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Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst
"Rausch ist der Ursprung des Spiels"

Puppen, Lego, Super-Mario: Die Kölner Ausstellung "Im Spielrausch" erkundet die Faszination und die Schattenseiten des Spielens. "Das Computerspiel wird gern als Sündenbock genommen", sagte Kurator Benjamin Beil im Dlf. Aber: Man könne sich im Computerspiel genauso verlieren wie im Theater.

Benjamin Beil im Corsogespräch mit Anja Buchmann | 21.08.2017
    Benjamin Beil, Juniorprofessor für Medienwissenschaft an der Uni Köln.
    "Spielen ist Probehandeln": Benjamin Beil, Juniorprofessor für Medienwissenschaft an der Universität Köln und Kurator der Ausstellung "Im Spielrausch" (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Anja Buchmann: Ein Stück Holz kann alles sein: ein Mensch, ein Auto, ein Boot, ein Ufo, ein Haus, ein Schwert. Wenn ein Kind damit spielt, wird es zum Leben erweckt, mehrfach umfunktioniert, kleine Szenen entworfen. Und das kann Stunden lang gehen. Realität und Fiktion vermischen sich, das Kind ist wie im Rausch. Ob jung oder alt – so geht es oft beim Spielen.
    "Im Spielrausch" heißt eine neue Ausstellung im Kölner Makk, Museum für Angewandte Kunst, mitkuratiert von Benjamin Beil, Juniorprofessor für Medienwissenschaft an der Uni Köln, schönen guten Tag.
    Benjamin Beil: Hallo, Frau Buchmann.
    Buchmann: Herr Beil. Was bedeutet - jetzt mal ganz allgemein - Spielen für Sie?
    Beil: Das ist ein ganz weites Feld. Und wir haben uns auch bewusst entschieden, jetzt sozusagen keine eindeutige, keine einfache Antwort zu geben, sondern den Besucher ganz, ganz verschiedene Spielformen gegenüberzustellen, dass er sich sozusagen auch seine eigene Fahrt durch diesen Spielbegriff, oder was für ihn denn Spielen heißt, suchen kann in der Ausstellung. Also es geht tatsächlich von dem Theater, über Brettspiele, bis hin zu neuesten Computerspielen.
    Eine Schattentheaterfigur aus Peking von 1886. Zu sehen in der Ausstellung "Im Spielrausch - Von Drachentötern, Königinnen und Pixelmonstern".
    Eine Schattentheaterfigur aus Peking von 1886. Zu sehen in der Ausstellung "Im Spielrausch - Von Drachentötern, Königinnen und Pixelmonstern". (TWS)
    Buchmann: Sie sagten es schon, also vom Theater bis zum Computerspiel geht es in vielfältiger Weise um das Spielen in Ihrer Ausstellung, in sechs unterschiedlichen Levels, also thematischen Schwerpunkten, zum Beispiel Verwandlung, Raum, Weltenbau, Macht oder auch Rausch. Was sind für Sie die offensichtlichsten Verbindungslinien zwischen Theater- und Computerspiel?
    Beil: Tatsächlich die Grundidee der Ausstellung, also dass wir uns am Anfang gefragt haben: Okay, wie stellt man überhaupt Computerspiele aus? Weil – die Frage, die auch immer kommt: Kann man in der Ausstellung spielen? Und man kann tatsächlich relativ wenig interagieren.
    Von der Theatersucht zur Sucht nach Computerspielen
    Buchmann: Ja, es gibt nur zwei Interaktionsmöglichkeiten.
    Beil: Genau. Es gibt zu Beginn ein Kasperletheater, also sozusagen der Ursprung im Theaterspiel. Und ganz zum Schluss tatsächlich dann eine Spielstation, ein Spiel namens "Brown", was mit den Welten von Mondrian spielt, was auch zwischen zwei Mondrian-Lithografien aufgebaut ist, tatsächlich. Und diese Grundidee, dass sowohl Theater- als auch Computerspiel eigentlich schwerlich ausstellbar ist, weil Spielen tatsächlich etwas ist, was sozusagen erst im Akt der Interaktion zu sich kommt. Und deshalb gehen wir quasi von den Rändern her auf das Phänomen zu. Und dann haben Theater- und Computerspiel, so verschieden sie sein mögen, auf einmal sehr viel gemeinsam.
    Buchmann: Zum Beispiel? Also Masken und Puppen auf der einen Seite und Avatare auf der anderen?
    Beil: Genau. Also wir kommen sozusagen über die Paratexte, und dann sind es eben diese vier Level. Also es geht los bei der Verwandlung, dass man sowohl im Theater in eine Rolle eintritt, als auch eben im Computerspiel. Dann geht es weiter über verschiedene Raumdarstellungen, über Ideen von Weltenbau. Aber dann in der zweiten Hälfte auch über abstraktere Konzepte, also zum Beispiel Macht- und Kriegsspiele. Es sind ein Level danach… jeder kennt diese ganzen Fitness-Armbänder. Dann geht es im fünften Level um Gamification, um Selbstoptimierung. Also Sachen, die sozusagen noch als Spiel verhandelt werden, wo man sich aber dann tatsächlich fragt: Wo sind die Grenzen? Und es schließt dann mit dem Begriff des Rausches, der sehr schnell immer negativ konnotiert ist, also Computerspielsucht. Aber früher gab es tatsächlich auch so etwas wie Theatersucht. Wir versuchen aber tatsächlich, auf einer positiven Note zu enden, also dass wir sagen: Okay, Rausch hat seine Gefahren, das ist aber für uns auch so ein bisschen – und deshalb ist es auch in dem Ausstellungstitel der Ursprung des Spiels – also der Nukleus: Was animiert mich überhaupt zum Spielen?
    "Man kann sich in vielen Sachen verlieren"
    Buchmann: Wie groß ist denn dann die Gefahr Ihrer Ansicht nach, sich in solchen Welten zu sehr zu verlieren, also wenn Realität und Fiktion zu sehr verschwimmen? Ist dann auch ein Gefühl von Macht, das ein Spieler hat, der quasi Welten schafft, beziehungsweise auch zerstört oder in Killerspielen dann Feinde virtuell tötet et cetera. Ist das nicht auch gefährlich?
    Beil: Mit Sicherheit. Es ist, wie bei vielem im Leben, eine Frage der Dosis, letztendlich. Also natürlich birgt dieses Spiel eine Gefahr, sich darin zu verlieren. Aber was wir eben aufzeigen wollen, ist, dass das nichts Neues ist, sozusagen. Also typischer kulturwissenschaftlicher Ansatz: Genauso, wie man sich im Theater verlieren kann, wie man sich in vielen anderen Sachen verlieren kann, kann man sich eben auch im Computerspiel verlieren.
    Buchmann: Aber, Entschuldigung, Theater spiele ich in der Regel nicht, wenn ich jetzt nicht gerade einer Theatergruppe angehöre oder so.
    Beil: Ich kann mich aber theoretisch auch sozusagen im täglichen Theaterspiel in einer Rolle verlieren, oder, es gibt eben tatsächlich auch Berichte, dass früher Theaterstücke als gefährlich angesehen wurden. Also, dass auch dort nachher die Grenze zwischen Spiel und Realität gebrochen ist, dass die Leute in einen Rausch geraten sind. Sie haben ähnliche Sachen bei Festivals, wo man sich dann fragt, okay, wie ist die und die Ausschreitung zustande gekommen? Und das Computerspiel wird eben gerne als Sündenbock hingenommen.
    Aber, wenn Sie sich "Mensch ärgere dich nicht" anschauen - da ist der sprechende Titel schon - auch da ärgert man sich natürlich, auch wenn man es laut Regelwerk nicht tun darf. Das heißt, dieser Übertritt ist jeder Spielsituation immer inne. Aber es ist eben immer eine Kippfigur, und ob die jetzt im Computerspiel stattfindet mit den Avataren oder ob sie sozusagen im frühen Maskenspiel stattfindet, ist letztendlich eher eine Frage, wo ich kulturgeschichtlich einsteige in die Materie.
    Krieg und Spiel werden vermischt
    Buchmann: Vielleicht geht es ja auch um so eine Art von Auslagerung, also dass sich in einer virtuellen Welt – oder in einer Theaterwelt oder wie auch immer – Anteile meiner Persönlichkeit auslagern kann, wo sie ungefährlich ausgelebt werden können?
    Beil: Das ist ein Aspekt, also tatsächlich Eskapismus, natürlich. Aber – und das wird eben in diesem kulturgeschichtlichen Vergleich besonders deutlich – es ist immer ein Aushandlungsprozess. Also tatsächlich nicht nur diese reichen, detaillierten, virtuellen Welten, in denen man sich verliert, sondern es genügt tatsächlich eine relativ einfache Maske oder wirklich eine ganze einfache Kinderspielpuppe, um sich in was zu verlieren oder auch tatsächlich mit dieser Grenze, mit dieser Grenzüberschreitung, zu spielen.
    Und manchmal kann das sehr obszöne Auswüchse haben, wenn ich das so sagen darf. Also eben zum Beispiel in den Kriegsspielen, in den strategischen Planspielen, wo dann tatsächlich Krieg und Spiel –zwei Sachen, die eigentlich gar nicht zueinander gehören, aber eben kulturgeschichtlich sehr erfolgreich, möchte man sagen, vermischt werden. Aber es gibt eben auch ganz losgelöste, ganz freudige, ganz entspannte Spielsituationen. Und wir wollen tatsächlich eben da alles auf engstem Raum zusammenbringen und dann gegenüberstellen.
    "Ich schaffe mir sozusagen eine Welt"
    Buchmann: Warum sollten die Menschen mehr spielen? Gehen Sie da auch mit Huizingas "Homo Ludens", in dem er von Selbstzweck und Zweckfreiheit spricht?
    Beil: Das ist ein Aspekt. Aber Spielen ist tatsächlich vor allem auch ein Probehandeln. Also ich schaffe mir sozusagen eine Welt, wo ich entweder tatsächlich abschalten kann, wo ich aber auch verschiedene Sachen, verschiedene Rollen, die ich im Alltag vielleicht dann in bestimmten angespannten Situationen überstehen muss, wo ich schon einmal bestimmte Verhaltensweisen einüben kann. Wo ich Sozialkontakte pflegen kann, auch Computerspiele sind meistens nicht so einsam, wie sie gerne dargestellt werden, sondern auch da gibt es natürlich eine entsprechende Community. Und tatsächlich diese Idee, Sachen erst mal vielleicht nicht so ernst zu nehmen und wirklich erst mal für sich für sich durchzuspielen, ist eigentlich eine sehr brauchbare Kulturtechnik.
    Buchmann: "Im Spielrausch - Von Königinnen, Pixelmonstern und Drachentötern" heißt die aktuelle Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst Köln, läuft noch bis zum 4. Februar 2018. Vielen Dank für das Corsogespräch, Benjamin Beil.
    Beil: Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.