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Arno Buschmann
"Mit Brief und Siegel. Kleine Kulturgeschichte des Privatrechts"

Der Wandel im Privatrecht zeigt oftmals auch einen Wandel im Politischen, in der Kultur und nicht zuletzt im Menschenbild. Der Salzburger Rechtshistoriker Arno Buschmann verfasst mit "Mit Brief und Siegel" einen Blick auf die kulturgeschichtlichen Auswirkungen des Privatrechts.

Von Christoph Fleischmann |
    Der Anspruch, mit dem Autor und Verlag hervortreten, ist nicht eben gering: Die Geschichte des Privatrechts soll erstmalig als Teil der Kulturgeschichte entfaltet werden – nicht mehr nur mit dem engen Fokus auf juristische Fragestellungen. Dieses Ziel liege allein deswegen nahe:
    "Als gerade das Privatrecht zu jenen Bereichen des Rechts gehört, dessen Regelungen seit jeher den Menschen in seiner individuellen Existenz unmittelbar betreffen und ihn von der Geburt bis an das Lebensende auf Schritt und Tritt begleiten. Nicht zu Unrecht hat man den Kernbereich des Privatrechts, das Bürgerliche Recht, als das Recht des täglichen Lebens bezeichnet, das alle Rechtsgeschäfte und alle Rechtsverhältnisse umfasst, die zum elementaren Dasein eines jeden Menschen gehören. Mehr als alle anderen Rechtsbereiche spiegelt es Lebensformen und Kultur der Menschen auf den verschiedenen Stufen der Entwicklung. Seine Geschichte ist daher nicht nur Teil der Geschichte des Rechts, sondern ebenso der Geschichte der Kultur."
    Dieser Zusammenhang soll in einem ersten lesbaren Überblick von 250 Seiten skizziert werden. Wer aber nun erwartet, dass ihm erklärt wird, wie sich durch die Jahrhunderte die Regelungen zu Ehe, Erbschaften, Besitz und Handel geändert haben und wie das mit der sonstigen Geschichte zusammenhängt, der wird enttäuscht.
    "Das wäre die Sozialgeschichte oder auch die Alltagsgeschichte; die spiegelt sich natürlich schon in den kulturellen Formen und in den Formen des Privatrechts, aber im Detail ist das sehr schwierig, Zusammenhänge darzustellen. Bei mir liegt natürlich die Betonung auf der Kultur und auf der Kulturgeschichte als einer Geistesentwicklung."
    Erklärt der Autor, der emeritierte Salzburger Rechtsprofessor Arno Buschmann. Für ihn beginnt die moderne Privatrechtsgeschichte mit dem Studium des Römischen Rechts im Hohen Mittelalter und der Rezeption dieses Rechts in Europa:
    "[Die] Tätigkeit [der gelehrten Juristen] sorgte nicht nur für die Anwendung von Inhalten und Methode des gelehrten Rechts, sondern vor allem für die Anerkennung als ius commune, als Gemeines Recht, im Heiligen Römischen Reich, auf das man stets zurückgriff, wenn das einheimische Recht keine Lösung bereithielt. Die überlieferten Formen des Rechts, die aus gewohnheitsmäßiger Rechtsübung entstanden waren und auf intuitiver Rechtsfindung beruhten, traten immer mehr in den Hintergrund und wurden durch gelehrte Begriffe ersetzt, die ab diesem Zeitpunkt den weiteren Verlauf der Rezeption, übrigens nicht nur des Privatrechts, bestimmten."
    Buschmann nennt als Bedingung für die Beschäftigung mit dem Römischen Recht die geistige Großwetterlage des Hohen Mittelalters: In der sogenannten "Renaissance des 12. Jahrhunderts" wurden antike Traditionen und Texte neu erschlossen. Ein anderer Kontext aber, nämlich die sich zur selben Zeit vollziehende "kommerzielle Revolution", also der rasante Aufschwung des Handels in Europa, bleibt außen vor. Der wäre aber wohl wichtig, um das praktische Bedürfnis nach dem neuen Recht zu ermessen. Ebenso fehlt, wie denn Ehe, Erbschaft oder Handel vor der Beschäftigung mit dem Römischen Recht geregelt waren.
    Letztlich bietet Buschmann also eine doch eher traditionelle Privatrechtsgeschichte, wobei jede Epoche aber mit einem kurzen Überblick über die allgemeine geistesgeschichtliche Entwicklung eingeleitet wird – und beschlossen mit ausgewählten Regelungen aus dem Bereich des Privatrechts, die sich in der jeweiligen Zeit geändert haben.
    Innerhalb dieser Grenzen ist Buschmann eine sehr gut lesbare Einführung gelungen, die auch für juristische Laien verständlich ist und über die wichtigen Namen und Entwicklungen zuverlässig informiert. So auch in dem spannenden Kapitel über die Rechtswissenschaft im Dritten Reich:
    "Alles Recht, und damit auch das Privatrecht, sollte in ein rassenanthropologisch, in der Diktion der Zeit: "rassisch", bestimmtes Recht der deutschen Volksgemeinschaft verwandelt werden, dessen Grundprinzip neben dem Rassengedanken der Gemeinschaftsgedanke sein sollte. "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" war ein viel zitierter Satz des nationalsozialistischen Parteiprogramms, mit dem man auch für das privatrechtliche Handeln einen Nutzen für das Wohl der Volksgemeinschaft einforderte. Private Rechtsgeschäfte sollten zugleich der Volksgemeinschaft nützen, Gesetzgebung, Rechtsanwendung und Rechtspraxis sich an dieser Zielsetzung orientieren und Gesetze allein der Durchsetzung des Staatswillens des nationalsozialistischen Führerstaates dienen."
    Die Namen, die Buschmann in diesem Kapitel nennt, machen klar, dass viele Große des Faches mit dieser Neuausrichtung kein Problem hatten. Warum das so war, bleibt freilich nur angedeutet. Ein Punkt sind nach Buschmanns Ausführungen wohl die Ressentiments der Juristen gegenüber einem ausgeprägten Liberalismus, und damit auch gegenüber Elementen, die aus dem Römischen Recht in die europäische Tradition gekommen waren.
    "Liberale "Ideologie", die war Gegenstand einer auch bei den Juristen verbreiteten Kritik. Dieser schrankenlose Liberalismus, der sich etwa in schrankenloser Ausübung des Eigentumsrechtes zeigte, spielte vor allem im Wirtschaftsrecht eine Rolle, der war den Juristen verdächtig. Und da hat man versucht, dem Einhalt zu gebieten. Die Weimarer Reichsverfassung kannte ja schon den schönen Satz "Eigentum verpflichtet" – und an diesen Satz knüpften sich dann auch eine ganze Reihe von Forderungen, die letztlich auf ein Eindämmen eines schrankenlosen Liberalismus hinausliefen."
    Und so könnte man sagen, dass Buschmann die Geschichte des Privatrechts als Geschichte der Aufnahme und Abgrenzung vom Römischen Recht in Europa schreibt. Oder anders gesagt: Der Einfluss des Römischen Rechts auf das Denken Europas kann wohl kaum überschätzt werden – das zeigt Arno Buschmann deutlich.
    Arno Buschmann: "Mit Brief und Siegel. Kleine Kulturgeschichte des Privatrechts",
    C.H. Beck Verlag, 276 Seiten, Preis: 14,95 Euro, ISBN: 978-3-406-64443-6