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Bandi: "Denunziation - Erzählungen aus Nordkorea"
Fensterbilder in ein Land, von dem man kaum etwas weiß

Schon der Titel "Denunziation - Erzählungen aus Nordkorea" deutet darauf hin, dass diese regimekritisch sind. Unter dem Pseudonym Bandi hat ein nordkoreanischer Autor den Erzählband verfasst, den er über Jahre bei sich versteckt gehalten haben soll.

Von Anja Hirsch | 06.09.2017
    Menschen warten an einer Bushaltestelle in Pjöngjang (Nordkorea)
    Der nordkoreanische Autor, der seine wahre Identität mit dem Pseudonym "Bandi" schützt, erzählt anhand von Beispielen über verschiedene Schicksale in Nordkorea (AFP / Es Jones)
    Von außen betrachtet, wirkt Nordkorea düster und kafkaesk. Der Diktator, der die Welt mit Atomwaffen bedroht oder vom Balkon aus auf bunte Paraden herunterwinkt. Dass ein unzensiertes Manuskript aus einem derart abgeschotteten Land herausfindet, erschien auch dem Ostasien-Korrespondenten Thomas Reichart, der zur deutschen Ausgabe das Vorwort schrieb, eher ungewöhnlich. Er erfuhr bei seiner Recherche durch die Hilfsorganisation, die den Erzählungsband in den Westen vermittelte, dass der Autor ihn über Jahre bei sich versteckt gehalten haben soll. In Südkorea, wo der Band erstmals erschien und man gespalten ist, ob durch wirtschaftliche Hilfen Annäherung erreicht oder die Abschottung forciert werden soll, wurde er schnell zum Teil der laufenden politischen Debatte. Ganz egal, ob der Band nun ein Konstrukt ist, wie kritische Stimmen meinen, oder authentisch - vieles hier Erzählte, bestätigt Reichart, sei typisch. Reist er mit seinem Fernsehteam ein, begleiten ihn Aufpasser auf Schritt und Tritt, immer zwei, damit der eine den anderen kontrollieren kann. Und auch er habe einmal ähnliches erlebt wie in der ersten Erzählung beschrieben: Drei Monate lang hatten die Einwohner Pjöngjangs für den Nationalfeiertag geprobt. Alles war genau geplant, nur das Wetter nicht. Da geht ein Wolkenbruch nieder und legt alles für Stunden lahm. Kurz vor dem offiziellen Beginn aber reißt dann doch noch der Himmel auf. Durch Lautsprecher lässt man antreten. In Minutenschnelle geschieht das Wunder.
    Kleine Geschichten zeigen verschiedene Schicksale
    "Der Ausdruck "unverzüglich" schien Wirkung zu zeigen und die Leute am einen Ende der Stadt aufzusammeln und am Versammlungsplatz abzusetzen wie ein Bratspieß, von dem die Fleischstückchen abgezogen wurden. Um fünf vor zehn war der Platz schließlich bedeckt mit Blöcken in allen Farben. Was war das für eine Macht, die in der Lage war, eine so unglaubliche Leistung zu vollbringen?"
    "Stadt der Gespenster" ist die erste von insgesamt sieben Erzählungen jenes rätselhaften nordkoreanischen Autors, der seine wahre Identität mit dem Pseudonym "Bandi" schützt. Übersetzt heißt das "Glühwürmchen", vielleicht, weil er wie ein Glühwürmchen mit seinen Geschichten einzelne Schicksale in diesem düsteren Land erhellt. Hinter den gleichförmig aussehenden Menschen, die gehorsam zu den Paraden strömen, werden Gefühle und Regungen erkennbar. Da ist etwa Kyeong-Hui, Mutter eines Zweijährigen. Der Junge fürchtet sich vor dem riesigen Karl-Marx-Porträt und dem Führer-Bild vor dem Fenster, weshalb sie es verhängt. Die strenge Blockwartin, eine Parteifunktionärin, hat sie deshalb antreten lassen. Der Verdacht: Vielleicht sind die Gardinen ein geheimes Zeichen, um mit Spionen Kontakt aufzunehmen. Dass Kyeong-Hui wegen des absurden Verdachts einen Lachanfall bekommt und schließlich den wahren Grund für die zugezogenen Vorhänge preisgibt, wird ihr zum Verhängnis. Zur Parade entbindet man sie zwar von ihrer eigentlichen Aufgabe, und sie darf das Geschehen aus dem 16. Stock ihrer viel zu kalten Wohnung verfolgen. Doch der Staat zieht nach den großen Feierlichkeiten Bilanz und pickt die Verdächtigen heraus. Ein Lastwagen der Staatssicherheit hält eines Nachts vor dem Wohnblock Kyeong-Huis. Die Familie wird aufs Land verbannt.
    Früher glaubten sie alle an den Kommunismus
    "Plötzlich fing sie am ganzen Körper an zu zittern. Das war nicht nur die Folge dieser kalten Septembernacht. Sie war sich gerade einer furchtbaren Tatsache bewusst geworden, die ihr einen gewaltigen Schock versetzte. Sie verstand endlich, von welcher Art die Macht war, die eine Million Menschen dazu gebracht hatte, sich binnen fünfundvierzig Minuten zu versammeln."
    Grotesker Führer-Kult wird gezeigt. Alles ist von ständigem gegenseitigem Misstrauen vergiftet. Man muss aufpassen, was man sagt, selbst wenn man, wie Kyeong-Hui, angesehene Geschäftsführerin eines Fischladens ist und der Mann tätig im Propagandaministerium. Auffallend ist, dass die Menschen in den Geschichten früher an die Versprechungen des Kim-Kommunismus' geglaubt hatten. Doch irgendetwas geschieht, sie vergessen sich, machen eine unbedachte Bemerkung, und schon sind sie wegen Kleinigkeiten aus der Bahn geworfen. Einmal fällt das Wort "Eiskammer". Es ist kalt in diesem Land - auch zwischenmenschlich.
    Entstanden sind die Geschichten offenbar Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre, in den letzten Jahren der Herrschaft von Kim Il-Sung und der nochmal strengeren Abschottung nach außen als Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Eine dramatische Hungersnot, bei der bis zu einer Million Menschen starben, ergriff das Land. Auch das spiegeln diese Erzählungen, zum Beispiel die über einen alten Arbeiter. Als man von seinem Lieblingsbaum einen Ast sägen will, bekommt er einen Wutanfall und schwingt drohend die Axt. Der mit ihm befreundete Dorfpolizist soll ihn zur Rede stellen und wird weich, als er die Vorgeschichte hört, die alltägliche Belastung des Mannes, ein Streit mit seiner Frau. Er hat Mitleid mit dem Alten, der kümmerlich wohnt.
    Geschichten klagen, zeigen aber auch Momente der Wärme
    "‘Kann man das hier denn Zimmer nennen? Meine Nasenspitze ist schon erfroren.‘ Er schien plötzlich um zehn Jahre gealtert zu sein. In dem Luftzug am Fenster schwang eine in ihrem Netz ausgetrocknete Spinne leicht hin und her. ‚Onkel, ruh dich aus und verbrenne mindestens einen Ballen Heu, damit der Boden etwas warm wird.‘ ‚Du hast recht, das werde ich tun.‘ Nicht im Traum hätte Yeong-Il daran gedacht, dass dies das letzte Mal wäre, dass er Yon-Sus Stimme hörte."
    Einfach im Ton und genau mit Details, wirken diese Erzählungen wie Fensterbilder in ein Land, von dem man kaum etwas weiß. Da ist die Frau, die vergewaltigt wird, sich die Reiskörner vom Munde abspart und alles das vor ihrem Mann verheimlicht. Erst in ihrem Tagebuch liest er von ihrer Qual, die sie über sich ergehen lässt, um die Chancen ihres Mannes auf Parteiaufnahme zu erhöhen. Da ist die Familie, die am Bahnhof fast zerquetscht wird, weil der Führer im Land unterwegs ist und kaum Züge verkehren. Diese Geschichten klagen. Aber sie zeigen auch unerwartete Momente der Wärme wie in der Geschichte vom Alten und dem Polizisten, die sich nahekommen, weil der eine dem Anderen sein Herz öffnet.
    Bandi: "Denunziation - Erzählungen aus Nordkorea." Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee.
    Mit einem Vorwort von Thomas Reichart
    Piper Verlag, München 2017. 224 Seiten, 20 Euro