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Bodenoffensive im Gazastreifen
Das Ziel ist nicht mehr die "Vernichtung der Hamas"

Die in der Nacht begonnene israelische Bodenoffensive im Gazastreifen hat bereits über 20 Todesopfer gefordert. Es gehe dabei nicht um die Wiedereroberung des Gazastreifens, sagte der frühere israelische Botschafter Avi Primor im DLF. Ziel sei eine Schwächung der Hamas, jedoch nicht deren Vernichtung.

Avi Primor im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.07.2014
    Avi Primor
    Avi Primor, Präsident der israelischen Gesellschaft für Auswärtige Politik (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Ziel seien die Grenzgebiete, "wo die Hamas-Leute Tunnel gebaut haben, die bis in die israelischen Dörfer kommen", so Primor. "Irgendwie müssen wir eine Lösung für den Raketenbeschuss finden", so Primor, denn es seien bereits mehr als 1.500 Raketen auf Israel abgefeuert worden. Nach Worten des früheren israelischen Botschafters in Berlin hat die Regierung von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu "lange gewartet", ehe sie militärische Mittel ergriff.
    Die Botschaft Netanjahus an die Hamas habe zunächst gelautet: "Ruhe wird mit Ruhe beantwortet." Doch nachdem die Hamas einen Waffenstillstand abgelehnt habe, habe man reagieren müssen.
    Inzwischen werde aber nicht mehr von einer Vernichtung der radikal-islamischen Organisation gesprochen, sondern von einer "Schwächung, damit sie keine Raketen mehr abschießen kann". Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung seien nicht zu vermeiden, weil sich die Hamas-Kämpfer bewusst unter diese mischten. Um aber keine größeren Verluste unter den Zivilisten hervorzurufen, beschränke sich Israel bei der Bodenoffensive auf die Grenzgebiete und vermeide es, die Städte zu erobern.

    Christoph Heinemann: Die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen hat in der Nacht bereits über 20 Todesopfer gefordert. Etwa 20 Palästinenser wurden nach Angaben der Rettungsbehörden in Gaza getötet. Erstmals seit Beginn der Offensive in den Palästinensergebieten vor elf Tagen kam auch ein israelischer Soldat ums Leben. Die Armee teilte mit, er sei bei Kämpfen im Norden des Gazastreifens getötet worden.
    Am Telefon ist jetzt Avi Primor, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland. Guten Morgen.
    Avi Primor: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    "Es geht nicht um die Wiedereroberung des Gazasteifens"
    Heinemann: Herr Primor, welches ist das strategische Ziel dieser Offensive?
    Primor: Es geht nicht um die Wiedereroberung des Gazastreifens. Das auf jeden Fall nicht. Es geht nur um Grenzgebiete, wo die Hamas-Leute Tunnels gebaut haben, die bis in die israelischen Dörfer kommen. Das hat man letztens entdeckt. Es gab mehrere Versuche, in die Dörfer einzudringen, Leute zu töten und sie zu entführen. Diese Tunnels wollen wir jetzt zunichte machen. Und es geht um Raketenbeschuss. Wir sehen, dass wir aus der Luft diesen Raketenbeschuss nicht stoppen können. Also wollen wir versuchen, es mit Bodentruppen zu machen. Auf jeden Fall: Irgendwie müssen wir eine Lösung finden zu diesem ununterbrochenen Raketenbeschuss. Bis heute wurden schon 1500 Raketen auf Israel geschossen. Da die Hamas keinen Waffenstillstand akzeptieren will, den die Ägypter und andere Vermittler ausgearbeitet haben, haben wir keine Alternative mehr.
    Heinemann: Unsere Korrespondentin in Tel Aviv, Bettina Marx, hat uns im Verlaufe dieser Sendung gesagt, dass genau das, was Sie gerade ausgeschlossen haben, nämlich eine dauerhafte Besetzung des Gazastreifens, von der politischen Rechten in Israel gerade gefordert wird.
    Primor: Ja, ja. Das sind die Populisten. Das sind zum Teil die Fanatiker. Das sind hauptsächlich Politiker, die nichts bestimmen müssen in diesem Zusammenhang, und deshalb können sie sich erlauben, laut zu sprechen und populistisch zu sprechen, damit sie dann im rechtsextremistischen Lager auch Stimmen gewinnen können. Aber diejenigen, die regieren und die die Verantwortung haben, und das sind keine Gemäßigten und das sind keine Linken, die verstehen, was für ein Risiko wir da eingehen würden, und deshalb halten sie sich zurück. Diejenigen, die schreien, die haben keine Verantwortung.
    "Ruhe wird mir Ruhe beantwortet"
    Heinemann: Hat Premierminister Netanjahu Sie überrascht, dadurch, dass er jetzt so schnell diese Operation angeordnet hat?
    Primor: Gar nicht schnell, überhaupt nicht schnell. Zehn Tage lang hat er gewartet. Er hat überhaupt gewartet, von Anfang an. Als der Raketenbeschuss begonnen hat, hat er überhaupt nicht reagiert. Seine Antwort war, seine Botschaft an die Hamas lautete, Ruhe wird mit Ruhe beantwortet. Das heißt, wenn Sie aufhören zu schießen, werden wir auch nicht schießen. Das hat nicht geholfen, dann hat er letzten Endes die Luftwaffe eingesetzt, aber suchte sofort einen Waffenstillstand mithilfe der Amerikaner, der Deutschen, Außenminister Steinmeier war ja hier, und mit Hilfe der Ägypter vor allem. Es gab ein Angebot von Waffenstillstand, wir haben ihn sofort akzeptiert, die Hamas hat ihn abgelehnt und hat weiter geschossen. Also was bleibt denn übrig?
    "Die Hamas soll geschwächt werden"
    Heinemann: Wie weit soll die Hamas geschwächt werden?
    Primor: Die Hamas soll geschwächt werden. Das ist immer ein Ziel. Aber man spricht heute nicht mehr, wie man noch vor kurzer Zeit gesprochen hat, von der Vernichtung der Hamas-Bewegung. Das sagen nur noch die Rechtsextremisten, die wie gesagt sowieso keine Entscheidung treffen dürfen und keine Verantwortung haben. Die Regierung spricht nicht mehr von der Beseitigung der Hamas, sondern nur, die Hamas zu schwächen, damit sie nicht Raketen schießen kann.
    Heinemann: Herr Primor, in Israel hat dokumentiert die Menschenrechtsorganisation Breaking the Silence schwere Menschenrechtsverletzungen israelischer Soldaten in Gaza bei früheren Einsätzen. Israel ist eine Demokratie, Israel ist ein Rechtsstaat, im Gegensatz zu dem Hamas-Regime. Haben solche Veröffentlichungen Folgen für zum Beispiel diesen Einsatz jetzt?
    Primor: Aber ganz sicher. Zum Beispiel ein Grund, weshalb wir Städte nicht erobern wollen, ist ausgerechnet deshalb, weil wir wissen, dass die Hamas-Kämpfer sich innerhalb der Zivilbevölkerung verschanzen. Wenn wir die Hamas-Kämpfer treffen wollen, dann können wir nicht die Zivilbevölkerung vermeiden. Das ist technisch nicht machbar und deshalb hat man sich entschieden, man will keine Stadt erobern, nur die Grenzgebiete, wo sich die Tunnels und Raketenbeschuss befindet. Das ist ganz genau das Ergebnis von diesen Protesten, von denen Sie sprechen.
    Heinemann: Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Primor: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.