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Bildgeschichten
Comics besser als ihr Ruf?

Während das populäre Erzählen mit Bildgeschichten in Frankreich und den USA als "Neunte Kunst" gefeiert wurde, sprach man hierzulande noch von "Schundliteratur". Nun offenbart uns der Aufbau Verlag die überraschende Tatsache, dass der Erfolg des "Siebten Kreuz" von Anna Seghers maßgeblich einer Bildgeschichte zu verdanken ist.

Von Thomas Linden | 23.05.2015
    Die Schriftstellerin Anna Seghers 1961
    Anna Seghers wurde bereits 1947 mit dem Georg-Büchner-Preis für das "Siebte Kreuz" ausgezeichnet. (dpa / picture alliance)
    William Randolph Hearst, der mit seinem Zeitungsimperium in den 40er Jahren allmorgendlich 20 Millionen Leser erreichte, war ein leidenschaftlicher Comic-Fan. Hearst ließ den Roman "Das Siebte Kreuz" der mittellosen deutschen Emigrantin Anna Seghers, die später vom SED-Regime zur Grande Dame der DDR-Literaturszene ernannt wurde, in Form eines Comic-Strips adaptieren. Der Roman war zuvor im "Book of the Month Club", dem hauseigenen Buchclub des Zeitungsmagnaten, erschienen, und verkaufte sich innerhalb eines halben Jahres über 400.000 Mal.
    Deutschland hatte wenige Wochen zuvor den USA den Krieg erklärt, da passte die Geschichte des KZ-Häftlings Georg Heisler genau in die Stimmungslage. Anna Seghers hatte einen Vorfall aus dem KZ-Sachsenhausen für ihren Text bearbeitet. Sieben Häftlinge fliehen aus einem Lager, dessen SS-Kommandant für jeden eingefangenen Häftling ein Kreuz an die Stämme einer Platanenreihe schlagen lässt. Die siebte Platane bleibt jedoch leer, denn Georg Heisler gelingt die Flucht nach Mainz, da es – wie Anna Seghers zeigen wollte - doch noch anständige Menschen in Deutschland gibt, die ihm helfen.
    Aktionsgeladene Dramatik
    Eine enorm spannende Geschichte, die 1944 in Hollywood von Fred Zinnemann mit Spencer Tracy und Jessica Tandy verfilmt wurde. Auch die Bildgeschichte in den Zeitungen lebt von der aktionsgeladenen Dramatik. Thomas von Steinaecker, Filmemacher und Fachmann für Comics, schrieb das kenntnisreiche Nachwort der in Deutschland erstmals verlegten Ausgabe mit den Originalillustrationen, in denen er mehr als einen bloßen Comic Strip sieht.
    "Tatsächlich hatte ich mir überlegt, ob wir es nicht letztlich ganz klassisch mit einer Vorform der Graphic Novel zu tun haben. Eigentlich werden fast alle Kriterien für das, was wir heute als Graphic Novel verstehen, erfüllt. Man hat ein sehr anspruchsvolles, ernsthaftes Werk, das in Bilder übersetzt wird. Man hat eine epische Länge von fast 100 Seiten, und es stellt den Leser durchaus vor Ansprüche. Es ist tatsächlich eine Vorform dessen, was seit den 70er Jahren als Graphic Novel bezeichnet wird."
    Bemerkenswerterweise engagierte man mit Leon Fleischer für die Bebilderung des Romans einen Zeichner, der ebenfalls aus Deutschland geflohen war. Fleischer hatte schon während der 20er Jahre in Berlin als Karikaturist die Nazis mit Spott überzogen. Ihm war 1933 klar, dass er Deutschland verlassen musste. In den USA nannte er sich dann in Anspielung an seine spitze Zeichenfeder William Sharp. Jeweils vier Bilder standen ihm pro Zeitungsausgabe zur Verfügung, wenig Raum, den Sharp jedoch entschlossen zu nutzen verstand. Heislers Flucht wird entweder aus einer Perspektive von unten oder von oben dargestellt.
    Kraftvolle Dynamik des Expressionismus
    Nie ist man mit ihm auf Augenhöhe. Durch die extreme Perspektive wirken Menschen und Gegenstände so vergrößert, dass sofort die Angst spürbar wird, die den Flüchtenden auf Schritt und Tritt begleitet. In jeder Begegnung sind Bedrohung und Misstrauen präsent, egal, ob Heisler auf Kinder, Frauen oder ehemalige Freunde stößt. Die kraftvolle Dynamik des Expressionismus überträgt sich hier mühelos in unsere Gegenwart. Sharp gibt den Bildern zusätzliche Dramatik, indem er die Hände seiner Protagonisten stets ein wenig größer zeichnet als es die Proportionen erfordern. Enttäuschend wirkt alleine Heislers knorriges Gesicht, dessen eigenartige Starre nicht in einem emphatischen Mienenspiel aufgelöst werden kann.
    Ein kleiner Geniestreich gelingt William Sharp hingegen, indem er seine emotionsgeladenen Bilder mit dem gekürzten Originaltext in einen Dialog treten lässt. Denn aus dem über 400 Seiten starken Roman schnitt Sharp Textpassagen, die unterhalb der Bilder Heislers Fluchtgeschichte erzählen. Ein faszinierendes Stilmittel, das auch Thomas von Steinaecker schätzt.
    "Er stellt einen auch als Leser vor eine gewisse Herausforderung, weil man mit dieser Form von Text-Bildkombination überhaupt nicht vertraut ist. Ich traue mir zu, Comics zu lesen oder klassisch illustrierte Texte. Aber so eine Mischform, bei der man die Bilder als Folge lesen muss, aber gleichzeitig immer auf den Text zurückbezogen ist, ist tatsächlich ein komplexes Lektüreerlebnis."
    Was dabei herauskommt, ist eigentlich etwas ziemlich Anspruchsvolles.
    Sowohl für die Bilder wie für den Text bleibt Raum, in dem sich die Leser eine Vorstellung von der klaustrophobischen Atmosphäre im Deutschland der 30er Jahre machen können. Dem Aufbau Verlag ist mit dem Abdruck der Originalillustrationen eine außerordentliche Publikation gelungen, die auf luftig gestalteten Doppelseiten ideale Möglichkeiten bietet, der Geschichte zu folgen, während Thomas von Steinaeckers gediegen recherchiertes Nachwort einen informativen Rahmen für das Projekt von Seghers und Sharp bietet.
    Anna Seghers / William Sharp: Das Siebte Kreuz - Mit den Originalillustrationen von 1942 Nachwort: Thomas von Steinaecker. Aufbau Verlag, 92 Seiten, gebunden, 18 Euro