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AKW Cattenom
Luxemburg rüstet sich für den Ernstfall

Luxemburg betreibt selbst kein Atomkraftwerk. Aber käme es im französischen AKW Cattenom zu einem Gau, wären auch die Menschen im Nachbarland betroffen. Das Großherzogtum sähe es deshalb am liebsten geschlossen. Doch solange das nicht geschieht, bereitet es sich auf den Ernstfall vor - mit neuen Regeln.

Von Tonia Koch | 24.11.2014
    Blick auf das Kernkraftwerk Cattenom in Frankreich
    Blick auf das Kernkraftwerk Cattenom in Frankreich (dpa / picture alliance / Francois Lafite)
    In der Pharmacie du Cygne in Luxemburg Stadt herrscht drangvolle Enge. Die Nachfrage nach Medikamenten, Halspastillen oder Nasenspray steigt sprunghaft in der kalten Jahreszeit. Nur die Abgabe von Jodtabletten läuft eher schleppend, sagt Alain de Bourcy, der Präsident der Luxemburgischen Apothekerkammer.
    "Wir haben so etwa 100 Blister verteilt. Es ist nicht der ganz große Andrang, aber die Leute kommen schon."
    Bislang war vorgesehen, Jodtabletten erst im Notfallfall durch kommunale Stellen auszuteilen. Davon sind die Katastrophenschutzbehörden nun abgerückt. Jeder soll sich seine kostenlose Ration in den Apotheken abholen und zu Hause lagern.
    Das entlaste die Gemeinden, die für den Katastrophenschutz zuständig sind, sagt der Sicherheitsbeauftragte von Düdelingen, Henri Glesener.
    "Genau die Leute, die vorgesehen waren, Pillen auszuteilen, Feuerwehrleute, Zivilschützer usw. genau die Leute werden andere Missionen haben, dringendere und wichtigere, als Pillen auszuteilen. So finde ich es begrüßenswert, dass die Bevölkerung wieder in die Verantwortung genommen wird und die Pillen sozusagen in Friedenszeiten ausgeteilt bekommen."
    Die luxemburgische Regierung hat alle Luxemburger und auch alle Ausländer, das sind immerhin 250.000, angeschrieben und dazu aufgefordert, sich in den Apotheken mit Jodtabletten einzudecken. Das offizielle Schreiben dient dabei als Abholschein und als Kontrollinstrument gleichermaßen, sagt Innenminister Dan Kersch.
    "Sodass wir nachher eine Kontrolle haben, welche Leute das gemacht haben und welche nicht."
    Das zeigt dann auch, wie ernst die Menschen die Bedrohung nehmen. Mit Jod-Tabletten kann sich die Bevölkerung nicht vor sämtlichen radioaktiven Substanzen schützen, die bei einem atomaren Unfall freigesetzt werden. Der Schilddrüse aber kann mit einer Jodtherapie geholfen werden, erläutert Apotheker Alain de Bourcy.
    "Die Idee dahinter ist, dass man die Schilddrüse saturiert mit Jod, das nicht radioaktiv ist, denn jede Schilddrüse kann nur eine bestimmte Menge Jod aufnehmen. Aber wenn sie gesättigt ist, kann sie kein radioaktives Jod mehr, das sich in der Luft oder der Umwelt herumbewegt, aufnehmen."
    Luxemburg hat die Sicherheitszone auf 15 Kilometer um das Kernkraftwerk Cattenom herum ausgedehnt. Das heißt, hier muss eine schnellstmögliche Jodversorgung gewährleistet sein und dieser Landstrich muss binnen weniger Stunden evakuiert werden.
    Betroffen sind zehn Gemeinden mit insgesamt 60.000 Einwohnern. Nur ein Teil von ihnen wird vermutlich Hilfe benötigen, erläutert der Innenminister.
    Ein funktionierender Evakuierungsplan ist notwendig
    "Wir gehen davon aus, dass zwischen zehn und 20 Prozent der Leute evakuiert werden müssten. Die anderen würden das alleine machen. Wir gehen davon aus, dass wir maximal 12.000 Leute evakuieren müssten über die öffentlichen Dienste. Allerdings sind die zehn betroffenen Kommunen nun aufgerufen, einen eigenen Notfallplan zu entwickeln und die Pläne zu verfeinern."
    Denn die Vorstellung, dass sich viele Menschen im Falle eines nuklearen Zwischenfalls individuell mit dem eigenen Wagen auf den Weg machen, um einer drohenden Gefährdung zu entkommen, bereitet den Katastrophenschützern Sorge. Verstopfte Straßen wirken jedem geordneten Evakuierungsplan entgegen. Die Kommunen sind daher aufgefordert, Sammelpunkte für die Bevölkerung zu benennen wie Bahnhöfe, Schulen oder Altenheime, damit die Menschen von mehreren Stellen in die Aufnahmezentren im Norden des Landes abtransportiert werden können.
    Geklärt sind die Detailfragen allerdings noch nicht. Henri Glesener: "Es muss über die Transportmittel diskutiert werden, sind die tatsächlich vorhanden, wie wird das funktionieren, wie viele Leute können wir gleichzeitig wegtransportieren?"
    Greenpeace Luxemburg hält die Vorbereitungen für unzulänglich. Es könne nicht schaden, für die 15-Kilometer-Zone einen detaillierten Evakuierungsplan zu besitzen, aber die Erfahrungen in Fukushima hätten gezeigt, dass dies nicht ausgereicht habe, argumentieren die Umweltschützer. Vor allem die Windverhältnisse, die im Voraus nicht zu berechnen seien, spielten dabei eine Rolle, sagt Roger Spautz.
    "Je nach Wetterlage, eine Stunde später, ist es vielleicht ein Ort, der 20 bis 30 Kilometer entfernt ist, das kann man nicht im Voraus genau sagen."
    Der Ballungsraum Luxemburg Stadt in den tagtäglich zusätzlich 160.000 Deutsche, Belgier und Franzosen strömen, um dort zu arbeiten, wäre in einem solchen Szenario betroffen. Für sie alle wäre im Fall der Fälle in Luxemburg gar kein Platz, dafür ist das Land zu klein. Wirklich helfen kann dem Großherzogtum daher nur eines, sagt Innenminister Dan Kersch. "Zuallererst, die Luxemburger Regierung ist nach wie vor der Meinung, dass Cattenom geschlossen werden muss."