Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Angelina Jolies Brustamputation wird "Problembewusstsein deutlich verstärken"

Die Brustamputation Angelina Jolies werde zu einer verstärkten Nachfrage bei den Beratungsstellen führen, vermutet Oberärztin Susanne Morlot von der Medizinischen Hochschule Hannover. Das sei positiv, denn viele Frauen würden zu spät zur Beratung kommen und dadurch Heilungschancen verpassen.

Susanne Morlot im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.05.2013
    Christiane Kaess: Die amerikanische Schauspielerin Angelina Jolie rüttelte gestern mit der Nachricht auf, sie habe sich aus Angst vor Krebs beide Brüste amputieren lassen. Sie trage einen Gendefekt in sich und sei deshalb anfällig für eine Krebserkrankung, das schrieb Jolie in einem Beitrag für die "New York Times". Sie hat damit eine Debatte über Brustkrebs angestoßen. Aber ist eine vorbeugende Amputation sinnvoll?

    Mein Kollege Martin Zagatta hat gestern Abend mit der Oberärztin Susanne Morlot gesprochen, von der Medizinischen Hochschule Hannover, die dort für das Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs arbeitet. Von ihr wollte er wissen, ob sie die Aufmerksamkeit, die Angelina Jolie jetzt erreicht, gut findet, ob das mehr Problembewusstsein schafft, oder mehr Panik.

    Susanne Morlot: Ich glaube, es wird erst mal ein bisschen Panik schaffen und dann wird es das Problembewusstsein deutlich verstärken. Wir haben hier im Institut für Zell- und Molekularpathologie ja sehr viele genetische Beratungen mit Verdacht auf erbliche Krebserkrankungen und stellen fest, dass viele Patienten erst sehr spät kommen, weil sie zu viel Angst vor der Beratung an sich haben und immer befürchten, dass in der Beratung irgendwas rauskommt, was sie nicht wissen wollen. Aber letztendlich ist die Beratung eigentlich nur erst mal ein Informationsgespräch, um zu klären, ob überhaupt ein erhöhtes Risiko besteht und was man für Untersuchungen machen kann, und vor allem, was der Nutzen dieser Untersuchungen für die Patienten ist. Bei Frau Jolie, die sich ja entschlossen hat, aufgrund eines Gendefektes eine beidseitige Brustdrüsen-Körperentfernung durchzuführen, die hat letztendlich die Konsequenz gezogen, weil sie sagt, mit Früherkennungs-Untersuchungen könnte ich zwar den Krebs früh erkennen, aber er wird trotzdem entstehen, und durch die beidseitige Brustdrüsen-Körperentfernung kann ich verhindern oder mit einer sehr, sehr hohen Wahrscheinlichkeit verhindern, dass er überhaupt entsteht.

    Martin Zagatta: Aber das ist auch ein bisschen das Problem. Bei Frau Jolie, wenn ich das richtig verstanden habe, da war die Gefahr sehr groß, an Brustkrebs zu erkranken, aber sie war noch nicht an Krebs erkrankt. Würden Sie in so einem Fall auch zu einem so radikalen Schnitt, zur Amputation beider Brüste raten?

    Morlot: Raten ist aus genetischer Sicht niemals die richtige Bezeichnung. Wir machen zwar genetische Beratung, aber wir versuchen eigentlich nur, durch diese Beratung die Patienten zu einem Wissensstand zu bringen, der ihnen dann eine selbst geführte Entscheidung ermöglicht. Die meisten Brustkrebserkrankungen sind nicht erblich oder nicht aufgrund einer erblichen, auf Basis einer erblichen Veranlagung entstanden, sondern sogenannte sporadische Krebserkrankungen. Die wenigen Fälle, die aufgrund einer starken erblichen Veranlagung entstanden sind, in diesen Familien gibt es eben auch für die Verwandten ein sehr, sehr hohes Erkrankungsrisiko und die sind in diese Situation gedrängt wie eben auch Frau Jolie, dass sie überlegen muss, Früherkennung oder prophylaktische Entfernung des entsprechenden Gewebes.

    Zagatta: Dass eine Hollywood-Schauspielerin sich das leisten kann, das ist ja klar. Wie ist das bei uns in Deutschland? Hat da eine Frau, die noch nicht an Krebs erkrankt ist und die sich Sorgen macht, hat die dann Anspruch auch auf einen Gentest?

    Morlot: Eine Frau in Deutschland hat, ich denke, international gleich einen Anspruch auf einen Gentest, der auch von der Kasse übernommen wird, wenn die Indikation medizinisch gestellt ist. Das heißt nicht, weil sie selber einfach Panik hat oder Angst hat, eine Genmutation zu tragen, aber im Familienstammbaum ergibt sich eigentlich gar kein Hinweis darauf, oder auch bei ihr selber. Sie selber ist gar nicht erkrankt und es sind gar keine Brustkrebserkrankungen in der Familie aufgetreten. Da wird die Kasse das nicht bezahlen, beziehungsweise eigentlich darf der Arzt es dann nicht abnehmen, weil es im Grunde keine Indikation gibt.

    Zagatta: Und wenn es so ist, wie ist es dann in der Praxis? Dann werden ja die meisten Frauen zu Ihnen sagen, was raten Sie mir jetzt. Entscheiden dann in der Praxis die Ärzte, raten die dann zu einer Amputation der Brüste, oder sind das einfach die Frauen, die sich Sorgen machen und dann darauf drängen? Wie sieht das in der Praxis aus, wie muss man sich das vorstellen?

    Morlot: Vielleicht beschreibe ich mal ganz kurz den Schritt, wie das läuft: Eine Patientin meldet sich hier zum Beispiel bei uns in der MHH zu einer genetischen Beratung, weil sie Sorge hat, dass in der Familie gehäuft Krebs aufgetreten ist und sie auch ein hohes Risiko hat. Wir machen einen Stammbaum und gucken uns an, ob sich Hinweise ergeben, ob zum Beispiel beidseitige Brustkrebserkrankungen aufgetreten sind, ob frühe Brustkrebserkrankungen auch bei Verwandten aufgetreten sind, ob Eierstockkrebs mit aufgetreten ist, ob bei Männern in der Familie Brustkrebs aufgetreten ist. Wenn sich hier – und da helfen uns Computerprogramme, das Risiko zu berechnen – eine hohe Wahrscheinlichkeit ergibt, dass die Frau Trägerin so einer Genveränderung ist, dann können wir dieses Gen untersuchen. Dann lassen wir nach einer Bedenkzeit, die in der Regel etwa vier Wochen beträgt, eine Blutentnahme durchführen, oder führen sie selber durch, und untersuchen diese beiden wichtigsten Gene in der Regel. Das ist das BRCA1-Gen, was offensichtlich bei Frau Jolie verändert ist, und das BRCA2-Gen, und es gibt noch weitere Gene. Das dauert ein paar Wochen in der Regel. Man kann es auch schneller machen, aber die Routine ist drei, vier Wochen. Dann kommt die Patientin selber wieder zu einem Gespräch, wo der Befund im Rahmen auch einer genetischen Beratung ausführlich besprochen wird, und dann spricht man über die Konsequenzen und die möglichen Optionen.

    Zagatta: Von Experten hört oder liest man jetzt auch, dass Frauen ihr Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, wesentlich höher einschätzen, als es tatsächlich ist. Rechnen Sie da jetzt bei diesem Wirbel um Angelina Jolie mit einem Sturm auf Ihre Beratungsstellen?

    Morlot: Ja, ein bisschen befürchten wir das. Aber auf der anderen Seite sehen wir das auch positiv, weil wir auch sehr viele Frauen sehen, die eigentlich zu spät zur Beratung kommen und damit denen die Chance vorenthalten wird, dieses intensivierte Früherkennungsprogramm in Anspruch zu nehmen, dann praktisch Krebserkrankungen in sehr frühen Stadien zu erkennen, oder eben auch eine prophylaktische Operation durchzuführen. Diese Frauen haben im Grunde dann, wenn sie so spät kommen, Chancen verpasst, ihren Gesundheitsverlauf besser zu beeinflussen. Wir können auch schon am Telefon so ein bisschen gucken, durch Fragen nach dem Stammbaum, und wir schicken auch Informationsmaterial und Fragebögen zu. Da können wir auch schon etwa abschätzen, ob das Familien sind, wo tatsächlich ein hohes Risiko ist, dass es eine erbliche Form ist, oder doch eher ein sporadischer Brustkrebs und dass dann eine genetische Beratung und vor allem auch eine genetische Untersuchung nicht unbedingt notwendig sind.

    Kaess: …, sagt die Oberärztin Susanne Morlot von der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie arbeitet dort für das Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs. Die Fragen stellte mein Kollege Martin Zagatta.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen./