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Asylverfahren
"Ich kann nicht zurück nach Afghanistan"

Die Chancen von afghanischen Flüchtlingen, in Deutschland bleiben zu können, sinken. Nur jeder zweite Asylantrag wird derzeit anerkannt. Claudia van Laak hat einen jungen Afghanen in seinem Asylverfahren begleitet.

Von Claudia van Laak | 29.05.2017
    Der afghanische Flüchtling Attaullah Baloz sitzt auf dem Boden, hinter ihm ist eine weiße Holztür und eine schwarze Holzwand zu sehen. Er trägt ein türkisfarbenes T-Shirt
    Aggressiv gegen sich selber, er ritzt sich: der afghanische Flüchtling Attaullah Baloz (Deutschlandradio / Claudia van Laak)
    "Dann erstmal guten Morgen, mein Name ist Maier, ich höre Sie heute zu Ihren Asylgründen an."
    Dienstag, 21. März, morgens um acht Uhr in der Berliner Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Ein nüchterner Büroraum, Neonlicht.
    "Falls Sie Wasser trinken möchten, bitte bedienen Sie sich, das gilt für Sie alle." Für Sigrun Maier, Entscheiderin beim BAMF, ein Routinetermin: Seit 1992 arbeitet die Juristin in der Bundesbehörde. Für den Afghanen Attaullah Baloz dagegen geht es in den kommenden zwei Stunden um Alles oder Nichts.
    "Ich erkläre Ihnen zunächst einmal den Ablauf der Anhörung, damit Sie wissen, was auf Sie zukommt. Das ist Ihr Dolmetscher, der dafür da ist, das, was wir besprechen, zu übersetzen." Der große schmale junge Mann mit den streng nach hinten gegelten schwarzen Haaren macht sich klein auf dem Bürostuhl. Attaulah Baloz wirkt, als wolle er verschwinden.
    Von Narben übersähter Unterarm
    "Ziehen Sie ruhig Ihre Jacke aus, kein Problem." Sein linker Unterarm ist innen von Narben übersäht. Ein regelmäßiges Gitter. Der junge Mann aus einem Dorf nahe Kunduz ist aggressiv gegen sich selber, er ritzt sich. Im Bundesamt scheint dies niemandem aufzufallen oder zu interessieren.
    Sigrun Maier fragt nach seiner Fluchtgeschichte - wann ist Attaulah in Deutschland eingetroffen? "Das kann ich leider nicht sagen, da ich mich mit dem Kalender nicht richtig auskenne. Ich wusste auch gar nicht, wie alt ich bin, das ist mir unbekannt."
    Attaulah Baloz ist als Analphabet nach Deutschland gekommen. Die Taliban haben die Dorfschule zerstört, erzählt er. Eines Abends stürmten sie in das Haus seiner Familie, wollten ihn zwangsweise rekrutieren. Seine Mutter warf sich dazwischen, die Taliban drohten wiederzukommen, ihm glückte am nächsten Morgen die Flucht.
    Flucht vor den Taliban
    "Mein Cousin hat mir erklärt, dass mein Vater von den Taliban entführt worden ist. Eigentlich wollten die Taliban mich mitnehmen, aber an meiner Stelle haben sie meinen Vater mitgenommen."
    Sigrun Maier fragt nach. "Ich möchte das genau wissen", sagt sie freundlich, aber bestimmt. Wie sah das Haus aus, in dem Sie wohnten? Wie viele Personen haben in einem Zimmer geschlafen? Was passierte genau in der Nacht, als die Taliban kamen? Wie kann es sein, dass Ihre Familie so schnell die Ausreise organisieren konnte? Hätten Sie nicht in Afghanistan bleiben können?
    "Außerhalb der Region, wo ihr Heimatort ist, zum Beispiel in Kabul oder einer anderen Region, wo die Taliban Sie nicht kennen würden?" "Nein, das wäre nicht möglich gewesen, die Taliban haben überall ihre Leute. Sie bezahlen auch Leute, um nach ihnen zu suchen, das wäre keine Lösung."
    Zwei Stunden Anhörung
    Nach zwei Stunden Anhörung wird die Luft dünn, das Neonlicht brennt in den Augen. "Möchten Sie noch etwas sagen?" Ja. Attaulah Baloz will klarmachen, dass er auf keinen Fall zurückkehren kann. Mein Leben wäre in Gefahr, sagt er. "Gut, dann sind wir jetzt mit der Anhörung fertig. Wenn Sie nichts mehr hinzuzufügen haben, dann würden Sie das vom Dolmetscher noch einmal übersetzt bekommen."
    "Vielen Dank, alles Gute, schönen Tag noch."
    Der afghanische Flüchtling Attaullah Baloz sitzt auf dem Boden, hinter ihm ist eine weiße Holztür und eine schwarze Holzwand zu sehen. Er trägt ein türkisfarbenes T-Shirt.
    Attaullah Baloz wird von den deutschen Behörden zugemutet, künftig in Afghanistan zu leben. (Deutschlandradio / Claudia van Laak)
    Acht Wochen später kommt der Brief vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Der Asylantrag von Attaulah Baloz ist abgelehnt. Das Bundesamt hält seine Fluchtgeschichte für glaubwürdig. Es sei nicht auszuschließen, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf von Taliban verfolgt würde. Allerdings sei es ihm zuzumuten, künftig in Kabul zu leben. Zitat: "Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen."
    "Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich bin verzweifelt."
    Mitglied im Deutschen Cricket-Bund
    Attaulah Baloz sitzt auf dem Fußboden, den Kopf in die Hände vergraben. Mit dem Deutsch war es in den letzten Wochen vorangegangen - drei Tage in der Woche Unterricht in der Willkommensklasse, zwei Tage in einem Kurs für Analphabeten. Gerade hatte ihn der Deutsche Cricket-Bund als Mitglied akzeptiert. Und nun die Ablehnung seines Asylantrags.
    "Meine Freunde und meine Betreuer haben die Balkontür verschlossen, damit ich nachts nicht auf schlimme Gedanken komme. Sie haben auch alle scharfen Gegenstände weggeschlossen, damit ich mich nicht verletze."
    Attaulah Baloz ist nicht allein. Trotz seiner 18 Jahre darf er noch in einem Wohnprojekt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben. Sozialpädagogen kümmern sich um ihn, suchen jetzt einen Anwalt, um Klage gegen den Asylbescheid einzureichen. Dann könnte er vorläufig in Deutschland bleiben.
    "Ich kann nicht zurück nach Afghanistan, auch nicht an einen anderen Ort. Nirgendwo dort ist ein sicheres Leben für mich möglich. Wenn es so wäre, hätte ich meine Familie und mein Land nicht verlassen. Die Flucht nach Deutschland war lebensgefährlich. Das hätte ich nicht auf mich genommen, wenn in Afghanistan ein sicheres Leben für mich möglich wäre."