Freitag, 26. April 2024

Archiv

Bonner Beethovenfest "Ferne Geliebte"
"Das Abschaffen der Ferne ist ja nicht uninteressant"

Das Bonner Beethovenfest 2017 ist das dritte von Nike Wagner gestaltete Klassikfestival in Ludwig van Beethovens Geburtsstadt. Diesmal steckte unter dem Titel "Ferne Geliebte" ein zeitgeistiges Motto den Rahmen ab: die Bedeutung von Ferne und Nähe im globalen Dorf.

Von Henning Hübert | 30.09.2017
    Deutsche Publizistin und Dramaturgin Nike Wagner
    "Alles wird enger", sagt die Leiterin des Beethovenfests Nike Wagner über eine globalisierte Welt. Da sei es geografisch, philosophisch und soziologisch ergiebig, Liederzyklen wie "An die ferne Geliebte" neu zu hören. (Deutschlandradio / Oranus Mahmoodi)
    Eine ferne Geliebte besingen, heute? Es ist uns doch alles so nah, dank Skype und dank der vielen Flugzeuge. Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner vermutet aber, dass uns mehr Abstand voneinander ganz gut tun könnte. Sie wählte für ihr Klassik-Festival Künstler und Werke aus, die da balancieren – etwa zwischen der Sehnsucht nach Ferne auch in Beziehungen und dem Rausch der Nähe:
    "Das Zusammenrücken der Welt. Es wird alles enger. Die Nationen, Kulturen, unsere geografischen Entfernungen, die früher unüberwindlich schienen, sind es heute nicht mehr. Die ganze Digitaltechnik. Jeder kann in des anderen Wohnzimmer reinschauen, wenn er die richtige Kamera hat. Also, die Welt rückt wahnsinnig zusammen und man hat das Gefühl von irrsinniger Fülle. Also, das Abschaffen der Ferne jetzt auch geografisch, philosophisch, soziologisch, ist ja nicht uninteressant."
    Eindruck hinterlassen besonders Künstler aus der Nähe
    Natürlich gaben sich in Beethovens Geburtsstadt wieder internationale Stars, Orchester, Tänzer die Klinke in die Hand. Große Sinfonik findet sich nach wie vor - zwischen Liederabenden, sehr viel Kammermusik, Festvortrag und Diskussionsrunden. Zur Eröffnung im Bonner World Conference Center kommt das Orchester des Sankt Petersburger Mariinski-Theaters unter dem Dirigenten Valery Gergiev. Fast wäre sein Konzert ausgefallen. Die Musiker konnten nicht pünktlich landen. Der Köln-Bonner Flughafen war gesperrt, Entschärfung einer Weltkriegsbombe, ausgerechnet.
    Einen bleibenden musikalischen Eindruck hinterlassen die Petersburger nicht. Das gelang umso mehr den Künstlern aus der nahen Umgebung. Bonns neuer Generalmusikdirektor Dirk Kaftan trat gleich drei Mal auf. Er gab mit dem städtischen Beethoven Orchester Bonn nicht nur Offenbach und Dallapiccola, sondern auch jede Menge Beethoven.
    Auch Beethovens Neunte bekommt eine Chance
    Das Konzert mit der 7. Sinfonie wird zu einem Höhepunkt des Festivals. Kühne harmonische Ausdeutungen, aber mal kein neuer Temporekord. Zum ersten Mal unter der Intendanz von Nike Wagner bekam auch Beethovens 9. Sinfonie wieder eine Chance. Eigentlich steht das Monumental-Werk bei ihr auf dem Index, wegen seines für sie nur schwer erträglichen Pathos. In Bonn war Herbert von Karajan mit der 9. zu erleben. Vom Band, versteht sich, beim Open-Air auf der Innenstadt-Bühne.
    Nike Wagner setzt bei ihrem Klassikfestival zunehmend auf die Kunstproduzenten aus Bonn. Zwei der sieben Tanzabende gehören der lokalen Truppe CocoonDance. Ebenso wird der Verein des Bonner Schumannhauses integriert: Im kleinen Saal der Musikbibliothek in Endenich spielt erstmals im Hauptprogramm der Bonner Pianist Fabian Müller einen Soloabend.
    "Dieses ganz Tiefinnerliche" bei Beethoven
    In der C-Dur-Fantasie zitiert Robert Schumann wie so oft Beethovens Liederzyklus "An die ferne Geliebte". Ein schöner, früher Liebesgruß eines Reisenden an seine Clara, die ihm später hier in Endenich in der Endphase seiner Krankheit beistehen wird. Gerade erst hat Fabian Müller beim ARD-Musikwettbewerb den zweiten Platz gewonnen. Mit seiner Interpretation des 3. Klavierkonzertes. Natürlich von Beethoven.
    "Beethoven hat dieses Riesengroße", sagt Müller. "Aber er hat eben auch dieses ganz Kleine. Seine Musik trägt eigentlich immer, häufig, dieses ganz Tiefinnerliche. Und er ist in der Lage, das sowohl in kleiner als auch in großer Besetzung für die ganze Menschheit auszurufen. Und eine Vision, eine Utopie einzufordern. Deswegen wirkt Beethoven schon im kleinsten Stück, wenn es gut läuft, so eindrucksvoll wie in der größten Sinfonie, finde ich."
    Feinsinniges Alternativprogramm zum Ritt durch alle Neune
    Auch kleine Stücke haben große Wirkung. Eine ferne Geliebte besingen, heute - das war in Bonn ein wohltuend feinsinniges Alternativprogramm - zum hier ebenfalls schon erprobten Konzept, alle Neune rauf und runter zu spielen.