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Aust: Das Selbstmörderische in der Geschichte war von Anfang an angelegt

Nach Einschätzung des ehemaligen "Spiegel"-Chefredakteurs Stefan Aust trägt der Film "Der Baader Meinhof Komplex" zur Entmystifizierung der Rote Armee Fraktion (RAF) bei. Die Gruppe sei häufig als Projektionsfläche benutzt worden: Für die einen sei die RAF der Staatsfeind Nummer eins gewesen, andere verklärten die Mitglieder als Revolutionäre.

Stefan Aust im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.09.2008
    Friedbert Meurer: Irgendetwas muss der Grund dafür sein. Der Deutsche Herbst 1977 lässt viele, insbesondere die, die den RAF-Terror damals miterlebt haben, nicht los. Zu dramatisch sind die Ereignisse damals für die Zeitzeugen gewesen. Schon letztes Jahr gab es monatelang Porträts, Artikel, Essays in allen Zeitungen, auf allen Kanälen aus Anlass des 30. Jahrestages der Ermordung Hans-Martin Schleyers und der Entführung der Landshut im Jahr 77. Jetzt kommt ein Film in die Kinos, produziert von Bernd Eichinger und besetzt mit einem Großaufgebot an Stars, von Bruno Gans bis Moritz Bleibtreu. Heute Abend feiert er Premiere in München. Nächste Woche dann kommt er in die Kinos.

    Der Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" feiert heute Abend wie gesagt Premiere, gedreht nach dem gleichnamigen Buch des Ex-"Spiegel"-Chefredakteurs Stefan Aust, mit dem ich jetzt in München verbunden bin. Guten Morgen, Herr Aust.

    Stefan Aust: Ja, guten Morgen!

    Meurer: Ein bisschen haben wir einen Eindruck gewinnen können: schnelle Schnitte, viele Schüsse. Ist das ein Action-Film geworden?

    Aust: Na ja, Action-Krieg ist abwertend. Ich meine, natürlich ist da viel Bewegung. Natürlich wird da geschossen. Natürlich werden da auch Bomben gelegt, denn das ist Terrorismus. Wir haben versucht, bei dem Film es so zu machen, dass man eine Geschichte erzählt bekommt, möglichst nah an der Realität, und die besteht natürlich zum Teil aus dem, was Terroristen tun, nämlich Terror machen.

    Meurer: Verzichten Sie auf Fiktion? Ist das hundert Prozent sozusagen Ergebnis Ihrer Recherche, die in Ihrem Buch eingeflossen ist?

    Aust: Es ist wenig, wenig dazuerfunden, wenn ich das so sagen kann. Wenn sie einen Spielfilm machen, dann machen sie keinen Dokumentarfilm, sondern sie machen einen Spielfilm und dieser Spielfilm ist natürlich, wenn Sie so wollen, ein künstliches Produkt. Aber er lehnt sich sehr nahe an die Realität, an die Geschichte dieser drei Hauptpersonen zwischen den Jahren 67 und 77 sehr genau an. Es gibt sozusagen Verbindungsstücke zwischen einzelnen Szenen, zwischen einzelnen Ereignissen, die mehr oder weniger so gewesen sind, authentisch sind, natürlich zusammengefasst sind, ineinander verschränkt sind und so weiter. Es ist ein Kinofilm. Man darf jetzt nicht denken, dass es ein nachgedrehter Dokumentarfilm ist. Aber er lehnt sich, so weit das in einem Spielfilm möglich ist, an die Realität an.

    Meurer: Es gibt am Ende des Films den Satz von Brigitte Mohnhaupt, gespielt von Nadja Uhl, "Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nicht waren", also Baader, Meinhof, Ensslin. Der Satz ist ja wirklich so gefallen. Wie waren denn die RAF-Mitglieder nicht?

    Aust: Na ja, man muss wissen, worum es dabei geht. Es war so, während der Schleyer-Entführung schon und während die Maschine in Mogadischu gestürmt wurde, war die Haupttruppe der RAF in Bagdad. Es waren nur noch wenige in Europa und haben Herrn Schleyer festgehalten und anschließend ermordet. Die saßen in Bagdad in einem Haus, von den Palästinensern zur Verfügung gestellt, und es kam die Nachricht - über den Deutschlandfunk, glaube ich, haben sie es gehört -, dass die Gefangenen in Stammheim Selbstmord begangen haben. Dann haben ganz viele aus der Gruppe gesagt, oh, jetzt sind wir ermordet worden und so weiter. Dann ist Brigitte Mohnhaupt aufgestanden und hat sehr deutlich gesagt, dass es Selbstmord gewesen ist, und hat gesagt, "Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nicht waren". Fast wörtlich! So habe ich das jedenfalls erzählt bekommen und habe das auch verglichen mit Aussagen von anderen. So etwa ist es gewesen.

    Meurer: Dieser Satz sollte eher heißen, die haben Selbstmord begangen aus politischen Motiven.

    Aust: Sie haben Selbstmord begangen, ja.

    Meurer: Eine Entmystifizierung ist dieser Satz jetzt nicht?

    Aust: Er ist insofern in einer ganz wesentlichen Hinsicht eine Entmystifizierung, nämlich als da ja zu dem Zeitpunkt sozusagen die Legende entstanden und verbreitet worden ist, dass sie vom Staat ermordet worden sind. Diese Szene zeigt eben sehr deutlich, dass man bewusst gelogen hat. Das muss man wirklich sagen, dass man bewusst gelogen hat und dass sie tatsächlich es selber gemacht haben, dass das Selbstmörderische in der ganzen Geschichte von Anfang an angelegt gewesen ist.

    Meurer: Frank Schirrmacher schreibt jetzt in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", der Film habe wo möglich die Kraft, die gesamte RAF-Rezeption auf eine neue Grundlage zu stellen. Was wäre denn diese neue Grundlage?

    Aust: Die Personen einfach mal realistisch zu sehen. Die RAF ist ja benutzt worden immer sagen wir mal als Projektionsfläche. Die einen haben daraus gemacht "Staatsfeind Nummer 1", eine riesengroße Gefahr für den Staat. Das andere war, dass man sie verklärt hat als Revolutionäre mit ehrenwerten Motiven. Dieser Film versucht, die Geschichte so zu erzählen wie sie gewesen ist, als eine Gruppe von Leuten, die am Rande der Studentenbewegung sich gefunden haben, aus den verschiedensten Gründen, die auch mit ihnen, mit ihren eigenen Persönlichkeiten zusammenhängen, auf diesen Weg in den Untergrund gegangen sind, schreckliche Taten vollbracht haben, und diese Taten sind eben sehr häufig in der Betrachtung der Geschichte der RAF jedenfalls von vielen ausgeblendet worden. Man wollte nicht wirklich wissen, was sie getan haben, sondern hat sich ständig mit ihren Motiven und sich ständig nur mit ihren politischen Erklärungen befasst, ohne wirklich zu sehen, was sie tatsächlich gemacht haben.

    Meurer: Im Prinzip, Herr Aust, wirft Ihnen das auch Schirrmacher vor. Er sagt wörtlich, Ihre Tränen, Herr Aust, kämen reichlich spät nach 30 Jahren. Ist das so?

    Aust: Jetzt habe ich es endlich verstanden, was er damit meint. Ich habe die ganze Zeit gerätselt und habe auch mit ihm darüber gesprochen. Meine Tränen kommen höchstens beim Zwiebelschneiden. So ist das nicht. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, ...

    Meurer: Also Sie vergießen keine Tränen über die Opfer?

    Aust: Ich muss Ihnen sagen, Weinen ist nicht meine Angelegenheit. Ich bin in der ganzen Angelegenheit RAF von Anfang an jemand gewesen, der sich niemals mit deren Zielen auf irgendeine Weise solidarisiert hat. Dafür wusste ich zu viel. Ich finde, es ist eine große Tragödie und natürlich habe ich ein Mitgefühl mit den Opfern immer gehabt. Aber ich bin nicht einer von denjenigen, die am Anfang sich auf irgendeine Weise in den großen Kreis der Sympathisanten eingereiht haben und die diese Gruppe von Leuten verklärt haben. Nicht die Spur!

    Meurer: Ich will nicht alle Ihre Kritiker aufzählen. Eine ist Bettina Röhl. Sie selbst spielen ja auch eine Rolle, also nicht Sie persönlich, sondern ein Schauspieler spielt und ich glaube, das ist die Episode, als Sie damals in Süditalien die beiden Zwillinge von Ulrike Meinhof befreit haben. Meinhof geht in den Untergrund, die Zwillinge sollen in ein palästinensisches Weisenhaus gegeben werden. Sie befreien die Zwillinge und bringen sie zu ihrem Vater Klaus Rainer Röhl. Wie ist das eigentlich dann später zu dem Bruch gekommen zwischen Ihnen und Bettina Röhl?

    Aust: Ich habe das nie als einen Bruch gesehen. Ich kann die Position beziehungsweise sagen wir mal die Gefühle, auch die Probleme von Bettina Röhl ein Stück nachvollziehen. Man hat ihr ja ihre Mutter genommen. Die Terroristin Ulrike Meinhof hat ihnen die Mutter Ulrike Meinhof genommen, als sie in den Untergrund gegangen sind. Zu späterer Zeit oder auch schon damals ist ihnen die Mutter von der Öffentlichkeit noch einmal genommen worden. Das ist ein großer Verlust, wie man sich leicht vorstellen kann. Ich glaube, dass sie damit auch heute noch zu kämpfen hat, und jedes Mal, wenn sich jemand mit der Geschichte ihrer Mutter beschäftigt - und das habe ich ja nun weiß Gott intensiv getan -, dann hat sie das Gefühl, dass die Mutter noch mal genommen wird. Da gibt es eine ganze Menge irrationaler Verhaltensweisen. Ich kann das irgendwie nachvollziehen, aber ich kenne nun Bettina lange.

    Meurer: Stehen Sie noch in Kontakt zu ihr, Herr Aust?

    Aust: Ich habe sie jetzt sehr, sehr lange nicht gesehen. Sie schreibt gelegentlich irgendwelche endlosen Briefe und nimmt dann wieder Kontakt auf oder versucht es. Ich habe das von mir aus so ein bisschen einschlafen lassen. Mir tut das ein bisschen leid, dass sie sich wirklich in die Geschichte ihrer Mutter so verbissen hat. Sie hat übrigens ein sehr gutes Buch über die Anfangszeit geschrieben, fast schon eine große Dokumentation, und das ist ein echtes Buch. Übrigens vor nicht sehr langer Zeit, als das Buch heraus kam - das ist vielleicht ein Jahr her oder ein bisschen länger, eineinhalb Jahre -, haben wir einen Vorabdruck für den "Spiegel" erworben. Wir haben dann, weil wir das nicht als Passage dort rausnehmen konnten, eine große Geschichte darüber geschrieben. Dafür hat sie auch ein Honorar bekommen. Ich muss Ihnen sagen, Bettina soll doch machen was sie will.

    Meurer: Mich hat eine Aussage des Regisseurs Uli Edel überrascht. Der erzählt nämlich, einige der RAF-Leute der zweiten und dritten Generation hätten sich als Berater am Drehort, am Set angeboten. Zitat Edel: "Nach Bezahlung einer bestimmten Summe bekam ich bereitwillig Auskunft." Ist das so einfach, das Schweigegelübde der RAF-Mitglieder zu brechen?

    Aust: Man erlebt manchmal so etwas. Ich habe ja auch letztes Jahr diese lange Dokumentation für die ARD gemacht und habe dann mit einigen Leuten gesprochen, die wir gerne noch interviewt hätten. Da gab es manchmal finanzielle Forderungen. Da haben wir gesagt, das kann nicht wahr sein, und haben es lieber gelassen. Das gab's!

    Meurer: Würde man über den Weg noch mehr erfahren können, zum Beispiel wer welche Taten verübt hat?

    Aust: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt natürlich RAF-Mitglieder, die bisher noch nie was gesagt haben, nicht einmal bei ihren Vernehmungen, und die sie im Augenblick auch nicht dazu bekommen, mal die Wahrheit über das, was sie oder was andere getan haben, zu sagen. Wir haben im Grunde damals, als wir diese Dokumentation gemacht haben, fast alle, die noch leben, angeschrieben und von manchen haben wir eine höfliche Absage bekommen, von anderen gar keine Antwort. Das, finde ich, ist auch deren gutes Recht.

    Meurer: Das war Stefan Aust, ehemaliger "Spiegel"-Chefredakteur, Autor des Buchs "Der Baader-Meinhof-Komplex", und heute feiert der Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" Premiere. Herr Aust, besten Dank und auf Wiederhören!

    Aust: Ich danke auch. Tschüß!