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Angermüller: Deutschland kann nicht die gesamte EU retten

Der Ökonom Niels Angermüller hält die Lage Deutschlands in der Schuldenkrise für ernst, aber beherrschbar. Griechenland werde allerdings nicht um einen Schuldenschnitt herumkommen. Dies habe besonders für französische Banken, die viele griechische Anleihen halten, Konsequenzen.

Niels Angermüller im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.10.2011
    Jasper Barenberg: Je näher ein Staatsbankrott Griechenlands rückt, je unausweichlicher er scheint, desto mehr geraten die Banken in Europa unter Druck. Auch deswegen haben die Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit Spaniens jetzt herabgestuft und auch die Bonität großer britischer Banken.
    Mitgehört hat Niels Angermüller, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Harz. Schönen guten Tag, Herr Angermüller.

    Niels Angermüller: Schönen guten Tag.

    Barenberg: Herr Angermüller, wir haben es eben von unserer Korrespondentin gehört: Der Ton in der Runde der G20 wird schärfer. Wie ernst ist die Situation mit Blick auf Schuldenkrisen und Bankensorgen?

    Angermüller: Ja, die Situation mit Blick auf die Schuldenkrise in Europa ist natürlich, wenn Sie sich einige Länder anschauen, mit Sicherheit ernst. Ich würde so ein bisschen differenzieren, über wen wir reden. Die Situation ist sicherlich in Deutschland aus meiner Sicht beherrschbar. Wenn man jetzt keine unkalkulierbaren Versprechungen macht, dann denke ich, dass wir das in den Griff bekommen können. Bei anderen Volkswirtschaften wie Griechenland, denke ich, wird man – und das habe ich ja bereits vor einigen Monaten auch bei Ihnen einmal in einem Interview gesagt – nicht um einen Schuldenschnitt herumkommen, und das hat natürlich Konsequenzen, und zwar für den gesamten Euro-Raum und damit eben auch für die Banken.

    Auch hier würde ich wieder differenzieren. Man muss schauen, wer hält denn eigentlich griechische Anleihen, und da sind eben auf Platz eins tatsächlich französische Banken. Deshalb ist wahrscheinlich auch, wie eben gesagt wurde, der Druck in Frankreich am größten. Platz zwei dann wohl nach den Schätzungen, die ich kenne, die Schweiz. Das heißt also, auch sein Geld in die Schweiz zu bringen, was viele getan haben, ist vielleicht nicht die alleinige Lösung. Und dann erst auf Platz drei deutsche Banken, und man darf ja nicht vergessen, dass Deutschland die größte und momentan auch sicherlich wirtschaftlich stabilste Volkswirtschaft in Europa ist.

    Barenberg: Und weil das so ist, Herr Angermüller, weil unterschiedliche Banken in unterschiedlichen Ländern verschieden große Pakete an Anleihen halten, beispielsweise aus Griechenland, sind ja auch die Interessenlagen der Regierungen ganz unterschiedlich. Immer wieder ist zu hören, wenn es jetzt um die nächsten Schritte geht, von großen Konflikten beispielsweise zwischen Deutschland und Frankreich. Werden die sich denn einigen?

    Angermüller: Das halte ich für zunehmend fraglich, weil ich persönlich glaube, dass ein weiterer Ausbau dieser Rettungsschirme sicherlich in Deutschland kaum noch zu vermitteln ist. Es gibt ja politische Stimmen, auch in der aktuellen Koalition, die auch klar gemacht haben, dass man diesen Weg nicht mitgehen würde. Die CSU hat ja ganz klar gesagt beispielsweise, das ist jetzt das Ende der Fahnenstange für sie, auch die FDP hat ja einen Mitgliederentscheid jetzt zum permanenten Rettungsschirm, den sie herbeiführen will, und da ist ja auch alles andere als klar, was da rauskommt. Insofern ist es fraglich. Aus meiner Sicht kann Deutschland auch nicht die gesamte EU retten, oder die gesamte Eurozone, und auch Deutschland und Frankreich zusammen können das nicht.

    Was ich für realistisch halte ist, dass Deutschland die Probleme, die sich aus einer "Griechenland-Pleite" oder einem Schuldenschnitt und beispielsweise auch einem gleichzeitigen Schuldenschnitt vielleicht noch in Portugal, Irland, wobei ich Irland eigentlich auf einem guten Weg sehe, oder auch selbst Italien ergeben, denke ich, für ein beherrschbares Szenario halte, wenn man also wirklich nur die deutschen Banken rekapitalisieren müsste, denn wir haben in Deutschland ja den großen Vorteil im Vergleich, eben wurde ja auch Großbritannien angesprochen, dass wir nicht einen Bankensektor haben, der nur durch Großbanken dominiert wird, sondern wir haben ja viele kleinere Institute auch, Sparkassen, Volksbanken, die aufgrund ihres Geschäftsmodells normalerweise nicht in solchen Ländern investiert sind. Mir ist bekannt, dass natürlich auch Sparkassen oder auch Volksbanken griechische Anleihen haben, aber die haben die im Regelfall nicht in einem Ausmaß, das für sie wirklich zu einem Problem würde.

    Barenberg: Herr Angermüller, wenn das alles so ist, wie Sie sagen, und die Situation sich doch sehr unterschiedlich darstellt, Deutschland und Frankreich, die Bundeskanzlerin, sie haben angekündigt, ein Gesamtpaket auf dem Gipfel nächste Woche in Brüssel zu verabschieden. Der Druck, dieses auch zu tun, ist vonseiten der G20-Partner groß. Zum Schluss: Glauben Sie, dass es diese Gesamtlösung in absehbarer Zeit geben wird?

    Angermüller: Ich denke schon, dass man versuchen wird, erneut etwas vorzustellen, genau wie man das mit den bisherigen Rettungsschirmen auch getan hat. Ich habe Zweifel – und das ist ja auch das Problem der aktuellen Maßnahmen -, ich habe Zweifel, ob das wirklich glaubwürdig ist, und Glaubwürdigkeit ist hier der absolute Schlüssel zum Erfolg. Denn wenn die aktuellen Maßnahmen, die ja nun auch schon, wenn sie in die Slowakei schauen, zögerlich beschlossen wurden, wenn solche Maßnahmen nicht glaubwürdig sind, dann werden sie nachher nur sehr teuer potenziell, aber sie bringen nichts. Und letztlich glaube ich, dass nur glaubwürdige Maßnahmen helfen.

    Wir reden hier nachher aus meiner Sicht über eine Frage, wie die Lasten verteilt werden, und da kann man natürlich unterschiedlicher Auffassung sein. Man kann einmal natürlich der Auffassung sein, wir orientieren uns am Verursacherprinzip, das würde bedeuten, man lässt einige Länder dann eben auch wirklich allein mit den Problemen.

    Barenberg: Herr Angermüller, verzeihen Sie, wir müssen zum Schluss kommen, weil die Nachrichten warten und wir etwas spät unser Gespräch beginnen konnten.

    Angermüller: Okay.

    Barenberg: Danke Ihnen ganz herzlich. – Niels Angermüller, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Harz. Danke.

    Angermüller: Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.