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Besuchsrecht in Incirlik
"Die Türkei hat Angela Merkel ziemlich in der Hand"

Die Bundesregierung habe sich beim Besuchsrecht der Abgeordneten in Incirlik vorführen lassen, sagte Tobias Lindner, Verteidigungsexperte der Grünen, im DLF. Es könne nicht sein, dass man Menschenrechte, Einschüchterung der Presse und Massenverhaftungen sowie das Besuchsrecht der Abgeordneten gegen ein Flüchtlingsabkommen eintausche, nur um hier im Inland gegen Probleme gefeit zu sein.

Tobias Lindner im Gespräch mit Oliver Ramme | 08.09.2016
    Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.
    Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. (Imago / Metodi Popow)
    Oliver Ramme: Die Opposition kocht und einen Vertreter der Opposition haben wir jetzt am Telefon. Tobias Lindner ist von den Grünen und Mitglied im Verteidigungsausschuss im Bundestag. Guten Abend, Herr Lindner.
    Tobias Lindner: Guten Abend.
    Ramme: Herr Lindner, der Zwist mit Ankara in Sachen Incirlik-Besuch der Bundestagsabgeordneten scheint ja nun beigelegt. Kann man nun resümierend sagen, das war alles nicht schön im Vorfeld, es ist eben eine sehr brenzlige Zeit mit der Türkei, aber Ende gut, alles gut, Schwamm drüber?
    Lindner: Na ja, ob das Ende jetzt wirklich gut ist, wage ich stark zu bezweifeln. Dass Abgeordnete ihre Soldaten im Auslandseinsatz besuchen können, dient ja auch dazu, dass man offene Fragen klärt. Wir verlängern ja die Einsätze Jahr für Jahr im Deutschen Bundestag und natürlich muss man sich dann auch immer fragen, macht so ein Einsatz noch Sinn, hat er die Ziele erfüllt, die man sich eigentlich gesetzt hat, als die Soldaten mandatiert wurden, ins Ausland zu gehen. Wir Grüne hatten da schon in der Vergangenheit unsere Zweifel, und dass jetzt wieder Besuchsmöglichkeiten bestehen, dient ja gerade dazu, wirklich sich dann auch ein Bild davon zu machen, unter welchen Umständen leisten die Soldaten ihren Dienst und was hat der Einsatz gebracht.
    "Die Bundesregierung hat sich zum Kuhhandel hat hinreißen lassen"
    Ramme: Gut, sie können jetzt gehen. Aber im Vorfeld gab es ja ein Riesengezerre um diesen Besuch. Was ist da falsch gelaufen Ihrer Ansicht nach?
    Lindner: Im Vorfeld war ein ziemlich unwürdiges Schauspiel, um das ganz ehrlich zu sagen. Ich selbst war im Januar zu Besuch in Incirlik, da war das noch alles vollkommen normal. Im Haushaltsausschuss, in dem ich die Verteidigungsausgaben mit überwache, hatten wir uns eigentlich auch für den Herbst vorgenommen, in Incirlik vorbeizuschauen. Und dann hieß es im Sommer auf einmal plötzlich: Nein, ein Besuch ist nicht möglich, wegen der Armenien-Resolution des Bundestages und wegen dem Bekenntnis des Bundestages, dass es Völkermord an den Armeniern war. Ich muss ganz ehrlich sagen: Am unangenehmsten fand ich es, was sich in der letzten Woche da abgespielt hat, dass sich anscheinend die Bundesregierung zum Kuhhandel hat hinreißen lassen durch ein wachsweiches Dementi des Regierungssprechers und auch durch die Tatsache, dass jetzt ziemlich schnell in Incirlik ausgebaut werden soll. Ich hätte Frau von der Leyen da geraten, einfach noch mal ein, zwei Wochen abzuwarten, bis wirklich geklärt ist, dass die Abgeordneten fahren können.
    Ramme: Aber die Bundesregierung hat sich ja nicht distanziert von der Abstimmung im Bundestag. Sie hat nur gesagt, das wissen auch alle, rechtsbindend ist diese Entscheidung nicht. Was hat sie denn dann falsch gemacht? Sie hat doch im Prinzip nur noch mal etwas erläutert, die Regierung.
    Lindner: Die Bundesregierung hat ein Dementi abgegeben, das so ja nicht unbedingt eines war. Wenn der Regierungssprecher hätte wirklich nur dementieren wollen, dann hätte er gesagt, okay, wir dementieren das und wir distanzieren uns nicht. Niemand hat ihn gezwungen, weiterzureden, wie er das getan hat. Ich will von der Bundesregierung wissen - und das werden wir in den nächsten Ausschusssitzungen dann auch klären müssen -, hat die Bundesregierung eine solche Erklärung in Aussicht gestellt. Es ist ja ein großer Unterschied, ob ein deutscher Diplomat in der Türkei in einem nichtöffentlichen Gespräch mit Vertretern der türkischen Seite auf Nachfrage erläutert, was eine Resolution des Bundestages ist, oder ob man in Aussicht stellt, so eine öffentliche Erklärung abzugeben, die ja in der Türkei dann auch ganz anders aufgefasst worden ist in den Medien, nämlich als ein Zurückrudern. Ich habe den Eindruck, das war ein Kuhhandel.
    "Deutschland war sehr solidarisch mit dem NATO-Partner Türkei"
    Ramme: Nehmen wir mal an, das löst sich dann doch in Wohlgefallen auf, das Ganze, es war kein Kuhhandel, was wäre denn dann der Schaden außer viel Lärm um nichts?
    Lindner: Na ja. Es ist ziemlich befremdlich, dass NATO-Verbündete untereinander der eine dem anderen verbietet, dass Abgeordnete - und ich kann nur noch mal daran erinnern: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee -, dass Abgeordnete nicht zu den Soldaten können, um sich ein Bild der Lage zu machen. Die Bundesrepublik Deutschland war in den letzten Jahren sehr solidarisch mit dem NATO-Partner Türkei, als es darum ging, die Grenze gegenüber Syrien mit Patriot-Luftabwehrsystemen zu schützen. Da haben deutsche Soldaten teilweise unter harten Bedingungen Dienst geleistet, das war nicht ungefährlich. Ich hätte mir erwartet, dass die Türkei dann auch so solidarisch ist und nicht irgendwie das Besuchsrecht von Abgeordneten als Faustpfand verwendet wegen der Armenien-Resolution.
    Ramme: Wer hat denn eigentlich in dieser Beziehung zurzeit die Zügel in der Hand, in der deutsch-türkischen Beziehung? Sind es die Türken, weil sie natürlich auch mit dem Flüchtlingsabkommen dastehen, oder ist es die Bundesrepublik? Wie würden Sie dieses Verhältnis zurzeit charakterisieren?
    Lindner: Ich persönlich wäre sehr froh, wenn das Verhältnis mit der Türkei tatsächlich eine Gesprächsatmosphäre auf Augenhöhe wäre. Es gibt viele Fragen, die wir als Deutschland an die Türkei haben müssen. Es gibt viele Kritikpunkte, wie jetzt mit den Folgen dieses Militärputsches umgegangen wird. Ich glaube, da muss man reden, gerade wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Aber leider ist mein Eindruck, dass die Türkei momentan Angela Merkel ziemlich in der Hand hat. Das Flüchtlingsabkommen ist ein deutliches Druckmittel gegenüber der Bundeskanzlerin. Und ein bisschen war ja schon der Eindruck jetzt auch beim Besuchsrecht der Abgeordneten, dass man sich hat hier vorführen lassen und quasi Bedingungen wie diese Halbdistanzierung oder auch 60 Millionen Euro Investitionen in Incirlik von deutscher Seite, dass man diese Bedingungen da abgedrückt hat am Ende des Tages.
    Ramme: Die Bundesregierung ist in der Tat unter Druck. Das hat uns ja auch Mecklenburg-Vorpommern noch mal gezeigt. Aber worin bestünde der Befreiungsschlag?
    Lindner: Es beginnt natürlich zuerst mal, wie man mit der Türkei redet, dass man natürlich dann auch bereit sein muss, im Zweifel zu sagen, gut, dann kann es nicht dieses Flüchtlingsabkommen sein. Dann wird man erneut sprechen müssen darüber, wie man diese gesamteuropäische Herausforderung löst. Aber es kann nicht sein, dass man irgendwie Menschenrechte, Einschüchterung der Presse, diese Massenverhaftungen, die es jetzt gibt, oder das Besuchsrecht von Abgeordneten eintauscht gegen ein Flüchtlingsabkommen, nur um hier im Inland von Problemen gefeit zu sein.
    "Wir werden natürlich im Verteidigungsausschuss nachfragen"
    Ramme: Sie gehören, Herr Lindner, nicht zu denen, die Anfang Oktober nach Incirlik reisen. Die Linke hat ja gesagt, sie will prüfen, unter welchen Bedingungen diese Besuchserlaubnis zustande gekommen ist. Wie halten es da die Grünen? Würden Sie auch gerne prüfen, wie die Linken das wollen?
    Lindner: Wir werden natürlich im Verteidigungsausschuss nachfragen, unter welchen Bedingungen diese Besuchserlaubnis zustande gekommen ist, und erwarten da von der Bundesregierung Auskunft darüber.
    Ramme: Was werden die Erkenntnisse sein eines Truppenbesuchs in Incirlik?
    Lindner: Ich selbst war ja zuletzt im Januar dort und ich habe zum Beispiel mitgenommen die Unterkunftsbedingungen, in denen die Soldaten dort leben müssen. Ich habe ganz profane Dinge mitgenommen wie Fragen von Verpflegung, Fragen, kann man an Güter des täglichen Bedarfs kommen. Ich habe auch technische Fragen mitgenommen. Im Januar gab es eine Diskussion, dass es beim Kampfflugzeug Tornado, wenn man bei Nacht fliegt, ein Problem gibt mit der Cockpit-Beleuchtung. Das sind alles Dinge, wo ich zusätzliche Informationen erlangt habe darüber, weil ich tatsächlich mit den Soldatinnen und Soldaten, die diesen Einsatz bewerkstelligen müssen, habe persönlich sprechen können. Das war für mich ein großer Beitrag für meine Arbeit im Bundestag. Ich konnte an mehreren Stellen nachhaken, nachfragen, an der einen oder anderen Stelle konnte man auch was verändern.
    "Das zeigt natürlich auch die Schwäche dieses Mandats"
    Ramme: Seit Anfang des Jahres fliegen die Tornados ja diese Aufklärungsflüge, um Stellungen des IS auszuspähen. Der IS ist aber beileibe nicht die einzige Kriegspartei. Kurden gehören auch dazu. Wenn diese gesichtet werden, bekommen die Türken dieses Material?
    Lindner: Das war eine Frage, die stellen wir ständig. Die Bundesregierung sagt immer, nein, das wird dann gecheckt werden, was genau der Auftrag ist, und im Stab würde dann ein sogenannter Red Card Holder, um das für die Hörer zu erklären, jemand, der sagt, okay, wir geben die Daten weiter oder geben sie nicht weiter, sitzen. Und dann wird man sich rechtlich beraten. So richtig konkret wird die Bundesregierung aber bei solchen Fragen nicht, und das zeigt natürlich auch die Schwäche dieses Mandats. Wenn man wirklich in Syrien und im Irak die Situation dauerhaft lösen will, wenn man wirklich effektiv gegen den sogenannten Islamischen Staat kämpfen will, dann braucht es natürlich einen Ansatz im Rahmen der Vereinten Nationen. Dann muss man mal im Sicherheitsrat gucken, dass man sich einigt. Und dann muss man auch schauen, dass irgendwie sich die Konfliktparteien - das betrifft natürlich auch die Türkei oder Russland, ganz gleich, wenn die andere Ziele verfolgen -, dass die sich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Sonst birgt es genau die Risiken, die Sie eben auch geschildert haben, dass nämlich Daten missbraucht werden können, zum Beispiel zur Bekämpfung der Kurden, die man ja eigentlich als Bündnispartner nutzt, um gegen den sogenannten Islamischen Staat zu kämpfen.
    Ramme: Der Grünen-Politiker Tobias Lindner war das, Mitglied im Verteidigungsausschuss. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.