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Aus Sicht eines Briten
Was Deutschland besser macht

Die Deutschen könnten stolz auf ihr Land sein, meint der britische Journalist John Kampfner in seinem neuesten Buch. Die Bundesrepublik habe eine reife Debattenkultur und die Fähigkeit zur Krisenbewältigung.

Von Michael Kuhlmann | 28.06.2021
Der Autor John Kampfner und das Buchcover seines neuen Werks "Warum Deutschland es besser macht. Ein bewundernder Blick von außen"
John Kampfner blickt bewundernd auf Deutschland (Cover Rowohlt Verlag / Autorenportrait (c) Lucy Thomson)
Von außen gesehen, ist es schon ein merkwürdiges Land mit merkwürdigen Leuten, in dem John Kampfner seit fast vier Jahrzehnten immer wieder als Zeitungskorrespondent arbeitet. Kampfner schreibt:
"Die Deutschen können sich nach wie vor nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sie in vieler Hinsicht Dinge besser machen. Der Gedanke, dass sie irgendjemandem eine Lektion erteilen könnten, erschreckt sie."
Das aber ist Kampfners Überzeugung. "Why the Germans Do it Better", hieß das britische Original seiner Mischung aus Geschichtserzählung und Mentalitätskunde, mit der er 2020 auf Anklang wie auf Kritik stieß. Die deutsche Ausgabe ist gegenüber der englischen um mehr als ein Drittel gekürzt – vornehmlich um das, was wir Deutsche ohnehin über die hiesigen Zustände wissen. Gut 200 Seiten sind übriggeblieben, und die sind prägnant geraten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am 22.11.2005 im Deutschen Bundestag in Berlin durch Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt
Journalist: "Mit Merkels Kanzlerschaft hat ein Stilbruch stattgefunden"
Bundeskanzlerin Angela Merkel lege eine ruhige Gelassenheit an den Tag – weg vom egomanischen Politikstil einiger Kollegen, sagte der Journalist Günter Bannas im Dlf anlässlich ihres 65. Geburtstages. Dieser Stil habe sich durchgesetzt.
Eine Kostprobe: "Deutschland hat eine stabile Verfassung. Politische Diskussionen werden auf einem reiferen Niveau als anderswo geführt. Trotz aller Sorgen überflügelt das Land weiterhin seine Konkurrenten. Die Stärken Deutschlands liegen erwiesenermaßen im Können seiner Ingenieure, in der Bevorzugung langfristiger Lösungen, in der Förderung von Aus- und Weiterbildung."

Historische Kontraste

Dabei stellt Kampfner schon zu Beginn klar: Kein anderes Land habe in so kurzer Zeit so viel Schaden angerichtet wie Deutschland in den 75 Jahren von Bismarck bis zu Hitler. Kein Land habe aber auch so viel Positives in so kurzer Zeit erreicht wie Deutschland in den gut 76 Jahren von 1945 bis heute. Seit Ende der sechziger Jahre hätten die Deutschen aus ihrer schrecklichen Vergangenheit zu lernen begonnen – und daraus Reife gewonnen.
"Was mir Hoffnung macht, ist die Fähigkeit der Deutschen, sich selbst in Frage zu stellen. Sie bringen es nicht über sich, ein Loblied auf ihr Land zu singen. Und doch haben sie so vieles, auf das sie stolz sein können – verglichen mit den Alternativen, die sich in Europa und anderswo bieten."
Ein bewundernder Blick von außen ist ein treffender Untertitel für dieses Buch, denn auch beim Blick auf Probleme in Deutschland bleibt der Autor optimistisch.
Schlaglöcher im Teer im niedersächsischen Oderhaus, die durch den winterlichen Frost entstanden sind. 
Ökonom: Erheblicher Handlungsbedarf bei Investitionen
Deutschland habe in den vergangenen Jahren viel zu wenig in Infrastruktur investiert, kritisierte der Ökonom Jens Südeküm im Dlf. Im Bereich Mobilfunk sei man hinter Rumänien oder Moldawien angesiedelt.
Beispiel Corona. Kampfner hat seinen Text Anfang März fertiggestellt, in der Zeit hochgeschnellter Infektionszahlen – die sich die Deutschen durch Leichtsinn und Selbstgefälligkeit eingebrockt hätten. Dennoch falle ihre Gesamtbilanz seit Anfang 2020 glimpflich aus: Das Bruttosozialprodukt sei nur halb so stark geschrumpft wie in Großbritannien, und das deutsche Gesundheitssystem sei nicht kollabiert. Im Verhältnis seien mehr als doppelt so viele Briten wie Deutsche der Seuche erlegen. Und vom jüngsten Rückschlag in Großbritannien konnte Kampfner noch nichts ahnen.
"Die Zukunft wird zeigen, welche Wirtschaft und Gesellschaft sich am besten erholen kann. Allerdings bin ich mir sicher, dass Deutschland dabei besser abschneiden wird als viele andere."

Die Deutschen sind gefordert

Allerdings müssten die Deutschen nun einige Missstände beheben: Sie müssten sich neuen Technologien und künstlicher Intelligenz öffnen, müssten Binnennachfrage und Investitionen ankurbeln. Und international laute die Frage nicht mehr, ob, sondern nur noch wie Deutschland mehr Verantwortung übernehmen könne. Denn:
"Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass dieses Land eine ganz besondere Fähigkeit zur Krisenbewältigung entwickelt hat. Eine kompetente Regierung, gut qualifizierte Arbeitskräfte, solide Staatsfinanzen, starke Regionen, gesellschaftliche Solidarität und genauso: Mitgefühl."
Kampfner will die Deutschen zu einem Selbstbewusstsein ermutigen, das nichts zu tun hat mit Besserwisserei oder gar mit aufgeplustertem Nationalismus. Im Gegenteil, könnten sie sich gerade ob ihrer Erfahrungen in der Welt nützlich machen.

Sprachwitz und Übersetzungsschwächen

Eine Art Plädoyer gegen die "German Angst" und gegen das notorische Genöle. Ab und zu vielleicht mit einer etwas rosagetönten Brille, aber aus deutscher Sicht unterm Strich durchaus als sinnvolle Denk-Korrektur.
Bei dieser Lektüre kann man über ein paar begriffliche und inhaltliche Unsauberkeiten der Übersetzung hinwegsehen. Allerdings: eine Kapitelüberschrift wie "Kann Deutschland noch Wirtschaftswunder?" könnte Kampfner als sprachliche Beleidigung empfinden. Macht er selbst es doch vor, wie man knackige Überschriften formuliert: Mit "Mutti's warm embrace" – also "Muttis warmer Umarmung" – leitet er seine Betrachtungen zu den Deutschen und Bundeskanzlerin Angela Merkel ein. In der Übersetzung wird daraus ein fades "Die Sehnsucht nach Stabilität". Im Sprachwitz sind die Briten den Deutschen eben doch noch um Meilen voraus.
John Kampfner: "Warum Deutschland es besser macht. Ein bewundernder Blick von außen"
übersetzt von Barbara Steckhan und Thomas Wollermann, Rowohlt, 208 Seiten, 12 Euro