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Berliner Vorstoß
Muslimische Seelsorge in Gefängnissen

Jeder Gefangene hat das Recht, seinem Glauben entsprechend von Seelsorgern betreut zu werden. Das ist bei christlichen Gefangenen relativ klar geregelt, oftmals kommen gut bezahlte Pfarrer in die Justizvollzugsanstalten. Aber für Muslime sieht das anders aus. Jetzt gibt es dazu in Berlin eine neue Rahmenvereinbarung.

Von Thomas Klatt |
    Kameras und Stacheldraht vor der Justizvollzugsanstalt in Münster (Nordrhein-Westfalen).
    In Berliner Gefängnissen werden muslimische und christliche Seelsorger zunehmend gleichgestellt (dpa/picture-alliance/Friso Gentsch)
    Der Eingang ist streng bewacht und mehrfach mit Schleusen gesichert. Seinen Personalausweis und sein Mobiltelefon muss Mohammad Imran Sagir abgeben. Den Besucherausweis muss er offen tragen, dann kann er die Justizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee betreten. Seit Oktober vergangenen Jahres bietet der gelernte Betriebswirt hier regelmäßig Freitagsgebete für Gefangene an.
    "In der Sommerzeit haben wir es ein bisschen später, das Gebet, in der Winterzeit ist es früher. Da ist es für einige weniger möglich zu kommen, weil sie dann noch arbeiten. Andersrum ist es auch für manche jetzt schon schwierig zu kommen, weil sie andere Angebote wahrnehmen, manchmal sogar Besuchszeit haben."
    "Ich möchte den Menschen unvoreingenommen begegnen"
    Im geschlossenen Vollzug der JVA Plötzensee sitzen derzeit rund 270 Männer ein. Etwa ein Drittel sind Muslime, so die Schätzung. Aber genau weiß das keiner. Denn nach Religionszugehörigkeit wird in den Gefängnissen niemand erfasst. Sagir, der auch das muslimische Seelsorge-Telefon in Berlin leitet, weiß zwar, dass die, die zu ihm kommen, Muslime sind. Von ihren Verbrechen weiß er aber nichts.
    "Nach dem Vorbild des Propheten, dass ich gesagt habe, ich werde hier nicht irgendwie anfangen, irgendwelche Vorinformationen haben zu wollen, sondern ich möchte den Menschen unvoreingenommen begegnen - und was die mir erzählen, das nehme ich an. Natürlich ist es so, dass es dann später in der Seelsorge-Arbeit wird es natürlich so sein, dass man noch etwas mehr erfährt. Ich weiß von fast keinem, was er getan hat, um hier zu sein."
    "Ein Stück Gleichberechtigung"
    Denn die Seelsorge-Arbeit für Muslime in Berliner Gefängnissen steht noch am Anfang. Zwar wurden in den letzten Jahren immer wieder von einzelnen Imamen Freitagsgebete angeboten, doch erst Anfang des Jahres wurde mit dem Berliner Senat etwas vereinbart, was im Behördendeutsch so heißt: "Rahmenvereinbarung über den Probelauf für die religiöse Betreuung muslimischer und alevitischer Inhaftierter in den Justizvollzugsanstalten des Landes Berlin".
    "Wir schaffen mit diesem Programm ein Stück Gleichberechtigung, ein Stück Normalität für die vielfältige Stadt, auch multireligiöse Stadt Berlin. Es ist eben nicht mehr so, wie vielleicht noch vor 40 Jahren, dass religiöse Betreuung vor allem durch christliche Kirchen stattfindet, sondern jetzt erweitert wird durch muslimische Angebote. Das macht nicht Halt vor den Gefängnismauern und daher bin ich froh, dass wir dieses Angebot machen können", sagt der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt von den Grünen. Mit der neuen Rahmenvereinbarung sei die religiöse Betreuung muslimischer und alevitischer Inhaftierter gesichert.
    "Wir sind deutschlandweit führend"
    Schon Behrendts Vorgänger, CDU-Justizsenator Thomas Heilmann, hatte das Projekt gestartet, dann aber 2013 überraschend gestoppt. Aus sicherheitsrelevanten Gründen, wie es damals hieß. Jetzt wurden erneut zehn muslimische Seelsorger vom Senat in Rechtsfragen ausgebildet und vom Verfassungsschutz überprüft. Zwölf Monate lang gehen sie nun in die Berliner Haftanstalten. Es ist noch offen, ob es danach weitergeht. Der Berliner Justizsenator über die Dimensionen dieses Testlaufs:
    "Wir erreichen die großen Anstalten mit dem jetzigen Angebot alle - und wir haben auch eine Regelmäßigkeit. Es gibt im wöchentlichen Wechsel donnerstags von den Aleviten Cem-Veranstaltungen und freitags im Wechsel von Sunniten und Schiiten das sogenannte Freitagsgebet - und darüber hinausgehend an den hohen muslimischen und alevitischen Feiertagen auch religiöse Veranstaltungen. Und das gibt es auch im sonstigen Bundesgebiet nicht, sondern wir sind deutschlandweit führend mit dem Angebot, was wir jetzt machen."
    Parfüm auf Sondergenehmigung
    Christliche Seelsorger in Deutschland sind in der Regel gut bezahlte Beamte ihrer jeweiligen Kirche. Muslimische Gefangenenseelsorger in Berlin arbeiten dagegen für rund 30 Euro Honorar pro Stunde.
    Imran Sagir, der auch Sprecher der Berliner Arbeitsgemeinschaft muslimischer Gefängnisseelsorge ist, hat keinen eigenen Raum im Gefängnis - nur einen Spind, in dem er seine wenigen Utensilien verstauen kann: etwa den Gebetsteppich oder den Koran oder Parfüm.
    "Der Prophet hat das auch sehr gemocht; und hier in der Anstalt habe ich die Sondergenehmigung, dieses Fläschchen rumreichen zu dürfen. Normalerweise ist das nicht erlaubt."
    Für kleine Parfümfläschchen hat Imran Sagir eine Erlaubnis bekommen. Einen eigenen Andachts- oder Gebetsraum gibt es aber nicht. Ein schmuckloses Besprechungszimmer muss reichen. Die wenigen Gefangenen, die an diesem Freitag kommen, tragen die Tische hinaus, legen ihre Gebetsteppiche aus - und das Freitagsgebet kann beginnen.
    Mohammad Imran Sagir, Leiter der islamischen Telefon-Seelsorge und Gefängnisseelsorger in Berlin. (Bild: AFP / John MacDougall)
    Mohammad Imran Sagir wird seinen christlichen Kollegen sukzessive gleichgestellt (AFP / John MacDougall)
    Im Herbst soll der muslimische Seelsorger ein eigenes Dienstzimmer bekommen - für individuelle Beratungs- und Seelsorgegespräche. Schritt für Schritt, sagt Mohammad Imran Sagir, wird er seinen christlichen Kollegen im Gefängnis gleichgestellt. Auch beim Seelsorgegeheimnis - allerdings mit Einschränkungen.
    "Es geht um zukünftige Dinge, da geht es um Suizidfragen oder wenn körperlich jemand einen angehen möchte oder entweichen möchte, diese drei Fälle sind eingeschränkt. Ansonsten wurde das Seelsorge-Geheimnis übernommen, das muss man schon sagen."
    Seelsorge ist keine Islamismusprävention
    Wer aber nun von den wenigen muslimischen Seelsorgern erwartet, sie könnten islamistische Tendenzen in der Haft bekämpfen, der liege falsch, sagt Justizsenator Dirk Behrendt:
    "Ich möchte betonen, dass dieses Angebot der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener nichts zu tun hat mit De-Radikalisierung und Prävention in Richtung Islamismus. Aber es gibt doch einen kleinen Zusammenhang, denn wenn wir denjenigen, die, weil sie vielleicht in ihrer Situation im Gefängnis über ihr Leben nachdenken, über ihre Wertvorstellung nachdenken, sich auf die religiöse Suche begeben, wenn wir denen vernünftige religiöse Angebote machen können.
    Menschen, die eben den Koran erklären können und die nicht angewiesen sind auf religiöse Scharlatane. Wir wissen ja, dass Islamisten auch versuchen, in den Anstalten zu rekrutieren und wenn wir da in der Konkurrenz die Nase vorn haben, dann ist das ein positiver Nebeneffekt des Programms."
    So sieht das auch der muslimische Seelsorger Mohammad Imran Sagir. Zu ihm würden vor allem moderat eingestellte Muslime kommen. Und da kann er nur hoffen, dass seine Predigten, die für ein friedliches Miteinander werben, einen positiven Einfluss auf alle Gefängnisinsassen haben.