Donnerstag, 02. Mai 2024

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Autoclub in der Kritik
"Strenge Kumpanei zwischen ADAC und Herstellern"

111 Jahre ist der ADAC alt. Mit 19 Millionen Mitgliedern hätte der Automobilclub längst eine Struktur erreicht, die als Verein nicht ginge, sagte Helmut Becker, früher BMW-Chefvolkswirt, im Deutschlandfunk. Der ADAC sei immer mehr zum Wirtschaftsunternehmen geworden. Viele hätten dabei die Augen zugemacht - vor allem die Politik und deutsche Autohersteller.

Helmut Becker im Gespräch mit Dirk Müller | 12.02.2014
    Dirk Müller: Der ADAC im Chaos, der ADAC im Umbruch, in der größten Krise seiner über 100jährigen Geschichte, der ADAC im Manipulationssumpf. Die Zeitungen sind voll davon, jeden Tag mit neuen Details, mit neuen Ungereimtheiten, auch mit neuer Fassungslosigkeit. Auch die großen Automobilkonzerne haben reagiert: sie geben sämtliche Preise des Automobilclubs der vergangenen Jahre zurück. Vorbei ist die Business-Freundschaft und auch die Interessengemeinschaft. Es wird schonungslos aufgearbeitet, heißt es jetzt von der neuen Übergangsführung in München, kurz nachdem Präsident Peter Meyer seinen Hut genommen hat. Viele Mitglieder überlegen, ob sie austreten sollen als Konsequenz. Und wer hilft dann dabei, bei der nächsten eingeklemmten Autotür? Wer hilft mir dabei, bei der nächsten verheizten Zündkerze? Ein Milliarden-Vereinsimperium wankt, wo dort anfangen und wo dort aufhören? Unser Thema nun mit Helmut Becker, Chef des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation, zuvor viele Jahre lang Chefvolkswirt bei BMW. Guten Morgen!
    Helmut Becker: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Becker, sind Sie noch Mitglied?
    Becker: Ja, ich bin noch Mitglied.
    Müller: Ist Ihnen egal, was da passiert?
    Becker: Eigentlich nicht. Egal ist mir das natürlich nicht. Aber mir ist in meinem Leben – und das dauert mittlerweile ja autofahrertechnisch schon fast 50 Jahre – dreimal geholfen worden und irgendwo ist man dem Verein auch irgendwie verpflichtet. Die Menschen, die auf der Straße Ihnen Hilfe leisten, haben ja eigentlich nichts oder wenig mit dem zu tun, was da in der Zentrale passiert ist.
    Müller: Und eine Autobatterie brauchten Sie auch noch nicht?
    Becker: Eine Autobatterie brauchte ich nicht, aber die ist geladen. Nein, die brauchte ich nicht, in der Tat. Aber ich bin unter anderem auch Mitglied geworden, weil mir irgendwann mal geholfen worden ist. Ja, in der Tat, da hat man mich dann schon drauf hingewiesen.
    Müller: Die Zündkerze ist dann im Falle des Falles doch näher als die Vereinsstruktur, die ein bisschen über allem schwebt und für viele ja gar nicht durchsichtig ist?
    Becker: Ja das ist wie bei allen Vereinen, deren Historie eine gewachsene Geschichte ist. Der ADAC ist 111 Jahre alt und zu den 19 Millionen Mitgliedern ist er ja nicht von heute auf morgen gekommen, sondern das hat eine lange Tradition und da fällt es natürlich schwer, Verhaltensweisen dort als Mitglied zu ändern und nun plötzlich auszutreten.
    Müller: Wer hat denn da von außen über Jahrzehnte versagt?
    Becker: Versagt? Der Verein ist einfach zu groß geworden. Wir kennen das ja auch bei anderen Gruppierungen und auch bei Unternehmen. Ein Unternehmen funktioniert wunderbar, wenn die klein, wenn die mittel sind, wenn sie familiengeführt sind etc., und spätestens dann, wenn eine externe beziehungsweise hauptamtliche Führung installiert wird und das Unternehmen zu groß wird, neigt man dazu, die Bodenhaftung zu verlieren. In der Automobilindustrie ist kein einziges deutsches Unternehmen davon verschont geblieben in der Vergangenheit. Ich möchte da jetzt nicht in Details gehen, aber das ist eigentlich so die menschliche Regel. Der Verein wird groß und überhebt sich.
    Ein Verein ohne Bodenhaftung
    Müller: Er überhebt sich. Aber die Frage war darauf bezogen, Herr Becker, vielleicht nicht klar von mir gestellt: Wenn ein Verein zu einem Milliarden-Imperium wird und das alles so normal läuft und man sich ja auch fragt, wie ist das eigentlich mit der Steuerpolitik, und einige haben ja auch gesagt, ist das noch Vereinsstatus, dann müssen doch ganz, ganz viele, ist jetzt meine These, meine Frage, die Augen zugemacht haben.
    Becker: Ja, das ist wohl richtig. Der ADAC war tief in der deutschen Gesellschaft verankert, hat vielen Gutes getan, insbesondere denjenigen, die immer an diesen wunderbaren Festen teilgenommen haben, bei der Verleihung des Gelben Engels, aber auch in anderen Veranstaltungen. Insofern haben Sie recht, da hat man die Augen zugemacht. Eigentlich ist der ADAC schon lange kein Verein mehr. Er ist ein Wirtschaftsunternehmen und er ist im Laufe der Zeit sukzessive in den Wirtschaftsbereich abgedriftet, mit Kfz-Versicherungen, mit allen möglichen sonstigen Aktivitäten bis hin – und das schlägt dem Fass sozusagen die Krone ins Gesicht -, wo man jetzt anfangen will, auch noch in den Kfz-Werkstättenbetrieb einzusteigen und damit mittelständische Existenzen platt zu machen, die dort noch sind. Das geht einfach nicht als Verein. Der ist weit über seine eigene Satzung hinausgegangen.
    Müller: Haben Mercedes, Audi, VW, auch andere dieses Spiel mitgemacht und weggesehen?
    Becker: Kurz gesagt: ja!
    Müller: Was hätten sie denn machen können?
    Becker: Ja nun, sie hätten dieses Spiel, wenn Sie so wollen, nicht mitmachen müssen. Wir wissen ja aus anderen Quellen hier und von Whistleblowern und aus internen Informationen, dass bei allen Tests die Unternehmen sehr stark involviert waren. Nicht nur, dass sie Autos geliefert haben, sondern dass beispielsweise auch die Autos besonders präpariert worden sind oder besonders hergerichtet worden sind, dass sie gut durch diese Tests kommen.
    Da sind Informationen hin- und hergeflossen, sonst könnte so was ja auch gar nicht passieren. Da ist eine sehr strenge Kumpanei zwischen ADAC und zwischen den Herstellern gewesen. Es ist ja nicht nur der Gelbe Engel gewesen, der verliehen worden ist, und zwar wechselweise jeweils, damit keiner zu kurz kommt über die Jahre hinweg - das wird ja heute inzwischen ausgegraben und festgestellt, das hätte man vorher auch schon feststellen können -, sondern es gibt ja auch andere Tests und andere Bewertungen. Da gab es einen Automax über Markenzufriedenheit und alle möglichen subjektiven Dinge wurden da erhoben und einzelnen Herstellern zugeordnet. Jeder, der ein Premium bekommen hat, hat sich natürlich gefreut. Also haben sie alle mitgemacht.
    Müller: Und oft war es so: ein teueres großes Auto, Premiumklasse, und das Handschuhfach hat dann ein bisschen gestört?
    Becker: Ja, so ist das.
    Kumpanei auch gegen ausländische Automarken
    Müller: Aber Sie sagen, okay, das ist ein bisschen Kumpanei. Das heißt – Sie haben eben kurz gesagt ja und dann noch ein bisschen ausgeführt -, wenn wir das etwas weiterdrehen, könnte das auch sein, dass das viele in den großen Automobilkonzernen schon gemerkt haben, dass diese Rangliste zumindest erstaunliche Ergebnisse hervorgebracht hat, und man hat das toleriert, man hat das unterstützt?
    Becker: Ja, man hat das toleriert. Unterstützt kann ich nicht sagen, aber man hat es zumindest toleriert und hat es mit einem Augenzwinkern hingenommen. Dass alle deutschen Hersteller in jedem Jahr auf der Bühne standen und jeder einen Preis bekommen hat, damit nur keiner leer ausgeht, das ist ja schon auffallend genug. Und untereinander ist es wie gesagt eine Art von Kumpanei, über die man nicht gesprochen hat, jedenfalls nicht öffentlich.
    Müller: Und Toyota beispielsweise hat dabei verloren?
    Becker: Ja, zum Beispiel. Nicht nur Toyota, Hyundai, Renault, Peugeot. Alle Ausländer sind grundsätzlich zu kurz gekommen und konnten sich natürlich dagegen nicht wehren, weil wenn man hier den Stein ins Wasser geworfen hätte, hätte das nur negative Rückwirkungen auf die eigene Marke gehabt hier in diesem Exportmarkt Deutschland.
    Müller: Das heißt, die zugewanderten Autos sind viel besser als Ihr Ruf?
    Becker: Bitte?
    Müller: Die zugewanderten Autos sind besser als ihr Ruf, die ausländischen?
    Becker: Ja, selbstverständlich. Jedenfalls besser als die Tatsache, dass sie keinen Preis bekommen haben. Das ist mit Sicherheit so.
    Die Politik hat weggeschaut
    Müller: Jetzt müssen Sie uns noch mal verraten, weil Sie haben ja viele Gespräche geführt. Sie sind ja mitten drin in der Szene gewesen, sind es immer noch. Haben Sie mal einen Politiker in Bayern, egal wo, getroffen, der gesagt hat, oh, mit dem ADAC, das geht nicht so weiter?
    Becker: Nein! Dafür war ich in meiner Funktion und in meiner Tätigkeit in der Automobilindustrie auch zu weit weg. Ich gehörte ja nicht zur Kommunikationsabteilung und auch nicht zur Öffentlichkeitsarbeit in dem Sinne, sondern ich gehörte zur Strategie- und zur strategischen Abteilung bei BMW, nur als Beispiel als Chefvolkswirt. Das heißt, diese Kontakte in der Form habe ich nicht gehabt und darüber ist auch nicht gesprochen worden. Es war auch kein Thema.
    Verstehen Sie, das hat sich als Gewohnheitsrecht so eingeschliffen, oder die Termine auch, einmal im Jahr trifft man sich in München und kriegt einen Preis sozusagen. Darüber ist nicht gesprochen worden, das war nicht thematisiert.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk: Helmut Becker, Chef des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation, zuvor viele Jahre Chefvolkswirt bei BMW. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören nach München.
    Becker: Bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.