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Angriffe auf Ost-Ghuta in Syrien
"Man ist den Bomben ausgeliefert"

"Man kommt aus diesem Gefängnis nicht raus." Mit diesen dramatischen Worten beschreibt der Syrien-Experte Elias Perabo die Lage der Menschen in Ost-Ghuta in Syrien. Seit fünf Tagen wird die Region von syrischen und russischen Kampfjets bombardiert. Für die Menschen gebe es keinerlei Schutz, sagte er im Dlf.

Elias Perabo im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Rauch steigt von Gebäuden im Dorf Mesraba auf, das im Rabellengebiet Ost-Ghuta außerhalb von Damaskus liegt.
    Die Menschen versuchten in selbst gegrabenen Kellern Schutz vor den Bomben zu finden, sagte Elias Perabo im Dlf (AFP - Hamza Al-Ajweh)
    Stefan Heinlein: Syrien ist ein Schlachtfeld unterschiedlicher Interessen, der Schauplatz von Stellvertreterkriegen. Russland, der Iran, die Türkei sind nur einige der Akteure. Alle Seiten suchen ihren Vorteil im Machtkampf der Region. Die Versuche deshalb, auf der großen Bühne der Weltpolitik, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Fortschritte zu erzielen, sind entsprechend mühsam. Derzeit bewegt sich kaum etwas in New York, viele Stunden wurde ohne Ergebnis verhandelt, eine Abstimmung über eine mögliche Waffenruhe in Syrien wurde am Ende erneut verschoben.
    Und am Telefon begrüße ich jetzt Elias Perabo, er ist Geschäftsführer von "Adopt a Revolution", einer Organisation, die seit Jahren versucht, die syrische Zivilgesellschaft zu unterstützen. Guten Tag, Herr Perabo!
    Elias Perabo: Guten Tag, Herr Heinlein!
    Heinlein: Sie sind im engen Kontakt mit Ihren Partnerorganisationen vor Ort in Syrien, auch in Ost-Ghuta. Was hören Sie, mit welchen Worten lässt sich die Situation beschreiben?
    Perabo: Die Situation in Ost-Ghuta lässt sich glaube ich zunehmend weniger mit Worten beschreiben. Man kann glaube ich nur noch Eindrücke von diesem Grauen, von diesem Inferno, was vor Ort passiert, wirklich erahnen.
    Ich will Ihnen ein Beispiel geben, gestern Abend ist eine unserer beiden Schulen, die wir in der Stadt Erbin in Ost-Ghuta unterstützen, von einer Fassbombe getroffen worden, in dem Keller dieser Schule haben sich zu diesem Zeitpunkt 200 Menschen befunden, die dort probiert haben, Schutz zu suchen. Glücklicherweise ist nur eine Person getötet, zehn weitere verletzt worden, das war also sozusagen noch Glück im Unglück, aber das zeigt: Es gibt keinerlei Schutz für die Menschen in Ghuta, es gibt keinen Rückzug, man kommt aus diesem Gefängnis nicht raus, man ist sozusagen den Bomben ausgeliefert.
    Heinlein: Ist so etwas wie ein normales Leben für die rund 400.000 Bewohner der Stadt überhaupt noch möglich?
    Perabo: Nein, seit spätestens fünf Tagen ist das nicht mehr möglich. Wir haben seit fünf Tagen ein massives Bombardement aus der Luft von syrischen und russischen Kampfjets. Das Bombardement ist so stark, dass die Menschen versuchen, in Kellern oder in Schutzbunkern Zuflucht zu finden, meistens sind das selbst ausgehobene Keller, die man über Monate probiert hat, anzulegen. Man kommt sowieso nur noch an die Oberfläche, wenn einmal wie gestern, wo es geregnet hat, das Bombardement etwas nachlässt, dann ist es möglich, vielleicht noch ein bisschen Lebensmittel zu bekommen, aber ein reguläres Leben ist momentan in dieser Region gar nicht möglich.
    Heinlein: Gibt es irgendwelche Hilfe von außerhalb?
    Perabo: Nein, Ost-Ghuta ist seit Monaten beziehungsweise seit fünf Jahren belagert sogar. Es kamen in der Vergangenheit monatlich immer mal wieder Konvois der UN nach Ghuta rein, das ist aber schon ganz lange nicht mehr passiert. Und genau das ist auch das Problem, dass neben den Bomben, neben dem massiven Beschuss die Menschen, mit denen wir sprechen, sagen: Jetzt kommt auch noch der Hunger, wir sitzen in diesen Kellern, wir sitzen in den Schutzräumen, wir haben Hunger, es gibt seit Langem kein Brot mehr und die restlichen Lebensmittel, die wir uns probiert haben anzulegen sozusagen, werden immer weniger, wir müssen immer mehr teilen.
    Deswegen ist es ja so dramatisch und wichtig, dass wir diese UN-Resolution brauchen, dass wir endlich eine Feuerpause brauchen, dass wir einen humanitären Korridor haben, in den humanitäre Güter und Lebensmittel nach Ghuta reingebracht werden können.
    "Da gab es schon immer sehr große Spannungen"
    Heinlein: Ost-Ghuta, Ghuta gilt ja als eine Hochburg der Assad-Gegner, als die letzte Bastion der Rebellen. Wie würden Sie das Verhältnis der Bewohner, der Menschen vor Ort in Ghuta zu den Rebellen, zu den Assad-Gegnern beschreiben?
    Perabo: Ich glaube, das Verhältnis ist schon immer angespannt. Vor allem von unseren Partnern, die sehr stark zivilgesellschaftlich organisiert sind, im Unterschied zu den Frauenzentren, im Unterschied zu den Schulen, wir unterstützen ein Tonstudio etwa in dieser Region, da gab es schon immer sehr große Spannungen, weil klar ist, dass diese Rebellengruppen, die es vor Ort gibt, die islamistisch oder sogar radikal-islamistisch sind, alles andere als ein pluralistisches und demokratisches Syrien wollen. Ich glaube sozusagen, das ist das eine Bild. Das zweite Bild ist die Frage von: Wie stehen diese Menschen zu dem Assad-Regime selber? Und da ist die Angst wahnsinnig groß. Ich glaube, im Unterschied zu Aleppo, wo etwa die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilder gebraucht worden ist, erleben wir hier in Ghuta, dass diese Leute sagen: Nein, es sind nicht die Rebellen, die uns festhalten zu gehen, sondern wir sind belagert, wir kommen aus diesem Gefängnis nicht raus, selbst wenn wir gehen wollten. Gehen sonst will aber eigentlich niemand, weil die Angst so groß ist vor dem Regime.
    Systematische Angriffe auf Krankenhäuser, medizinische Einrichtungen und Schulen
    Heinlein: Es gibt Berichte, nach denen immer noch aus Ost-Ghuta die nahe Hauptstadt Damaskus, also das Zentrum des Assad-Regimes mit Mörsern und mit Granaten beschossen wird. Was wissen Sie darüber von Ihren Partnerorganisationen?
    Perabo: Das ist korrekt, das passiert, auch da sozusagen darf man die islamistischen Gruppen, die es in Ost-Ghuta gibt, überhaupt nicht rausnehmen, auch die begehen Kriegsverbrechen, in denen sie sporadisch sozusagen Raketen nach Damaskus schicken, auch da Zivilisten verletzen und sogar töten. Das ist sozusagen ganz klar zu verurteilen, das passiert. Aber es rechtfertigt nicht diesen massiven Kampf, den wir aus der Luft kriegen, und das ist kein Kampf gegen diese militärischen Stellungen.
    Um sich das noch mal zu vergegenwärtigen, wir sehen nicht, dass militärische Stellungen angegriffen werden, sondern wir sehen, dass systematisch Krankenhäuser, medizinische Einrichtungen, Schulen, Bäckereien angegriffen werden, das Bombardement ist flächendeckend. Es richtet sich nicht danach, militärisch diesen Punkt da zu machen, sondern das zivile Leben, das Leben der Zivilbevölkerung unmöglich zu machen, um so eine Aufgabe zu erzwingen.
    "Es ist eine mittelalterliche Strategie faktisch"
    Heinlein: Wie hoch sind die Chancen, dass das Assad-Regime mit dieser Strategie am Ende Erfolg haben wird?
    Perabo: Es ist die gleiche Strategie, die wir schon in Aleppo und anderen Orten gesehen haben, und natürlich, es ist eine mittelalterliche Strategie faktisch. Sie versuchen, ganze Städte, ganze Regionen aushungern zu lassen, sie versuchen sozusagen, die massiven Kosten so hochzutreiben, eine Veredelung dort so zu führen, dass man zum Schluss nicht mehr anderes sagen kann als: Wir ergeben uns, wir kapitulieren. Wir haben eigentlich ein Völkerrecht – und da kommt sozusagen die UN wieder ins Spiel –, was genau versucht hat, diese perverse Form der Kriegsführung, diese schlimmsten Formen sozusagen einzudämmen. Was heute passiert, ist, dass die Welt zuschaut und sozusagen gerade nicht eingreift, obwohl wir uns völkerrechtlich dazu verpflichtet haben.
    "Wir brauchen genau etwas, was die Spirale der Verelendung endlich durchbricht"
    Heinlein: Also am Ende würde ein Erfolg im Sicherheitsrat, also eine Waffenruhe dem Assad-Regime, dieser perfiden Strategie, die Sie gerade beschrieben haben, zuwiderlaufen?
    Perabo: Momentan auf jeden Fall, momentan ist dieses Zuwiderlaufen sozusagen. Was wir brauchen, ist eine Feuerpause, wir brauchen humanitäre Versorgung, wir brauchen genau etwas, was die Spirale der Verelendung endlich durchbricht, was den Menschen ein Leben gönnt und nicht sozusagen dass sie in ihren Kerkern und in ihren Bunkern sozusagen elendig verenden. Deswegen braucht es diese Pause und deswegen läuft es ja auch der Strategie Russlands als auch des Assad-Regimes zuwider, weshalb momentan blockiert und verzögert wird in New York.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag Elias Perabo, er ist Geschäftsführer von Adopt a Revolution. Ich danke für das Gespräch, auf Wiederhören und ein schönes Wochenende!
    Perabo: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.