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Auswertung des Statistischen Bundesamts
Vor allem Alleinstehende sind von Überschuldung betroffen

Nicht Verschwendungssucht, sondern Arbeitslosigkeit ist der häufigste Grund für Schulden bei privaten Haushalten. In den allermeisten Fällen lösten Ereignisse die Schuldenspirale aus, die die Menschen nicht im Griff haben – das bilanziert das Statistische Bundesamt.

Von Anja Nehls | 01.07.2016
    Eine Person bedient ein Lesegerät zur elektronischen Zahlung mit EC- oder Kreditkarte.
    Jeder dritte Schuldner gerät in die Falle, weil einfach der Dispo vom Girokonto überzogen wird. (picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow)
    Die Frau ist klein und schmächtig, Anfang 40 und lebt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mitten in Berlin. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Briefe. Die Frau öffnet sie längst nicht mehr, die meisten Rechnungen in den Briefen kann sie ohnehin nicht bezahlen. Seit sie erwachsen ist, ziehen sich Schulden wie ein roter Faden durch ihr Leben.
    "Ich bin mit 18 schon ausgezogen in die erste eigne Wohnung, dann mussten Möbel her. Da hatte ich damals ausgelernt und schon 1.600 D-Mark noch netto verdient. Dann bot einem die Bank großzügig an, Sie dürfen die dreifache Linie überziehen, die ich für Möbel und Gedöns dann voll ausgeschöpft habe, irgendwann verlor ich dann meinen Job. Da rutschte man dann langsam aber sicher schön rein."
    Häufig sind alleinlebende Männer und alleinerziehende Frauen von hoher Schuldenlast betroffen
    Inzwischen hat sie ungefähr 25.000 Euro Schulden bei zehn verschiedenen Gläubigern und kein Einkommen. Ein typischer Fall. Für fast jeden fünften der im vergangenen Jahr eine Schuldnerberatungsstelle aufgesucht hatte, war der Verlust des Arbeitsplatzes der Hauptauslöser für eine Überschuldung. Aber auch Erkrankungen oder Unfälle, und Scheidung oder Tod des Partners führen häufig in die Überschuldung. Unangemessenes Konsumverhalten ist nur in jedem zehnten Fall der Grund. Überdurchschnittlich häufig sind alleinlebende Männer und alleinerziehende Frauen von einer hohen Schuldenlast betroffen, sagt Ralf Droßard vom Statistischen Bundesamt:
    "Solange die Familie zusammenwohnt, zusammenlebt, zusammen Einkommen generieren kann, passt das Ganze. Und gerade an dem Beispiel der alleinerziehenden Frauen und alleinlebenden Männer sieht man, da hat dieser exogene Schock stattgefunden, da kam es zu einer Trennung und der klassische Fall ist dann am Ende die alleinerziehende Frau und der alleinlebende Mann und daran sieht man einfach, dass es in dem Moment nicht mehr reicht."
    Daten-Auswertung von Schuldnerberatungsstellen in Deutschland
    Das Statistische Bundesamt hat die Daten von 410 Schuldnerberatungsstellen in Deutschland ausgewertet. Dabei stand jeder der Klienten mit durchschnittlich 34.400 Euro in der Kreide – hauptsächlich bei Kreditinstituten, Finanzämtern und Inkassobüros. Jeder dritte Schuldner gerät in die Falle, weil einfach der Dispo vom Girokonto überzogen wird:
    "Der liegt im Schnitt ungefähr bei neun Prozent. Das ist viel zu teuer. Die Ratenkredite liegen bei der Hälfte. Deshalb sollte man auf jeden Fall versuchen, dass man das schon mal umschuldet und nicht weil der Dispo ja so bequem ist, ich muss ja mit keinem reden, ich muss ja nicht eingestehen. Ich komme da nicht raus, das immer weiter noch aufbaut, die Schulden", meint Kerstin Altendorf vom Bankenverband.
    Die Anzahl der Verbraucherinsolvenzverfahren ist von einem Höchststand von 106.000 Fällen im Jahr 2011 auf jetzt 78.000 zurückgegangen. Bei diesem Verfahren wird einem Schuldner, der sechs Jahre lang alles abgibt und keine neuen Schulden macht, am Ende die Restschuld erlassen.
    Auch Frank Schach hat so etwas hinter sich. Als Unternehmer haftete er mit seinem Privatvermögen. Durch die Hochwasserkatastrophe 2002 in Dresden konnten seine Kunden ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Seine Firma ging pleite:
    "Es fängt an mit Panik, halber Meter Post, kein Telefon mehr, Krise, Beziehungskrise und am besten alle Krisen, Beziehung, Firma und es funktioniert gar nichts. Da habe ich mich angemeldet wegen Hartz4 weil ich arbeitsunfähig war und krank und dann habe ich mich beworben, als irgendwas, Hauptsache Geld verdienen und fing dann von vorne an. Und dann waren die ersten Schock, ich hatte kein Konto, die Konten werden gepfändet und ich habe kein neues Konto bekommen, dann musste ich aus der alten Wohnung ausziehen, weil die zu teuer war, weil Hartz IV zahlt nicht die alte Wohnung."
    Heute hat Frank Schach beruflich wieder Fuß gefasst, die Schulden ist er los. In vielen Fällen ist das noch weit schwieriger. Laut den Zahlen vom Statistischen Bundesamt hat bei sieben Prozent der in den Schuldnerberatungsstellen beratenen Menschen eine auf lange Sicht unzureichende Einkommenssituation zur Überschuldung geführt – und das trotz angemessener Haushaltsführung, Sozialleistungen und/oder Mindestlohn.