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Bildervergleich via Twitter
Was Beyoncé und Botticelli gemeinsam haben

In ihrem Twitter-Account "Tabloid Art History" bringen drei britische Kunstgeschichtsstudentinnen Kunst und Boulevard zusammen. Sie twittern ungewöhnliche Bildpaare wie Beyoncé und die weinende Madonna oder Donald Trump und ein Papstporträt von Francis Bacon. Ist das mehr als ein guter Gag?

Von Marie Kaiser | 21.09.2017
    Die Sängerin Beyonce bei einem Auftritt während der 59. Verleihung der Grammy music Awards in Los Angeles in Kalifornien
    Sängerin Beyoncé bei einem Auftritt während der 59. Verleihung der Grammy music Awards. Ihre Aufmachung - eine goldene Krone - sorgte für Furore. ( AFP PHOTO / Valerie Macon)
    Die besten Ideen entstehen manchmal aus Langeweile.
    "Am Anfang war das ein kleines, lustiges Hobby. Wenn wir uns in der Kunstgeschichtsvorlesung gelangweilt haben, haben wir uns unter dem Tisch Nachrichten mit Promibildern geschickt, die zu den Gemälden passten, die wir im Unterricht besprochen haben."
    Aus dem heimlichen Hobby der Kunstgeschichtsstudentinnen von der Universität Edinburgh wurde vor knapp einem Jahr der offizielle Account "Tabloid Art History", auf dem sie täglich Bildpaare twittern. Auf der einen Seite: Sängerin Beyoncé – wie ein Heiligenschein umfängt eine goldene Krone ihren Kopf. Auf der anderen: Eine Holzstatue einer weinenden Madonna mit Sternenkranz. Oder ein Familienbild der Kardashians - alle komplett im Jeanslook – daneben ein monochromes Bild in ultramarin von Yves Klein.
    "Das ist das Schöne an unseren Bildvergleichen: Sie bringen uns dazu, über Bilder zu diskutieren und sie aus einer anderen Perspektive zu betrachten – mit einem Augenzwinkern. Wenn wir das Foto eines brüllenden Donald Trump und Francis Bacons Gemälde 'Der Schrei des Papstes' gegenüberstellen, verändert das den Blick auf diese beiden Bilder. Es entsteht ein Dialog, eine Geschichte."
    Aber ist das mehr als ein Spiel mit unserem Bildgedächtnis, mehr als ein guter Gag? Die Kunsthistorikerin Christina Landbrecht von der Berliner Humboldt-Universität will "Tabloid Art History" auf jeden Fall bei Twitter folgen.
    "Ich find es in erster Linie amüsant. Es macht total Spaß, sich das anzugucken. Es gibt diese formalen Ähnlichkeiten, die dann so bestechend sind auf den ersten Blick, dass man denkt: Oh, wie passend! Was für eine wunderbare Zusammenstellung!"
    Mittlerweile hat "Tabloid Art History" auf Twitter über 26.000 Follower – darunter viele Jüngere, die gar keinen Bezug zu Kunstgeschichte haben, sagt Elise Bell.
    "Es ist wichtig, dass die Kunstwelt zugänglicher wird. Mit Tabloid Art History wollen wir am Snobismus rütteln, der dort immer noch herrscht. Kunstgeschichte öffnet ein visuelles Fenster in die Vergangenheit. Und es ist sehr lustig, wenn wir durch dieses Fenster etwas sehen, was wir nicht erwarten – wie einen Nip Slip."
    An den Nip Slip, den Busenblitzer beim Super-Bowl-Auftritt von Janet Jackson und Justin Timberlake, erinnern sich viele. Am Ende des Songs stand die Sängerin mit einer nackten Brust auf der Bühne. Auf "Tabloid Art History" wird diesem Skandalbild ein vermeintlicher "Nipplegate" aus dem 16. Jahrhundert gegenübergestellt. Ein Gemälde des niederländischen Malers Cornelis van Haarlem, auf dem ein Mönch die entblößte Brust einer Nonne berührt.
    "Abgesehen davon, dass sich beide Bilder ähneln, zeigt sich hier etwas, das wir von Kunst aus vergangenen Jahrhunderten nicht erwarten. Dass sie gewagt ist – voller Sex und Komik. Dabei ist dieses Bild aus dem 16. Jahrhundert sehr, sehr lustig und veranschaulicht, dass die Menschen auch damals schon Freude an so etwas Derbem wie einem Busenblitzer hatten – die Maler und Kunstbetrachter von damals waren eben auch nur Menschen!"
    Für Kunsthistorikerin Christina Landbrecht wird hier aber auch etwas ganz anderes deutlich: Das solche oberflächlichen Bildvergleiche schnell zu Missverständnissen führen.
    "Da kann man aber natürlich auch sagen, dass diese Sexualisierung der Brust im 16. Jahrhundert noch überhaupt nicht eingesetzt hat. Es gibt genügend Bilder, auf denen Maria mit entblößter Brust dargestellt wird als Maria Lactans. Und da sind solche Bildvergleiche durchaus irritierend, weil die Leute denken: So hat man im 16. Jahrhundert gemalt? Kann das denn gewesen sein?"
    Aus Sicht der Kunsthistorikerin betreibt "Tabloid Art History" also keine alternative Form der Kunstgeschichte.
    "Das ist letztendlich eher ein künstlerischer Ansatz, der sehr viel spielerischer ist, sehr viel mehr auf Analogien setzt, als dass jetzt ein Kunsthistoriker argumentieren würde. Es geht um eine visuelle Beweiskraft, aber nicht um eine differenzierte Analyse."
    Doch eines gelingt den Macherinnen von "Tabloid Art History" mit ihren Bildvergleichen spielerisch: Wer ihnen auf Twitter folgt, dem werden falsche Ehrfurcht und Berührungsängste vor der Hochkultur garantiert genommen.
    "Es ist wichtig, dass wir über Kunst lachen. Die Kunst sollte ab und zu mal von ihrem hohen Ross runterkommen und sich über sich selbst lustig machen. Kunst ist lustig und das sollten wir alle akzeptieren."