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Atompanne in der Ukraine
"Aufklärung ist notwendig"

Obwohl sich der vermeintliche Atomunfall in der Ukraine lediglich als technischer Zwischenfall entpuppte, hält es der Greenpeace-Experte Heinz Smital für zu früh, komplette Entwarnung zu geben. Dafür sei die Situation zu unübersichtlich, sagte er im Deutschlandfunk.

Heinz Smital im Gespräch mit Silvia Engels | 04.12.2014
    Der Greenpeace-Aktivist Smital mit Säcken radioaktiven Abfalls in Fukushima
    Der Greenpeace-Aktivist Smital mit Säcken radioaktiven Abfalls in Fukushima (picture alliance/dpa/Lars Nicolaysen)
    Über in der Region lebende Verwandte von Kollegen habe Greenpeace Mitarbeiter des Atomkraftwerks kontaktiert. Daher sei man frühzeitig davon ausgegangen, dass der aktuelle Störfall nicht eskaliert. Dennoch gebe es widersprüchliche Meldungen - etwa darüber, wie sehr der nukleare Teil betroffen sei. Hier sei noch Aufklärungsarbeit notwendig.
    "Ein Kurzschluss und ein Brand sind immer eine heikle Sache", sagte Smital. Ob dies Einfluss auf den nuklearen Teil des Kraftwerks habe, könnten erst genauere Untersuchungen zeigen. Der Atomexperte nannte das Beispiel des deutschen Reaktors Krümmel, wo nach einer Notabschaltung Sicherheitsventile betätigt wurden und Wasser abgelassen wurde - bis hin zu einem kritischen Level. "Ein Brand in einem Atomkraftwerk ist keine leichte Sache", sagte Smital. "Denn das Kraftwerk braucht ja auch nach einer Abschaltung noch Strom und Kühlung." Es müssten daher genauere Untersuchungen erfolgen.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: An die Katastrophe von Tschernobyl hat wohl jeder denken müssen, als gestern die ersten Meldungen über einen Atomunfall in der Ukraine kursierten, zumal es um das größte Atomkraftwerk des Landes ging. Beruhigend wirkte dann, was der Energieminister in einer Pressekonferenz verkündete. Er sprach von einer technischen Panne, einem Kurzschluss und davon, dass keine Radioaktivität ausgetreten sei. Und doch bleibt die Frage, wie sicher die Anlagen dieser Art sind, zumal in der Konfliktregion im Südosten des Landes. Meine Kollegin Silvia Engels hat mit dem Atomexperten von Greenpeace gesprochen, mit Heinz Smital.
    Silvia Engels: Haben Sie denn nähere Informationen über das, was da vor einigen Tagen im Atomkraftwerk Saporoschje geschehen ist?
    Heinz Smital: Wir haben in unserem Büro auch Mitarbeiter, die Verwandte dort in der Region haben. So konnten wir auch Kontakt herstellen direkt zu Mitarbeitern des Atomkraftwerkes. Und aufgrund all dieser Informationen sind wir auch nicht davon ausgegangen, dass dieser Störfall weiter eskaliert. Aber insgesamt ist die Situation recht unübersichtlich. Es gibt da noch ein bisschen Widersprüche über das Melden dieses Ereignisses, auch wie sehr eigentlich der nukleare Teil betroffen ist. Es ist ja doch zur Schnellabschaltung auch gekommen. Hier ist sicherlich auch noch Aufklärungsarbeit notwendig.
    "Ein Brand im Atomkraftwerk ist keine leichte Sache"
    Engels: Es soll sich ja nach Behördenangaben um einen Kurzschluss handeln. Der soll stattgefunden im nichtnuklearen Teil. Lassen sich Rückschlüsse auf die Ursache aus diesen dürren Informationen ziehen?
    Smital: Ein Kurzschluss und ein Brand ist immer eine heikle Sache und man ist hier vielleicht ein bisschen zu schnell mit dem, es hat keinen Einfluss auf den nuklearen Teil. Das zeigen oft erst genauere Untersuchungen, dass dem dann gar nicht so ist. Das war ja im Prinzip bei dem Brand im Atomkraftwerk Krümmel 2007 auch so, dass es erst geheißen hat, ein Brand, aber der nukleare Teil nicht betroffen, und genauere Untersuchungen haben gezeigt, es wurden Sicherheits- und Entlastungsventile betätigt, es ist der Wasserstand auch weiter abgesenkt worden, sogar in den kritischen Bereich hinein. Hier wird man genauere Untersuchungen erst noch abwarten müssen, was ist denn wirklich vorgefallen, und ein Brand und ein Kurzschluss im Atomkraftwerk, das ist keine leichte Sache, weil ein Atomkraftwerk braucht auch nach der Abschaltung noch Strom und auch noch die Notkühlsysteme, um die Sicherheit aufrecht zu halten.
    Engels: Auf dem Gelände des AKW Saporoschje stehen nach Presseberichten auch immer wieder Behälter mit abgebrannten Brennelementen, und zwar im Freien. Kann auch davon eine Gefahr ausgehen?
    Smital: Prinzipiell ja. Hier handelt es sich aber um Behälter, die von sich aus eine gewisse Robustheit haben. Die sind aber mit panzerbrechenden Waffen, mit panzerbrechender Munition sehr wohl zu beschädigen. Hier kann es dann auch zu großen Freisetzungen kommen, die aber regionaler begrenzt sind. Aber prinzipiell ist dieser hochradioaktive Atommüll auch ein Gefahrenpotenzial.
    "Ukraine setzt immer noch stark auf Atomkraft"
    Engels: Dann schauen wir auf die grundsätzliche Entwicklung. Wie hat sich denn die Sicherheit der Atomkraftwerke in der Ukraine generell seit dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 entwickelt?
    Smital: Dafür, dass dieses Land ja eine so schwere Atomkatastrophe erlitten hat, ist es schon erstaunlich, dass immer noch so stark auf Atomkraft gesetzt wird. Etwa 44 Prozent der Stromerzeugung kommt über Atomkraftwerke. Das sind auch alles alte russische Druckwasser-Reaktoren, etwa vergleichbar denen, die in Ostdeutschland auch waren, vor allem der Reaktortyp in Stendal, den man in Ostdeutschland aber nicht fertig gebaut hat nach der Wiedervereinigung, weil er eben nicht den Sicherheitsanforderungen westlichen Standards entspricht. Das sind alles die Kraftwerke, die dort laufen, die dort jetzt altern, und gerade in dem Ukraine-Russland-Konflikt. Das sind alles russische Anlagen mit russischem Ingenieurs-Knowhow letztlich, und hier fehlt vielleicht auch dann entsprechender Support, wenn es zu Detailproblemen kommt.
    Engels: Ihre Organisation Greenpeace steht bekanntlich allen Atomkraftwerken eher skeptisch gegenüber. Wenn Sie es international vergleichen wollen, ist denn die Situation in der Ukraine mit dem AKW-Standard schlechter als beispielsweise generell in Russland oder in anderen Ländern, beispielsweise China?
    Smital: In China hat man sehr wenig Einblick, was dort eigentlich abläuft. Da sind Dokumente sehr wenig zugänglich. Ich denke, die Ukraine ist deswegen noch mal kritischer zu sehen, weil es diesen Konflikt mit Russland gibt. Man will sich von russischen Lieferungen unabhängiger machen. Man versucht, Nachbauten über westliche Firmen auch zu machen. Die sind aber im Detail etwas anders, das kann zu Problemen führen. Und man darf auch nicht vergessen im Prinzip diese Kampfhandlungen, je nachdem wie stark ein Konflikt auch eskaliert. Ein Atomkraftwerk ist sicherlich verwundbar gegen Sabotage. Wir haben zum Beispiel in Belgien gerade ein Kraftwerk, das jetzt monatelang stillsteht, auch jetzt im Moment stillsteht wegen einem Sabotagevorfall, der die Turbine beschädigt hat, und zwar massiv. Da ist Insider-Knowhow angewandt worden, um die Anlage fast zu zerstören. Und wenn das noch mit dem Ziel einer radioaktiven Freisetzung verbunden wird, das kann schon sehr gefährlich werden. Man hat auch in der ehemaligen Sowjetunion durchaus Leute mit militärischem Hintergrund. Wenn die gewonnen werden für solche Aufgaben, das ist schon eine sehr, sehr unangenehme, sehr, sehr gefährliche Mischung insgesamt.
    Barenberg: Heinz Smital, der Atomexperte der Organisation Greenpeace, im Gespräch mit Silvia Engels.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.