Sonntag, 28. April 2024

Archiv

Bernd Gäbler
"Böhmermann hat nicht begriffen, was Satire ist"

Das Schmähgedicht von Jan Böhmermann sei furchtbar schlecht gewesen und unter seinem Niveau, sagte der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler im DLF. Böhmermann sei gut beraten, wenn er die Grimme-Preis-Verleihung heute Abend nutzt, um die Verhältnisse wieder umzudrehen. Ein Sender wie das ZDF sei außerdem keine Plattform, wo einfach mal jeder irgendwas machen könne.

Bernd Gäbler im Gespräch mit Christiane Kaess | 08.04.2016
    Der Moderator Jan Böhmermann
    Der Moderator Jan Böhmermann (imago)
    Das Schmähgedicht von Jan Böhmermann auf den türkischen Präsidenten Erdogan hat nicht nur Kanzlerin Merkel auf den Plan gerufen, sondern auch die Staatsanwaltschaft Mainz. Sie hat ein Verfahren gegen den Satiriker wegen Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertreter ausländischer Staaten eingeleitet.
    Der ehemalige Geschäftsführer des Grimme-Instituts und Medienwissenschaftler Bernd Gäbler spricht im DLF von einer misslungenen Glosse, die von der ZDF Redaktion aufgrund seiner Qualität nicht hätte gesendet werden dürfen. Denn es sei weder lustig noch aufklärerisch gewesen. Erdogan werde nicht kenntlich gemacht und niemand gezeigt, der unter ihm leide. Zum Vergleich nannte Gäbler eine Satire, in der man Hitler dafür kritisiere, dass er Vegetarier sei, nicht aber für seine Verbrechen.
    Gäbler würdigte insgesamt das Schaffen des Fernsehmoderators und Satirikers. Jeder könne mal ein schwaches Stück unter seinem Niveau produzieren. Er gab dem Satiriker den Rat, sich bei der öffentlichen Verleihung der Grimme-Preises bescheiden zu verhalten und für Kritik zu öffnen. Böhmermann ist zweifacher Grimme-Preisträger, zuletzt in diesem Jahr. Die Preisverleihung findet am heutigen Abend statt.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Aus Sicht der Jury des Grimme-Preises war es ein besonderer Fernsehmoment, den der Satiriker Jan Böhmermann im März 2015 den Zuschauern bescherte. Der damalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der hatte gerade dem verdutzten Moderator Günther Jauch erklärt: Der ausgestreckte Mittelfinger gegen Deutschland in der hitzigen Diskussion über die griechische Finanzkrise sei eine Bildmontage gewesen, der kurz davor eingespielte Film in Jauchs Sendung also eine Fälschung.
    Der Satiriker Jan Böhmermann sprang auf den Zug auf und behauptete, die Redaktion seines "Neo Magazin Royale", das im Kanal ZDF Neo läuft, habe den Fake erstellt. Tagelang wurde darüber gerätselt, was denn nun stimmt. Dafür bekommt Böhmermann heute Abend einen Spezialpreis bei den renommierten Grimme-Preis-Auszeichnungen.
    Seit Tagen steht Böhmermann allerdings heftig in der Kritik wegen seines Schmähgedichtes über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Das wiederum folgte einer Satire zu Erdogan in der NDR-Sendung "extra 3". Der verärgerte türkische Präsident machte seinen Unmut darüber zur Staatsaffäre, in der sich auch Angela Merkel zu Wort meldete. Sie kritisierte die Böhmermann-Verse als bewusst verletzend. - Über all dies möchte ich jetzt sprechen mit Bernd Gäbler. Er ist Medienwissenschaftler und Journalist und ehemals Geschäftsführer des Grimme-Institutes. Guten Morgen!
    Bernd Gäbler: Ja! Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Gäbler, heute mit Jan Böhmermann, da wird ja jemand ausgezeichnet, gegen den die Mainzer Staatsanwaltschaft prüft, ob er Vertreter ausländischer Staaten beleidigt hat und damit sogar das Strafrecht verletzt hat. Der Grimme-Preis, ist er dennoch gerechtfertigt?
    Gäbler: Na ja. Zunächst mal: Der Delinquent, gegen den da ermittelt wird, hat das ja schon unmittelbar vor der Tat gestanden. Er hat ja sogar stolz gesagt: "Seht her, was ich jetzt tue, das ist Verbotenes." Was das bedeutet und von welcher Qualität das ist, darüber ist sicher zu reden. Wir wissen alle, seriöser Journalismus betont diese Differenz zwischen der Ermittlung und einer Verurteilung. Das ist ganz was anderes.
    Zum Grimme-Preis: Ich kommentiere eigentlich nicht gerne das Treiben meiner Nachfolger. Ich habe es immer so gehalten. Ich habe mich gefreut, wenn dieses Institut meinungsstark repräsentiert wird. Und das Zweite, was man zu machen hat, ist: Wenn eine Jury entschieden hat, dann wird diese Entscheidung verteidigt, insbesondere geschützt gegen jederlei Einflussnahme. Das heißt: Wenn man der Meinung ist, er soll für diese, nennen wir es mal, Medienverwirrung, für die er gesorgt hat, die war produktiv, das war erhellend, dafür soll er einen Preis kriegen, dann hat er diesen Preis auch zu kriegen. Und gleichzeitig ist über alles andere zu reden.
    "Er hat nicht begriffen, was Satire ist"
    Kaess: Aber wenn Sie jetzt diese Satire oder diesen Verwirrmoment ansprechen. Auf der anderen Seite ist ja Jan Böhmermann bis jetzt eigentlich nur zweimal besonders aufgefallen, nämlich mit dieser Varoufakis-Fälschung und bei dem Schmähgedicht. Man könnte ja auch fragen: Ist es gerechtfertigt, jemanden auszuzeichnen, der seine Bekanntheit vor allem durch Skandalisierung erreicht?
    Gäbler: Wenn es so wäre, hätten Sie recht. Aber nein, er hat viele produktive interessante Sachen gemacht, jüngst noch die wirklich sehr schöne Parodie "be deutsch, we are proud not to be proud", wo satirisch gearbeitet wird mit dem Gegensatz von martialischem Auftritt dieser Rammstein-Musik und der Weichheit, Sanftheit der neuen Deutschen. Das ist schon Satire und hat auch schon 2014, glaube ich, den Grimme-Preis für das Magazin, für die Erfindung dieses Formats bekommen. Also er macht mehr als das, worüber er tatsächlich ungeheure Aufmerksamkeit heischt, und das, wenn wir da gleich weitermachen wollen, ist auch das, was man mit ihm diskutieren muss und was man ihm vorwerfen kann zu diesem sogenannten Schmähgedicht zu Erdogan. Sie haben ja den Kontext gesagt.
    Kaess: Was würden Sie ihm denn vorwerfen?
    Gäbler: Ich glaube nicht, dass richtig wäre zu sagen, er ist zu weit gegangen, sondern er hat nicht begriffen, was Satire ist in dem Moment. Weil er hat eigentlich was gemacht, dass er alles Mögliche, was denkbar ist an rassistischen Stereotypen und sexuellen Verirrungen, diesem Erdogan angedichtet hat und damit nicht Erdogan kenntlich gemacht hat.
    Kaess: Fanden Sie es lustig?
    Gäbler: Nein! Ich fand es auch nicht mutig, weil er hat sein Mütchen gekühlt, aber er hat nicht zu Erkenntnissen verholfen, er hat keinem genutzt, der unter Erdogans Unterdrückungspolitik leidet. Er hat, wenn Sie so wollen, sich selbst bespielt. Man könnte auch sagen, er wollte eigentlich thematisieren, was hier verboten ist, und es ging nicht um Erdogan. Er könnte, wenn er klug beraten wäre, sicher die Chance der Grimme-Preis-Verleihung heute Abend nutzen, um die Verhältnisse wieder umzudrehen.
    Kaess: Wie denn?
    Gäbler: Sehr, sehr bescheiden aufzutreten, nicht über sich zu reden, sondern tatsächlich über Erdogan.
    "Dann muss man sagen, ist nicht gelungen, lass es lieber sein"
    Kaess: Aber wenn man sich mal die Vorgeschichte anschaut, Herr Gäbler, die Vorgeschichte von diesem Schmähgedicht. Das war eine Reaktion auf die Kontroverse um diesen Satire-Beitrag im NDR bei "extra 3" und darum ging es ja, um die Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. Ankara hat da schon reagiert, den deutschen Botschafter einbestellt, verlangt, dass der Beitrag gelöscht wird. Das ist natürlich zurückgewiesen worden. Das alles, das ist doch eine Steilvorlage für einen Satiriker. Es wäre ja quasi unmöglich gewesen, nicht darauf zu reagieren.
    Gäbler: Nein! Wenn einem dann was Gutes einfällt, wunderbar. Wenn einem nichts Gutes einfällt, muss man sagen: Herzlichen Glückwunsch, "extra 3", diese Satire war eine, denn sie lebte auch von dem Gegensatz zwischen diesem freundlich-fröhlichen Trallala-Liedchen von Nena in der Melodieführung und dann einer relativ nüchternen Zustandsbeschreibung des diktatorischen Regimes Erdogan. Deswegen kann man sie verteidigen als Ausdruck der Pressefreiheit.
    Das was Böhmermann gemacht hat, kann man nicht verteidigen, weil es war nicht ein Kenntlichmachen von Erdogan. Es war, wenn man so will, keine Satire; es war schlecht, es war unter seinem Niveau, es war nicht pfiffig, es war nicht schlau. Er wollte nur noch mal einen draufsetzen und sagen, seht her, ich kann noch mehr. Aber das war ein Fehler und darum muss man als verantwortlicher Redakteur - - Das kann immer mal passieren. Sie können auch mal eine Glosse in Auftrag geben und die gelingt nicht. Dann muss man sagen, ist nicht gelungen, lass es lieber sein, Du musst auch lernen, mal das Wasser zu halten. Und darum: Ein Sender wie das ZDF ist eben keine Plattform, wo einfach mal jeder irgendwas machen kann, sondern da herrscht das Prinzip Redaktion. Und das heißt, man entscheidet, ist das gut, ist das schlecht, hat es eine richtige Form oder nicht. Und bei Böhmermann muss man einfach sagen, dieses Ding war leider furchtbar schlecht, viel, viel schlechter als andere Sachen, die er schon gemacht hat, und es war keine Satire.
    Kaess: Da kann man vielleicht jetzt immer noch gegenhalten, dass das Geschmackssache ist. Aber das sei mal da hingestellt. Wir lernen im Moment, Herr Gäbler, dass Satire tatsächlich auch in Deutschland strafbar sein kann. Das hat viele doch etwas überrascht.
    Gäbler: Nein, Satire kann nicht strafbar sein. Satire darf tatsächlich, wie Tucholsky gesagt hat, alles. Aber es ist ein Unterschied zwischen Satire und einer schlichten Beleidigung und Schmähung.
    Erdogan in die Hände gespielt
    Kaess: Aber diese Grenzen sind ja schwimmend. Wahrscheinlich, nehme ich jetzt zumindest mal an, würde Herr Böhmermann nach wie vor sagen, das war Satire.
    Gäbler: Ja! Aber daran sieht man, dass er das nicht begreift, weil er wie gesagt nichts getan hat, was Erdogan kenntlich macht. Wenn ich jetzt Ihnen alle möglichen sexuellen Verirrungen anhänge und das in einer Minute runterbete, dann haben Sie vollständig zurecht das Recht, dagegen zu klagen. Und hier ist es so, dass er Erdogan eher in die Hände gespielt hat, weil wir nicht sehen, dass er etwas, was wichtig ist, unterdrückt, sondern dass er einfach gegen eine Dummheit vorgeht, und damit hat er eigentlich das relativiert, was vorher mit der ja auch nicht so großartigen, aber immerhin ganz guten "extra 3"-Satire angefangen hat, und das war einfach ein Fehler und ich würde mit ihm, auch wenn ich bei Grimme wäre, reden und versuchen, ihn nicht sich verfestigen zu lassen in dieser Position, sondern sich einfach zu öffnen und zu sagen, na ja, das war nicht so toll, man kann sich mal irren, man kann da mal was Falsches machen, und das ist keine Geschmacksfrage, sondern ist tatsächlich eine Frage, was ist aufklärerisch und was ist das Gegenteil. Das war auch schon beim Nationalsozialismus so. Wenn man Hitler vor allen Dingen deswegen kritisiert hat, weil er Vegetarier war, dann war das keine gute Satire.
    Kaess: … sagt Bernd Gäbler, Medienwissenschaftler und Journalist und ehemals Geschäftsführer des Grimme-Institutes. Herr Gäbler, danke schön für dieses Gespräch.
    Gäbler: Ich danke. Gut!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.