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"Bis heute sind Fehler da, die ich nicht akzeptieren kann"

20 Jahre deutsche Einheit - nicht jedem ist dabei zum Feiern zumute. Lothar Bisky - langjähriger PDS- und Linke-Chef, heute Linken-Fraktionsvorsitzender im Europaparlament - kritisiert die Fehler der Vereinigung, sagt aber: "Die Einheit selber ist viel wert."

Lothar Bisky im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Lothar Bisky: Also die deutsche Einheit begrüße ich, das ist nicht die Frage. Ich kritisiere nur, was dann häufig verwechselt wird, wie sie zustande gekommen ist. Also ich kritisiere die Fehler der Vereinigung. Die Einheit selber ist viel wert, allerdings bin ich jetzt unterwegs nach Barcelona und dann in Brüssel. Ich habe in Brüssel Termine.

    Zagatta: Sonst würden Sie an einer dieser Feiern teilnehmen?

    Bisky: Das ist möglich, ja. Also nicht eine Tagesreise oder so, aber ich habe nichts gegen solche Feiern, und da nehmen ja auch viele aus meiner Partei teil.

    Zagatta: Haben Sie da Ihre Meinung eigentlich geändert, denn in der Wendezeit haben Sie sich doch noch für den Fortbestand der DDR ausgesprochen?

    Bisky: Ja, das ist aber eine Differenz. Ich muss darauf aufmerksam machen, dass Hans Modrow - ich glaube - im Februar 1990 aus Moskau zurückkam mit der Losung: Deutschland einig Vaterland, Deutschland einig Vaterland. Das ging auch von der DDR aus, und Modrow ist ja bekanntlich ein Parteifreund von mir, und die deutsche Einheit war nicht eine Idee alleine aus dem Westen oder alleine aus der Bevölkerung. Natürlich war in der DDR dann dem Letzten schon klar, so kann es nicht weitergehen, man braucht eine Veränderung. Und wie diese Veränderung erfolgen sollte, das war lange Zeit umstritten. Da gab es keine Lehrbücher, da gab es verschiedene Vorstellungen auch bei der Bürgerbewegung, die in den Fragen, wie es denn alles erfolgen soll, auch nicht einig war. Und ja, manche Parteien haben sich da auch relativ rasch auf völlig neue Orientierungen eingestellt. Ich war für eine Konföderation, die dann – das hätte ja auch rasch sein können, das hätte ja nicht bedeuten müssen Jahrzehnte –, aber die dann etwas langsamer die Voraussetzungen für eine wirkliche Vereinigung schafft. Und ich war auch dafür, dass die Deutschen sich eine Verfassung geben. Das ist ja aber etwas, was man durchaus auch aus dem Grundgesetz hervorlesen könnte.

    Zagatta: Das war ja auch eine schwierige Situation damals, es musste schnell gehandelt werden. Wie sehen Sie das jetzt, 20 Jahre später und im Rückblick, hat das alles in allem doch ganz gut funktioniert?

    Bisky: Also ich bin den Menschen gegenüber dankbar – das will ich auch ausdrücklich sagen –, die von den Waffen nicht Gebrauch gemacht haben. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit in so schwierigen, aufgeregten Zeiten, wo alle aufgewühlt waren, auch die Gefühle waren ja sehr in Bewegung geraten. Also da ziehe ich den Hut, dass da keiner, aber nicht einer von der Waffe Gebrauch gemacht hat und noch Gewalt angebracht hat. Deshalb war es eine friedliche Revolution. Das ging in Ordnung, und im Verlaufe dieser ganzen Entwicklung sind Fehler gemacht worden, und bis heute sind Fehler da, die ich nicht akzeptieren kann. Also kennen Sie in der Armee der deutschen Einheit in der Bundeswehr einen General, der aus dem Osten käme? Ich nicht.

    Zagatta: Aber eine Bundeskanzlerin.

    Bisky: Ja natürlich, eine Bundeskanzlerin, aber ich gehe jetzt mal nach den Berufsgruppen. Die ist eine Ausnahme, das ist schon richtig, das sehe ich auch so. Es gibt ja ganze Berufsgruppen, wo gar keiner übernommen wurde. Oder meinen Sie nicht, es hätte nicht einen Diplomaten der DDR gegeben, einen Botschafter, der vielleicht eingesetzt hätte werden können? Ich sage das nur, damit deutlich wird, was ich kritisiere. Dieses Prinzip der Treuhand war falsch, dadurch sind einige Betriebe kaputt gegangen, im Großen und Ganzen ist aber alles friedlich verlaufen, viele haben gewonnen, ich freue mich riesig, schon sehr bald auch, zur Wende und nach der Wende, dass meine Studenten und meine Söhne natürlich Reisemöglichkeiten hatten, gute Ausbildungsmöglichkeiten und nicht eingegrenzt waren auf ein kleines Fleckchen Erde. Das muss man ganz eindeutig so sagen. Ich sehe manche Dinge heute auch etwas anders. Es kann ja passieren, dass man im Leben dazulernt.

    Zagatta: Was sehen Sie anders, wo haben Sie sich geirrt?

    Bisky: Ich hätte ... das sehe ich jetzt auch aus der Sicht aus Brüssel so: In Deutschland hat auf nationaler Ebene eine rechtsextreme Partei bis heute keine Chancen gehabt wie in anderen Ländern, die ja auch ohne Zweifel demokratisch sind. Aber bei uns haben weder die Republikaner noch die NPD oder DVU oder so eine Chance auf nationaler Ebene. Und das habe ich früher anders gesehen, ich hatte gedacht, es entsteht eine solche Gefahr. Aber das habe ich eben falsch gesehen. Man kann sich auch mit Freuden zu einem Irrtum bekennen.

    Zagatta: Da wollte ich anknüpfen. Als Fraktionschef der Linken im EU-Parlament wissen Sie ja jetzt erst recht, welche Vorbehalte es auch damals gab in Frankreich oder Großbritannien gegen ein wiedervereinigtes Deutschland. Müssen Sie da Herrn Kohl, dem damaligen Bundeskanzler, nicht heute sogar noch dankbar sein, wie er sich da auch durch- und eingesetzt hat?

    Bisky: Also für die deutsche Einheit kann man dankbar sein, ob ich gerade Herrn Kohl Dankbarkeitsgefühle entgegenbringen sollte, wage ich zu bezweifeln. Er nimmt das sicher auch nicht gerne zur Kenntnis.

    Zagatta: Warum?

    Bisky: Na ja, wir waren ja so ein bisschen ausgegrenzt, doch, das habe ich ja nicht vergessen. Es war ja direkt eine grimmige ideologische Ausgrenzung, und ich habe jahrelang diese Ausgrenzung erfahren. Dann sind alle immer gekommen und haben gesagt, wir meinen Sie nicht persönlich und so weiter, aber natürlich meint man das auch persönlich. Ich denke, dass das völlig unnötig war, man hätte offener damit umgehen können. Übrigens habe ich niemals versucht, die Fehler der DDR oder auch Verbrechen, die begangen wurden, irgendwie schönzureden, aber eine differenziertere Sicht auf die DDR, die habe ich mir erhalten. Und ich halte es nicht für gut, wenn diese Schwarz-Weiß-Malerei nun endgültig festgeschrieben wird. Die DDR hatte ernst zu nehmende Fehler, vor allem die Sicherheitsdoktrin, sie hat Menschen eingesperrt und so weiter und so fort, das ist alles nicht zu akzeptieren und zu rechtfertigen. Aber es gab auch Seiten in der Bildung, also Chancengleichheit in der Bildung, es gab Seiten, die etwa, was Kinder anbelangt, Möglichkeiten ihrer Entwicklung, die durchaus hätten akzeptiert werden können.

    Zagatta: Unbestritten, aber Herr Bisky, wenn man da die andere Seite der DDR sieht und jetzt Lothar de Maizière hört, der letzte und schon frei gewählte Ministerpräsident der DDR, der dann sagt, also die DDR, das war ja kein reiner Unrechtsstaat, kann man dann die Vorbehalte und diesen Ärger von Herrn Kohl und anderen da nicht nachvollziehen?

    Bisky: Nein, den kann ich nicht nachvollziehen, zumal ich de Maizière schätze. Er ist in einer anderen Partei, das ist ja klar, als ich ...

    Zagatta: Würden Sie denn diese Meinung oder diesen Satz mit unterschreiben, die DDR war kein reiner Unrechtsstaat?

    Bisky: Ja, weil es gab ja Rechte in der DDR, und die DDR war auf einem Wege sogar, das auszubauen. Natürlich gab es Unrecht, darum geht es überhaupt nicht.

    Zagatta: Ja, gravierendes Unrecht, also Andersdenkende wurden hinter Gitter gebracht ...

    Bisky: Es gab gravierendes Unrecht ... ja, aber das können wir, ganz ruhig kann ich das so sagen: Diese These DDR Unrechtsstaat, DDR Stasistaat, DDR so – in diesen drei, vier Grundabstempelungen wird man der Geschichte nicht gerecht. Da hat de Maizière recht, insofern kann ich nicht alles teilen, was de Maizière sagt, aber manches schon.

    Zagatta: Als Bilanz jetzt unseres Gesprächs und als Bilanz dieser 20 Jahre, auf die wir zurückblicken wollten: Deutschland hat eine gute Entwicklung genommen insgesamt?

    Bisky: Ja, das sehe ich so, das sehe ich so – natürlich ist man nie zufrieden, wer könnte das sein, aber dass es die deutsche Einheit gibt, ist gut, und da lasse ich mich auch nicht davon abbringen. Dass man sich die Politik besser wünschen kann, anders vorstellen kann, ist auch in Ordnung. Und es gibt einen großen Vorteil, den ich manchmal auch meinen Genossen sage: Man kann die Meinung sagen, man kann die Regierung kritisieren, und man wird dafür nicht verhaftet, das ist schon viel.

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    Schwerpunkt: 20 Jahre Deutsche Einheit