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Armut bei amerikanischen Autoren
"Vertragsbedingungen sind sehr ungünstig"

56 Prozent aller US-amerikanischen Autoren leben unterhalb der Armutsgrenze. Das hat laut der Berliner Autorin Katja Lange-Müller verschiedene Gründe: Zum einen gebe es kaum gute Literaturförderungsprogramme, sagte sie im DLF. Außerdem seien die Vertragsbedingungen zwischen Autor und Verlag schlecht - und schließlich kauften die Amerikaner schlicht und einfach zu wenig Bücher.

Katja Lange-Müller im Gespräch mit Dina Netz | 21.09.2015
    Die Berliner Autorin Katja Lange-Müller liest an einem Mikrofon
    Die Berliner Autorin Katja Lange-Müller (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    Dina Netz: Ungefähr 90 Prozent aller Hörbuch-Downloads in Deutschland werden über die Amazon-Tochter Audible getätigt. So rechnet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und hat jetzt Beschwerde beim Bundeskartellamt und der EU-Kommission gegen Amazon und Audible eingelegt. Denn: Der Börsenverein befürchtet, dass sie ihre marktbeherrschende Stellung beim Vertrieb digitaler Hörbücher missbrauchen. Sie wollen Hörbuch-Verlage in ein Flatrate-Modell zwingen, mit dem niedrigere Umsätze erzielt werden würden.
    Außerdem lesen wir heute in der "Süddeutschen Zeitung", dass 56 Prozent aller US-amerikanischen Autorinnen und Autoren unterhalb der Armutsgrenze leben. Bei hauptberuflichen Autoren ist das Durchschnittseinkommen in den vergangenen sechs Jahren um rund 30 Prozent gesunken. Ich habe die Berliner Autorin Katja Lange-Müller gefragt: Die Zeiten sind ja offenbar hart für Schriftsteller. Wie sieht es denn auf Ihrem Konto so aus?
    Katja Lange-Müller: Na ja. Na Gott, na ja. Was soll ich dazu sagen? - Ich war die letzten zwei Jahre ja im Grunde gar nicht in Deutschland, sondern hatte zwei, sagen wir mal, Monster-Stipendien. Einmal war ich in der Villa Massimo, das wird ja doch ganz gut dotiert. Dazwischen war ich noch in den Vereinigten Staaten, in New York ...
    Netz: Das macht Sie zur optimalen Gesprächspartnerin.
    Lange-Müller: ... an der NYU. - Genau! - Und danach war ich für elf Monate in der Türkei in der Villa Tarabya, ebenfalls mit einem Stipendium.
    E-Books machen sich noch nicht stark bemerkbar
    Netz: Wenn wir jetzt mal von Ihrem speziellen glücklichen Fall des Stipendium-Bekommens absehen, wie ist denn die Stimmung unter Ihren Kolleginnen und Kollegen, mit denen Sie ja sicher sprechen, in Bezug auf die aktuellen Entwicklungen auf dem Buchmarkt?
    Lange-Müller: Da ich ja nicht nur mit meinen deutschen und deutschsprachigen Kolleginnen und Kollegen spreche, sondern auch mit den anderen, muss ich einfach sagen, dass es uns vergleichsweise gut geht. Nirgends ist die Literaturförderung auch pekuniär gesehen so flächendeckend und differenziert wie in Deutschland, nach wie vor.
    Netz: Aber auch mit sinkender Tendenz?
    Lange-Müller: Tatsache ist, dass die Institutionen, die Literatur fördern, auch pekuniär, das noch nicht abgebaut haben. Das betrifft sowohl den Deutschen Literaturfonds Darmstadt als auch das Aufenthaltsstipendium am LCB, diverse Stadtschreiberstellen, um die sich auch jüngere Autoren bewerben können. Das alles ist ja mit Geld verbunden. Die Hörbücher machen sich immer noch nicht so stark bemerkbar, die ja doch bedeutend billiger sind als das physische Buch.
    Netz: Sie meinen die E-Books?
    Lange-Müller: Ja genau, die E-Books. Das macht sich immer noch nicht so bemerkbar, dass es wirklich ins Gewicht fiele. Es kommt eher noch dazu.
    Keine Buchpreisbindung und Künstlersozialkasse in den USA
    Netz: Sie sind ja nun oft in den USA gewesen, nicht nur das eine Mal, das Sie gerade schon gesagt haben. Lassen Sie uns doch mal dorthin gucken und sagen Sie mir mal: Wie unterscheidet sich die Situation denn dort von unserer?
    Lange-Müller: Zum Beispiel ganz wesentlich darin, dass es die Formen von Literaturförderung, die es bei uns gibt, dort natürlich nicht gibt. Dort gibt es creative writing an so gut wie jeder Universität und wenn man das System etwas genauer kennt, dann kann man sogar den Eindruck haben, dass dieses creative writing eigentlich zur Alimentierung mehr oder weniger, eher mehr arrivierter Autoren geschaffen worden ist, damit die sozusagen einigermaßen stabile Einkünfte haben. Das wird auch immer nur um ein Jahr verlängert. So was wie eine Lebensstellung oder ein mehrjähriger Vertrag wird auf diesem Gebiet auch nicht geschlossen, an keiner einzigen Universität.
    Netz: Aber warum können diese arrivierten Autoren denn von ihren Büchern nicht leben?
    Lange-Müller: Weil die Amerikaner nicht genug Bücher kaufen und weil die Vertragsbedingungen - die sind ja bei uns schon ziemlich ungünstig; der Autor ist mit acht bis zehn Prozent pro Buch am Verkauf oder am Umsatz beteiligt. So ist das in Amerika nicht. Dazu kommt aber natürlich immer noch der Agent. Das Agentenwesen in unserer Branche ist ja aus Amerika zu uns herübergekommen. Das heißt, es sitzt noch jemand mehr mit am Teller, der eh, sagen wir mal, sparsam garniert ist, nämlich der Agent, der auch noch Prozente kassiert von der ganzen Geschichte.
    Netz: Nun ist es ja so, Frau Lange-Müller, dass Entwicklungen, die in Amerika schon gang und gäbe sind, ein paar Jahre später auch bei uns ankommen. Fürchten Sie, dass wir in einigen Jahren auch über die deutschen Schriftsteller, die unter der Armutsgrenze leben, sprechen werden?
    Lange-Müller: Zwei Sachen sind da zu erwähnen, die wirklich bei uns komplett anders sind. Erstens gibt es immer noch die Künstlersozialkasse - daran ist in Amerika überhaupt nicht zu denken -, die zumindest, sagen wir mal, die Gesundheits- und Rentenversorgung der hiesigen Autoren zur Hälfte mit abdeckt. Das ist das eine und das andere ist, dass, siehe TTIP, siehe Buchpreisbindung, nicht in allen Belangen sozusagen die Europäer oder gar die Deutschen den Amerikanern folgen. Die Zeiten sind vorbei. Ich denke mal, dass die Buchpreisbindung etwas ist, worum gekämpft werden wird, und egal wie dieses Abkommen am Ende ausgeht: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das zur Disposition steht.
    Netz: Die Schriftstellerin Katja Lange-Müller lässt sich nicht bange machen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.