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Big-Brother-Awards
Totalüberwachung bis ins Schlafzimmer

In sechs Kategorien verleiht der Bielefelder Datenschutzverein Digitalcourage den Big-Brother-Award für einen besonders fragwürdigen Umgang mit Datensicherheit. Mit dabei alte Bekannte: Amazon, Microsoft. Aber auch eine App, die automatisch das Schlafverhalten von Angestellten an den Chef versendet.

Von Wolfgang Noelke | 21.04.2018
    Der Amazon Echo Dot ist ein Lautsprecher, der auf den Namen "Alexa" hört und als Sprachschnittstelle zu Amazon-Produkten fungiert. Er steht auf einem Tisch. Zwei Kinder lehnen sich mit Händen und Köpfen auf den Tisch und schauen den Lautsprecher an.
    Amazon hat für seinen Sprachdienst "Alexa" einen Big Brother Award bekommen. (dpa/M. C. Hurek)
    Wer am Arbeitsplatz Fehler macht, bekommt irgendwann die Aufforderung zu einem Personalgespräch. Die Ausrede, eine schlechte Nacht gehabt zu haben, weil man zum Beispiel die kranken Kinder oder die Großmutter pflegte, ist bald chancenlos. Und der Rat aus der Personalabteilung könnte lauten: "Ordnen Sie bis Oktober Ihre persönlichen Verhältnisse. Verlassen Sie Ihre Geliebte und kehren Sie zurück in den Schoß Ihrer Familie. Ihre nächtlichen Eskapaden verbrauchen zu viel Arbeitskraft. Unser Unternehmen will sich das nicht leisten."
    Rena Tangens und der Netzaktivist padeluun vom Verein digitalcourage, der die jährlichen "Big Brother Awards" vergibt.
    Rena Tangens und der Netzaktivist padeluun vom Verein digitalcourage, der die jährlichen "Big Brother Awards" vergibt. (Wolfgang Noelke / Deutschlandfunk)
    Die gestern Abend mit dem Big-Brother-Award ausgezeichnete App Kelaa des Münchner Firma Soma Analytics sendet Untenehmen eine anonymisierte Analyse des Schreibverhaltens, der Stimmen- und Stimmungsanalyse, sowie der Vital- und Gesundheitsdaten des gesamten Personals, mit dem Versprechen, die Auswertung dieser Daten optimiere angeblich die Arbeitsleistung. Dazu gehöre selbstverständlich auch die Analyse des Schlafverhaltens. Die Jury des Big-Brother-Veranstalters Digitalcourage reagierte hellwach – mit dem Negativ-Preis:
    "Wenn wir dann gucken, dass diese Daten, die da erfasst werden, bis hin zum Nachtschlaf, - wie oft habe ich mich umgedreht – wie viele Tiefschlafphasen, wie viele Traumphasen hatte ich? Dass solche Daten dann an den Arbeitgeber geliefert werden, der diese App ja promoten soll – und die Zusammenfassung dieser Daten bei der Personalabteilung landet, dann wird mir ganz anders."
    Sensoren registrieren jede kleine Bewegung
    So Rena Tangens vom Verein Digitalcourage. Zu den nächtlichen Bewegungen zählen mehr, als nur das Zupfen an der Bettdecke. Die in Mobiltelefonen verbauten Sensoren registrieren jede kleinste Veränderung und können jederzeit petzen. Meist an den Hersteller:
    "Indoor- und Outdoorüberwachung passt schon ganz gut. Firmen argumentieren in der Richtung, "wir können euch online ja schon an allen möglichen Stellen sehr gut erfassen und überwachen, das wollen wir jetzt auch in der richtigen Welt". Und das Smartphone eignet sich natürlich hervorragend dazu als Einfallstor, denn das tragen die meisten Leute freiwillig mit sich herum, mit den geeigneten Apps da drauf und mit freigeschaltetem WLAN gebe ich da schon eine Menge über mich preis. Je nachdem, was ich darauf installiere, gehen Daten sonst wohin in der Weltgeschichte und ich habe keinerlei Handhabe, dagegen vorzugehen. Und die Smart City, wo mit Straßenlaternen mit allen möglichen Sensoren und so weiter, das in Kombination passiert, da können wir nur ahnen, was damit in Zukunft alles gemacht wird."
    Alexa sendet Sprachdaten an die Cloud
    Auch die weiteren Big-Brother-Preisträger namens Smart Cities könnten petzen, wer an Personalbettdecken zupft. Chancenlos, auf dem Weg zur oder zum Geliebten vorsichtshalber das Smartphone auszuschalten. Denn in Laternen verbaute Kameras und Mikrofone erkennen trotzdem jede Person am Gesicht, am Gang oder an der Stimme. Alexa lässt grüßen und – diesmal wegen Speicherung der Sprachdaten in der Cloud - erhält zum dritten Mal Amazon die Datenschutz-Zitrone. Ebenfalls zum dritten Mal – wegen der bei Windows 10 kaum abschaltbaren Telemetriedaten - ist auch Microsoft dabei.
    Die Analyse von Vital-, Bewegungs-, Aggressions- und Fressverhalten ist bewährt in der landwirtschaftlichen Nutzviehhaltung. Weil ein ähnlich arbeitendes Quartiersmanagement- Programm namens Cevisio QMM nun Schutzsuchende überwacht, etwa, um zu verhindern, dass sich jemand bei der Essenausgabe zweimal bedient, gibt es einen Big Brother für die Torgauer Cevisio GmbH. Auch die Fraktionen der hessischen CDU und Bündnis 90/Die Grünen wurden mit einem Big Brother bedacht, und zwar für einen Gesetzentwurf "schwerwiegender grundrechtsverändernder Überwachungsbefugnisse" mittels Staatstrojaner. Das ist zwar kein per se Verstoß gegen den gesetzlichen Datenschutz aber:
    "Die Big-Brother-Awards zeichnen jetzt nicht Datenschutzvergehen im Sinne des Gesetzes aus. Das kann man natürlich auch machen. Aber uns geht es nicht alleine um die Buchstaben des Gesetzes, sondern uns geht es darum, was für die Gesellschaft wichtig ist und – auch wenn irgendwas davon noch kein Gesetz ist, dann wollen wir, das sich da was ändert. Wir wollen, dass Firmen ihre Geschäftsmodelle ändern, auch wenn die bis jetzt noch nicht illegal sind. Wir wollen, dass Persönlichkeitsrechte geschützt werden und dafür muss an vielen Stellen etwas getan werden."