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Albanien
Vom Atheismus zum Islamismus

Das kommunistische Albanien brüstete sich damit, das erste atheistische Land der Welt zu sein. Alle Religionen waren verboten. Mit der neuen Glaubensfreiheit nach dem Ende der Diktatur ist das kleine Land überfordert. Nun hat das Land ein Islamismus-Problem.

Von Sabine Adler | 01.09.2017
    Baustelle der Erdogan-Moschee in Tirana
    Die Erdogan-Moschee wird mit dem Geld der türkischen Regierung in Tirana gebaut. Überproportional viele Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates stammen aus Albanien. (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Verschleierte Frauen sieht man auf den Straßen von Tirana nicht, Kopftücher hin und wieder, die allermeisten Albaner kleiden sich westlich. 57 Prozent bezeichnen sich als Moslems, zwei Prozent gehören zu den alevitischen Bektaschi, 17 Prozent sind orthodoxe und katholische Christen.
    Die kleinen Gotteshäuser mit ihren bescheidenen Minaretten gehen unter im Häusermeer der albanischen Hauptstadt. Völlig aus der Art schlägt da die sogenannte Erdogan-Moschee.
    Schon jetzt ragen zwei der künftig vier Minarette hoch hinauf in den Himmel. Errichtet wird die Erdogan-Moschee mit dem Geld der türkischen Regierung, deswegen der Name, im kommenden Sommer soll sie 4.000 Gläubigen Platz bieten.
    "Vor dem Kommunismus gab es 1.000 Moscheen in Albanien, sie sind alle zerstört worden. Damals hatte Tirana 80.000 Menschen und 30 Moscheen. Jetzt hat Tirana 800.000 Einwohner und es gibt nur zehn kleine Moscheen. Diese neue Moschee ist deswegen eine Notwendigkeit, kein Statussymbol."
    Gazmend Aga von der Albanischen Muslimischen Gemeinde
    Gazmend Aga von der Albanischen Muslimischen Gemeinde: "Moschee ist Notwenigkeit, kein Statussymbol" (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Gazmend Aga von der Albanischen Muslimischen Gemeinde hat von seinem Büro aus einen guten Blick auf die Baustelle. Der 35-Jährige - im weißen Hemd mit offenem Kragen, das Gesicht glatt rasiert - erinnert eher an einen jungen Banker oder Beamten, als an einen Imam. Alle Glaubensgemeinschaften durften nach dem Ende der kommunistischen Diktatur 1992 wieder praktizieren, mussten ihren Neustart jedoch aus eigener Kraft schaffen.
    "Religion war abgeschafft, verboten in Albanien"
    Eine Entscheidung, die Agron Sojati für äußerst fragwürdig hält. Sojati ist der Anti-Terror-Beauftragte des Premierministers, ein Amt, das erst vor zwei Jahren in Albanien eingerichtet wurde. "Religion war abgeschafft, verboten in Albanien. Jede Religion, nicht nur die muslimische. Ab 1992 erlaubte die Regierung die Religionen wieder, aber sie überließen sie sich selbst. Sie wollten nicht falsch verstanden werden, dass sie die Glaubensgemeinschaften etwa kontrollieren würden. Aber das hat zu lange angehalten, mehr als 25 Jahre. Und man weiß ja, dass es kein Vakuum gibt. Wir haben sie allein gelassen, andere taten das nicht."
    Agron Sojati organisiert als nationaler Koordinator den Kampf gegen den Extremismus in Albanien. Dass Sojati den Anti-Terror-Kampf sofort mit dem Islam verbindet, darf man getrost als Eingeständnis staatlichen Versagens in Religionsfragen werten. In mehrfacher Hinsicht. Beim Moscheebau zum Beispiel. Ohne behördliche Genehmigungen oder Vorgaben taten die muslimischen Gemeinden, was alle im Land machten: Sie bauten einfach drauflos, finanziert von wohlhabenden Golfstaaten wie Saudi-Arabien, Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber auch der Türkei.
    Der gesamte Westbalkan wird zunehmend radikalisiert
    Mit dem Geld kamen islamistische Einflüsse nach Albanien, die zu lange gewaltig unterschätzt wurden, denn in den Jahrzehnten des sogenannten Steinzeit-Kommunismus ist dem Land jedes Verständnis für die Rolle der Religion abhandengekommen.
    "Es gab keine religiöse Erziehung bei uns. Deswegen sind viele Albaner dafür ins Ausland gegangen: nach Saudi-Arabien, in die Türkei, nach Syrien, Jordanien, in die Golf-Staaten. Wir als nicht religiöses Land kannten uns mit den Unterschieden in den verschiedenen Islam-Richtungen nicht aus."
    Insgesamt leben in Albanien, Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien achteinhalb Millionen Moslems. Von der zunehmenden Radikalisierung wird der gesamte Westbalkan heimgesucht - einschließlich Albanien, wie der Politikwissenschaftler Enri Hide herausfand.
    "Zwischen 600 und 900 Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates in Syrien und im Irak stammen vom West-Balkan. Darin sind Familienangehörige eingeschlossen. Aus Albanien kommen 145 Personen, ebenfalls mit Partnern und Kindern. 45 bis 48 sind zurückgekehrt. 76 sind mit ihren Familien noch dort."

    Roland Islami ist in Albanien ein bekannter Strafverteidiger, der sich in einer teuren schwarzen Limousine durch die Hauptstadt Tirana kutschieren lässt. Als Anwalt hat er neun Syrien-Rückkehrer vertreten, ehemalige Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats. Unter ihnen zwei Imame. Der eine, Bujar Hysa, sei das, was man einen Hassprediger nennt.
    "Bujar Hysa ist eine Person mit einem hohen kriminellen Potenzial. Im Gerichtssaal scheute er nicht vor solchen Aussagen zurück wie: 'Die Führung des Islamischen Staates wird kommen und aus Albanien einen echten Staat machen.' Albanien darf nicht zusehen, wenn jemand solch ein Gedankengut verbreitet."
    Anwalt Roland Islami
    Strafverteidiger Roland Islami vertritt Syrien-Rückkehrer in Albanien (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Wachsende radikale Szene in Albanien
    Albanien hat eine islamistische Szene bekommen, die immer größer wird, sagt Enri Hide. Er studiert die Radikalisierung in Albanien und auf dem Balkan seit Jahren. "Wir haben einige Moscheen, etwa in manchen Außenbezirken von Tirana, die klar unter dem Einfluss von radikalen Leuten stehen. Einer der größten Brennpunkte ist der Ort Cërrik, mit einer der am schnellsten wachsenden radikalen Szenen in Albanien. Oder das Dorf Rëmenj zum Beispiel, aus dem gleich neun Kämpfer zum IS gegangen sind. Die jungen Leute sind aber nicht nur in Moscheen radikalisiert worden, auch in anderen Gebäuden, die nicht für religiöse Zwecke genutzt werden."

    Auch der Anti-Terror-Beauftragte des Premierministers, Agron Sojati, sieht hier Handlungsbedarf. Radikalisierung geschehe häufig als Versuch, der Armut und Chancenlosigkeit zu entfliehen. "Hauptsächlich sind es wirtschaftliche Gründe. 60 Kilometer von Tirana entfernt lebt in einem kleinen Ort eine Gemeinde von Sinti und Roma. Von dort sind allein fünf Personen nach Syrien gegangen, weil man ihnen versprochen hat, dass jeder 1.500 Euro bekommt. Tatsächlich bekamen sie 150 Euro. Alle sind zurückgekehrt."
    Jetzt würden alle überwacht. Aber leider interessiere sich niemand für ihre wirtschaftliche Situation, sagt Sojati, denn diese Männer bräuchten vor allem eine Berufsausbildung, Arbeit, eine Wohnung.