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Bahnlärm
Industrie verzögert Umrüstung von Güterwaggons

Ein aktuelles Gutachten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, des Verbandes der Güterwagenhalter sowie des Verbandes der Verkehrsunternehmen löst Empörung im besonders vom Bahnlärm belasteten Mittelrheintal aus. Denn die bis 2016 vorgesehene Umrüstung von Güterzügen auf Flüsterbremsen könnte sich um mehrere Jahre verzögern.

Von Ludger Fittkau | 27.10.2014
    Ein Güterzug fährt am Haus der Familie Schneider (links) in Assmanshausen (Rüdesheim) vorbei (Foto vom 20.08.2010).
    Laut Industrie gibt es nicht genügend Flüsterbremsen für eine Umrüstung auf dem Markt. (picture alliance / dpa - Marius Becker)
    "Die sollen mal nachts kommen und sollen mal hier schlafen. Ich wohne zufällig an der Bahn."
    Diese Einladung richtet Karin Schäfer aus Boppard am Rhein an den Bundesverband der Deutschen Industrie, den Verband der Güterwagenhalter sowie den Verband der Verkehrsunternehmen. Weil diese Industrieverbände jetzt ein Gutachten vorgelegt haben, mit dem sie zeigen wollen, dass es unmöglich sei, 90.000 Güterwagen auf deutschen Schienen in den nächsten zwei Jahren mit Flüsterbremsen auszustatten.
    "Die sollen kommen und sollen da schlafen. Dann sagen die nix mehr. Dann wären die auch dafür, dass umgerüstet wird. Also das ist hier für den Mittelrhein, für die Leute, die an der Bahn wohnen, ist das ganz extrem. Kann gern jemand kommen und in meinem Bett schlafen."
    Umrüstungsziel nicht erreichbar
    Malte Lawrenz sagt, dass er Verständnis für den Zorn der Menschen im Mittelrheintal hat. Er ist Vorsitzender des Verbandes der Güterwagenhalter, kurz VPI, in Hamburg.
    Bis 2020 könne die Hälfte der Güterwagenflotte auf deutschen Schienen mit leisen Bremsen ausgerüstet werden. Aber eben nicht bis 2016, wie es die Bundesregierung im Koalitionsvertrag fordert, sagt Malte Lawrenz:
    "Wir glauben nicht daran, dass bis 2016 die Hälfte aller in Deutschland verkehrenden Güterwagen umgerüstet werden kann. Dies hat damit zu tun, dass zu einem Großteil auch ausländische Wagen, von ausländischen Wagenhaltern in Deutschland verkehren.
    Diese Wagen beziffern wir ungefähr mit 60.000. Und diese Wagen kommen teilweise aus nicht lärmsensiblen Ländern, wo Umrüstung noch überhaupt kein Thema ist. Und diese Wagenanzahl würde das Umrüstungsziel 2016 nicht möglich machen."
    Außerdem sei die Umstellung in den nächsten zwei Jahren schon rein technisch nicht zu leisten, argumentieren die Gutachter des Verbandes der Güterwagenhalter. Man bräuchte 2 Millionen Flüsterbremsen, hergestellt würden aber zurzeit nur rund 300.000 pro Jahr.
    Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag festgelegt, Tempolimits und Nachfahrverbote für laute Güterzüge zu prüfen, falls bis 2016 nicht die Hälfte der 180.000 in Deutschland verkehrenden Güterzüge auf sogenannte "Flüsterbremsen" umgestellt ist, um den Bahnlärm zu reduzieren.
    Verzögerungstaktik
    Frank Groß, Sprecher der Bahnlärminitiative "Pro Rheintal" argumentiert: Den Güterwagenhaltern hätte bereits seit 1999 klar gewesen sollen, dass die Waggons wie in der Schweiz umgerüstet werden müssen, um den Kriterien des Bundesemissionsschutzgesetzes zu genügen:
    "Und es wurde auch ein Programm, damals hieß das 'Bahn 21' beschlossen, wo es hieß, wir wollen auf Kunststoffbremsen umrüsten. Die Schweiz hat das damals auch gemacht und in der Schweiz sind heute alle Güterwagen umgerüstet. Bei der Deutschen Bahn und bei den privaten Güterhaltern hat sich da überhaupt nichts getan. Bis heute zögert man das hinaus."
    Langsam, ruhiger, aber teurer
    Insbesondere der nächtliche Lärm ist es, der den Menschen im Mittelrheintal zu schaffen macht:
    "Das Schlimme ist, die Züge kommen so nachts ab zwölf, ein Uhr. Wie an der Perlenkette." - "Alle drei Minuten." - "Hauptsächlich nachts ist das so schlimm. Es würde schon reichen, wenn die langsamer fahren würden. Dann ist lange nicht so viel Getöse, als wenn die da durchrauschen. Bei manchen denkt man wirklich, es ist Krieg und ein Panzer kommt."
    Doch auch ein nächtliches Tempolimit passt Industrieverbänden wie dem BDI und dem Verband der Güterwagenhalter nicht. In ihrem aktuellen Gutachten heißt es, dass sich dadurch die Transportzeiten für die Güter um rund ein Viertel verlängern würden. 400 Millionen mehr Kosten für den Transport und eine weitere Verlagerung des Güterverkehrs auf die Straße wären die Folgen.
    Frank Groß von der Bahnlärminitiative "Pro Rheintal" spricht von einer Drohkulisse der Industrieverbände. Er setzt darauf, dass sich die Bundesregierung davon nicht beeindrucken lässt:
    "Wir haben da auch die feste Zusage von der Bundesregierung, auch von der Bundesministerin Hendricks, die letztens das auch noch mal in Berlin bestätigt hat, dass die Bundesregierung da bei ihrem Plan bleibt und sofern bis 2016 nicht die Hälfte dieser Güterwagen umgerüstet sind, müssen eben entsprechende Nachtfahrverbote und Tempolimits eingeführt werden."