Assad-Armee und russische Jets setzen offenbar gezielt auf Doppel-Schläge: Nach einem Angriff folge wenige Minuten später ein neuer - um möglichst viele Unschuldige zu treffen, berichtet der regimekritische Aktivist Firas Abdullah aus Ost-Ghouta. Seine Forderung: Die deutsche Politik müsse endlich handeln und etwas gegen Assad tun.

Firas Abdullah im Gespräch mit Stephanie Rohde | 24.02.2018
    Ost-Ghouta: Ein Mann läuft in der Stadt Douma eine mit Trümmern übersäte Straße entlang, im Hintergrund sind Rauchwollken zu sehen.
    Ost-Ghouta: Ein Mann läuft in der Stadt Douma eine mit Trümmern übersäte Straße entlang, im Hintergrund sind Rauchwollken zu sehen. (AFP / Hamza Al-Ajweh)
    Stephanie Rohde: Raketen, die im Minutentakt in ohnehin schon zerbombte Häuser einschlagen, leblose Körper, die im Schutt oder auf Straßen herumliegen. Das alles sieht man in Videos, die ein regimekritischer Aktivist in Ost-Ghouta auf Twitter posted, oft sind es Selfie-Videos, in denen er während der Bombardements durch die Stadt läuft. Firas Abdullah nennt er sich, er arbeitet laut eigener Angabe unter anderem mit dem Syrischen Zivilschutz, also den Weißhelmen zusammen, denen vor zwei Jahren der alternative Nobelpreis verliehen wurde. Wir haben Abdullah trotz der Bombardierung per Skype erreichen können. Er liefert uns seltene Einblicke in die Enklave Ost-Ghouta, die von größtenteils islamistischen Rebellen gehalten wird. Allerdings lassen sich Abdullahs Angaben nicht verifizieren, die Situation vor Ort ist weiterhin unübersichtlich. Ich habe gestern Nachmittag von Abdullah wissen wollen, was er in Ost-Ghouta in den vergangenen Tagen gesehen hat?
    Firas Abdullah: Die Situation ist wirklich dramatisch. Nach den Zahlen der zivilen Verteidigungskräfte sind 264 Zivilisten getötet worden zwischen dem 19. und 21. Februar. Das war während der fortgesetzten Angriffe des Assad-Regimes und russischer Kampfflugzeuge, die eine Menge Massaker angerichtet haben. Mehr als 1000 Zivilisten sind bislang verwundet worden. Hunderte Raketen und Bomben sind auf Wohngebieten überall in Ost-Ghouta niedergegangen. Die Zivilverteidigung hat 1426 Bomben der Assad-Armee gezählt, 239 Luftangriffe durch Kampfjets Assads und der Russen, 109 Fassbomben aus Helikoptern Assads, 91 Boden-Boden-Raketen und drei Streubomben. Auch heute haben zwei Streubomben eingeschlagen, es gibt viele Verletzte und immer wieder fliegen Kampfjets und bombardieren die Stadt.
    Menschen in Ost-Ghouta waren nicht auf den Krieg vorbereitet
    Rohde: Können Sie mir genauer beschreiben, was Sie sehen, wenn Sie in Ost-Ghouta unterwegs sind?
    Abdullah: Die Straßen sind übersäht mit Trümmern und leer, weil sich die Menschen verstecken in ihren Gebäuden, Häusern, Unterschlupfen. Etliche sind verwundet. Ich höre Kinder weinen durch die Fenster ihrer Zimmer, vor denen die Bomben einschlagen.
    Rohde: Gibt es genügend Schutzräume für die Menschen?
    Abdullah: Nein, davon gibt es nicht genug. Eigentlich sind es einfache Keller, man war nicht auf Krieg vorbereitet.
    Rohde: Wie steht es mit der Nahrungsversorgung? Gibt es genug zu essen und Wasser in der Stadt?

    Abdullah: Nein, es gibt nicht genug Lebensmittel und keine Wasserversorgung, gerade in den Unterschlupfen, in denen viele jetzt leben. Einige haben seit drei Tagen kein Sonnenlicht mehr gesehen. Keine Wasserversorgung, die Geschäfte sind geschlossen wegen der massiven Luftangriffe und Fassbomben. Niemand kann hinausgehen und irgendetwas zu essen kaufen.
    "Drohnen nehmen alles auf"
    Rohde: Was essen sie und was trinken sie dann?
    Abdullah: Das, was wir noch in den Häusern haben. Es wird Zeit, wie können wir diese Lage durchstehen? Wenn wir eine Straße überqueren wollen oder nur entlang laufen, dann müssen wir rennen wegen der Drohnen. Die Drohnen, die von Assad und den Russen kommen, nehmen alles auf, vor allem öffentliche Plätze und Zivilisten.
    Rohde: Wie ist die Lage in den Krankenhäusern? Stimmen die Berichte, wonach sie angegriffen wurden?
    Abdullah: Ja, das stimmt. Mehr als zehn medizinische Einrichtungen sind in den vergangenen vier Tagen getroffen worden. Die meisten sind jetzt außer Funktion. Ein Krankenhaus im Zentrum ist gestern Nacht zerstört worden, als eine Bombe direkt darüber abgeworfen wurde. Sie zielen genau auf diese Einrichtungen und auf die Bäckereien.

    Rohde: Sie sprechen für die Weißhelme. Was machen die genau?
    Abdullah: Die Weißhelme arbeiten rund um die Uhr, um Leute aus Trümmern zu ziehen und Verletzte von der Straße zu holen. Viele zivile Verteidigungszentren sind zerstört worden, weil sie direkt von russischen Kampfjets und syrischen Helikoptern beschossen wurden. Die zivilen Hilfsteams … [Einschlag im Hintergrund] … Das war ein Luftangriff im Hintergrund.
    Rohde: Sind Sie in Sicherheit?
    20.02.2018, Syrien, Duma: Ein Mitarbeiter der Organisation Syrischer Roter Halbmond geht durch ein Viertel der Stadt im syrischen Rebellengebiet Ost-Ghouta nahe Damaskus, das von Angriffen der syrischen Luftwaffe getroffen wurde. Bombardierungen aus der Luft und Artillerie hätten in der Region in weniger als 48 Stunden mindestens 194 Zivilisten getötet, darunter Dutzende Frauen und Kinder, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag.
    Ein Mitarbeiter der Organisation Syrischer Roter Halbmond geht durch ein Viertel der Stadt im syrischen Rebellengebiet Ost-Ghouta nahe Damaskus, das von Angriffen der syrischen Luftwaffe getroffen wurde. (Samer Bouidani / dpa )
    "Es geht ihnen darum, mehr Unschuldige zu töten"
    Abdullah: Ja, ich bin sicher. Haben Sie es mitbekommen?
    Rohde: Ja, ich hab’s gehört.
    Abdullah: Verschiedene Rettungsteams sind Tag und Nacht unterwegs, um Menschen nach den massiven Bombardements zu helfen. Assad-Armee und russische Jets gehen mit einer Doppelschlag-Strategie vor, um die Rettungsteams zu attackieren. Das heißt, sie greifen zivile Bereiche an, warten ein paar Minuten und greifen erneut an. Dann nämlich, wenn die Rettungsteams Menschen unter Trümmern hervorziehen wollen. Es geht ihnen darum, mehr Unschuldige zu töten.
    Rohde: Das syrische Regime behauptet, nur islamistische Rebellen in der Stadt anzugreifen. Ist das korrekt?
    Abdullah: Nein, im Zentrum gibt es keine Bewaffneten. Waffen haben die Leute von der Freien Syrischen Armee und die stehen an der Frontlinie um Ost-Ghouta herum und verteidigen die Stadt gegen das Eindringen der Assad-Armee. In der Stadt selbst gibt es keine Waffen und alle Aufnahmen von hier zeigen, dass es nur Zivilisten gibt, viele Verwundete sind Frauen und Kinder.
    "Rebellen benutzen keine Zivilisten als Schutzschilde"
    Rohde: Es heißt, einige islamistische Anti-Assad-Rebellen benutzen Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Stimmt das?
    Abdullah: Nein. Nein, die Rebellen hier stehen entlang der Front. Und sie verteidigen die Bewohner gegen den Einmarsch der Assad-Armee. Sie benutzen keine Zivilisten als Schutzschilde.
    Rohde:Ist Ost-Ghouta das neue Aleppo?
    Abdullah: Das glaube ich nicht. Aber es ist die gleiche Strategie.
    Rohde: Die Vereinten Nationen sprechen von einem möglichen Waffenstillstand. Sehen Sie dafür irgendeine Chance?
    Abdullah: Wir hoffen darauf. Jeder Waffenstillstand, der das Blutvergießen stoppt, ist gut.
    Rohde: Aber halten Sie das für wahrscheinlich innerhalb der nächsten Tage?
    Abdullah: Eigentlich kann ich mir das nicht vorstellen, aber wir haben die innige Hoffnung.
    Rohde: Was sollten deutsche Politiker angesichts der Lage tun?
    Abdullah: Sie sollen daran denken, dass wir hier Menschen sind. Wir fordern sie auf, die internationale Gemeinschaft zu bewegen, das Blutvergießen, das Töten von Zivilisten ein Ende zu machen und die Belagerung rings um Ost-Ghouta zu beenden, die seit vier Jahren andauert. Ich möchte nur meine Aufforderung an die Politiker wiederholen, etwas gegen Assad zu tun, um das Blutvergießen zu beenden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.