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Albanien
Blick in eine dunkle Vergangenheit

Gut 6.000 Oppositionelle ließ der stalinistische Diktator Enver Hoxha nach seiner Machtübernahme 1944 exekutieren. Mehr als 120.000 Menschen verschwanden in Arbeitslagern – zum Teil jahrzehntelang. Eine Abrechnung mit den Schergen von einst hat es nicht gegeben. Die sozialistische Regierung von Premier Edi Rama unternimmt jetzt einen neuen Anlauf.

Von Stephan Ozsváth |
    Albaniens Premier Edi Rama sitzt am Schreibtisch vor der roten Flagge seines Landes und erläutert den EU-Kandidatenstatus
    Premier Edi Rama will, dass sich Albanien seiner Vergangenheit stellt (picture alliance/epa/str)
    Visar Zhitis Verbrechen waren Gedichte. Sie bringen den Lehrer für sieben Jahre in ein Arbeitslager in den eisigen Bergen Nordalbaniens. Im Bergwerk muss der heute 63-Jährige zusammen mit anderen schuften.
    "Unsere Kleidung war schmutzig, erzählt er, seit Jahren nicht mehr gewaschen. Und von vielen Menschen getragen. Wir trugen Stiefel, statt Socken ein Stück Tuch, eine Mütze. Und so gingen wir unter Tage. Manchmal drei Kilometer horizontal und zwei Kilometer nach unten. Alles zu Fuß. Dann mussten wir Erz abbauen, angeblich enthielt das Goldspuren. Es gab eine Norm – jeder musste pro Tag einen LKW mit Anhänger füllen – die Aufseher sagten: Entweder ihr bringt die Norm, oder wir nehmen Euch eure Seele."
    Kein Einzelfall. Gut 6.000 Oppositionelle ließ der stalinistische Diktator Enver Hoxha nach seiner Machtübernahme 1944 exekutieren. Mehr als 120.000 Menschen verschwanden in Arbeitslagern – zum Teil jahrzehntelang. Ein falsches Wort – und man verschwand im albanischen Gulag. Und aus Opfern wurden auch Täter. Die Sigurimi, die albanische Staatssicherheit, rekrutierte auch in den Zwangslagern. Simon Miraka leitet einen Verein von ehemaligen politisch Verfolgten. Er schätzt.
    "Ein guter Teil der Mitarbeiter, wahrscheinlich mehr als die Hälfte, sind Spitzel geworden, aufgrund unvorstellbarer Gewalt und Folter. Jeder von uns, der das erlebt hätte, hätte eine Verpflichtungserklärung unterschrieben. Wir müssen heute der Tatsache ins Auge blicken, dass alte Ermittlungsrichter und Staatsanwälte in den höchsten Justiz-Positionen sind."
    Simon Siraka war zwei Jahre alt, als seine Familie in die Verbannung geschickt wurde. 44 Jahre lang lebte sie in einem Arbeitslager. Die Häftlinge von damals sind bis heute Paria geblieben, beklagen die politischen Verfolgten von einst. Nur ein kleiner Teil der versprochenen Entschädigungen ist ausgezahlt worden. Und die Täter? Zehntausende Akten wurden bis zur Wende 1991 vernichtet. Aber auch noch danach, während der Unruhen von 1997, erzählt der stellvertretende Innenminister Ilirjan Mustafaraj.
    Opfer wurden auch zu Tätern
    "Damals wurde das Hauptmagazin im Archiv des Innenministeriums angegriffen, in Krraba, wo die Dokumente aufbewahrt wurden. Dort hat man gewütet - Unterlagen der Sigurimi-Mitarbeiter vernichtet. Erstaunlicherweise fehlen die Dokumente für den Kreis Tirana."
    Eine Abrechnung mit den Schergen von einst hat es nicht gegeben. Deshalb war es für viele Ex-Sigurimi-Angehörige auch möglich, im Nachwende-Albanien nahtlos Karriere zu machen. Der ehemalige Zwangsarbeiter Zhiti sagt: "Unsere Chefs gehören immer der alten Nomenklatura an. Es geht uns also besser als früher. Aber auch unseren Verfolgern."
    Versuche, die Akten zu öffnen, scheiterten bislang. Jetzt hat die sozialistische Regierung von Premier Edi Rama einen neuen Anlauf unternommen. Die OSZE unterstützt diesen Gesetzentwurf, der sich am deutschen Modell orientiert. Bespitzelte sollen Akteneinsicht erhalten.
    "Wenn man keine Kontrolle über die Vergangenheit hat, so Rama, kann man keine sichere Zukunft planen. Das gilt hier in Albanien besonders."
    Ein Lustrationsgesetz – das die Entfernung ehemaliger Sigurimi-Mitarbeiter aus wichtigen Positionen vorsah – scheiterte schon vor sechs Jahren am Verfassungsgericht. Ein alternativer Gesetzvorschlag fordert nun beides: Akteneinsicht und Säuberung der Amtsstuben. Diese Position vertritt auch Elsa Ballauri, sie leitet eine Menschenrechtsgruppe.
    "Ich glaube nicht, dass die Albaner nur die Aktenöffnung brauchen – ohne Lustration. Denn so werden die Akten weiter missbraucht, nicht mehr heimlich, sondern offen. Ich sehe keinen guten Willen, die Geschichte aufzuarbeiten."
    Denn auch ehemalige Opfer, die zu Tätern wurden, leisten Widerstand. Sie fürchten, enttarnt zu werden.