Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv

Buchrezension "Ich war Salafist"
Mit Pluderhosen und Turban durch Mönchengladbach

Mindestens 7.000 Salafisten gibt es in Deutschland. Vor allem Jugendliche verfallen dieser extremistischen Ideologie - und Dominic Musa Schmitz war einer von ihnen: Mit 17 konvertierte er zum Islam, war auch die rechte Hand von Salafistenführer Sven Lau. In seinem Buch beschreibt er seine Zeit in dieser islamistischen Parallelwelt - und wie er sich letztendlich davon lossagte.

Von Manfred Götzke | 04.04.2016
    Mit einem Plakaten auf dem Rücken versuchen Teilnehmer der von Salafisten organisierten Koran-Verteilaktion "Lies" auf der Zeil in Frankfurt am Main die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Salafistendemo 2014: In seinem Buch beschreibt Dominic Musa Schmitz, wie ihn die extremistische Ideologie vereinnahmte. (dpa / Boris Roessler)
    Alles fängt mit Rachid an. Nach einem Jahr ist er plötzlich wieder da. Dominics alter Freund aus dem Dorf war nach Marokko gegangen. Als kleinkrimineller Kiffer und Schulversager. Zurück kommt er als gläubiger Muslim, der sein Leben im Griff zu haben scheint. Dominic Schmitz, damals 17, hat Respekt. Obwohl er selbst mit Religion nichts am Hut hat, diskutieren die alten Freunde tagelang:
    "Anfangs ging es nur um Gott, die Natur, das Leben. Später begann Rachid, um mich zu werben. Wenn du konvertierst, dann werden dir alle Sünden vergeben, gab er zu bedenken. Beim ersten Mal habe ich innerlich gelacht. Wie - konvertieren. Was laberst du denn?"
    Beschäftigung mit dem radikalen Islam
    Doch Schmitz beginnt, sich ernsthaft mit dem Islam zu beschäftigen. Ihm erscheint der Glaube wie ein Ausweg aus seiner eigenen Perspektivlosigkeit. Er geht damals kaum noch in die Schule. Drogen, Alkohol, Partys bestimmten seinen Alltag – bis er durch seinen Freund den Koran entdeckt. Sein Weg in den Islamismus ist geradezu beispielhaft für viele, die sich radikalisiert haben. Typisch auch für die Dschihadisten, die aus Dinslaken, Bonn und Berlin nach Syrien gezogen sind.
    "Ich habe mein Leben komplett verändert. Ich hatte auch einen extremen Wissensdurst, vorher habe ich in den Tag hinein gelebt, wusste nicht so recht, wohin mit mir. Und dieses Thema hat mich sehr interessiert und meine Neugier geweckt. Und ich habe dann gelesen ohne Ende. Und mich nur der Religion gewidmet. Ich habe zwischen zuhause und der Moschee gelebt, ich bin von zuhause zu den fünf Gebeten zur Moschee gefahren und zwischen den Gebeten habe ich gelesen und Vorträge gehört und mit Brüdern über den Glauben gesprochen."
    In der Moschee sind einerseits ältere arabische Männer, die einen gemäßigten Islam predigen, doch kaum Deutsch sprechen. Und andere Konvertiten, Jugendliche wie er. Darunter auch Sven Lau, damals noch ein Unbekannter. Sein Aufstieg zum radikalen Salafistenführer sollte erst Jahre später beginnen. Lau und seine Mitstreiter sind es, die Dominic ihr Islamverständnis weitergeben. Er lernt den Islam als Salafismus kennen. Im August 2005 konvertiert er. In den Wochen zuvor hatten seine neuen Freunde ihn immer wieder bearbeitet: Wenn er jetzt als Ungläubiger sterbe, komme er für ewig in die Hölle. Das verfing.
    Mit Pluderhosen und Turban durch Mönchengladbach
    Plastisch, oft kurzweilig, unterhaltsam erzählt Schmitz von der schleichenden Gehirnwäsche, wie er sie nennt. Wie aus einem etwas naiven Jungen aus dem Rheinland Musa Almani wird, Musa der Deutsche, ein Salafist, der sein kritisches Denken ausschaltet. Und alles in Gut und Böse einteilt. Frauen, die sich nicht bedecken, sind ehrlos. Menschen, die nicht beten, schmutzig. Rauchen, Musik, Partys, Schweinefleisch haram, unheilig.
    "Dir wird immer geholfen, egal was ist, finanziell, Umzug, egal, was ist. Die Brüder sind immer da. Und natürlich auch eine Struktur im Alltag - das sind alles Faktoren, die eine Rolle spielen. Man braucht quasi nicht mehr selbst zu denken. Man hat einen vorgefertigten Alltag. Man weiß, was gut und schlecht ist."
    Schmitz beginnt, in Pluderhosen und Turban durch Mönchengladbach zu laufen, die Ablehnung der anderen erfüllt ihn gleichzeitig mit Ärger und Stolz.
    Salafisten wie er wollen die Sitten und Bräuche des 7. Jahrhunderts leben. Die Scharia ist für sie alles, das Grundgesetz lehnen sie ab. Von deutschlandweit 7.000 Salafisten gehen die Sicherheitsbehörden aus, keine extremistische Szene wächst derzeit schneller. Schmitz' Heimatort Mönchengladbach ist einer der Hotspots. Hier beginnen Extremisten wie Pierre Vogel, Sven Lau, Mohamed Cifti ihre Karriere als Hassprediger. Drei seiner Brüder kämpfen in Syrien.
    In der Moschee hält keiner die jungen Konvertiten ab von ihrem Weg in die Radikalität, bemängelt Schmitz. Im Gegenteil, weil sie den Imam für seine liberale Auslegung des Korans kritisieren, werden sie rausgeworfen. Sie gründen eine eigene Moschee – in einer ehemaligen Autowerkstatt. Unter Fundamentalisten macht das schnell die Runde. 2006 kommt auch Pierre Vogel, schon damals Shootingstar der Szene, trifft sich mit dem jungen Konvertiten: Junge Deutsche sind wichtig für Vogels Missionsarbeit. Kurzerhand dreht er ein Video, es ist bis heute im Netz.
    "Ich sitze hier mit dem Musa, Deutscher, sieht man ja. Der ist 18 Jahre alt, Alhambdulla Allah hat ihn vor einem Jahr auf den wahren Weg geführt."
    2008 ein eigener Youtube-Kanal
    2008 startet Schmitz seinen eigenen Youtube-Kanal, stellt parallel die Propaganda seiner Lehrmeister Lau und Vogel ins Netz. Schmitz erzählt von seinen Pilgerfahrten nach Mekka, von seiner muslimischen Heirat binnen einer Woche. Und von der immer stärkeren Radikalisierung seiner Glaubensbrüder, wie Pierre Vogel.
    "Wir weichen keinen Millimeter zurück, wir machen weiter, bis der Kopf fliegt, hieß es. Diese Sätze waren neu, radikaler. Die Mentalität unserer Anführer veränderte sich, die Videos strotzten nur so von klug verklausulierten Attacken auf das deutsche Staatswesen und dessen Bürger."
    Fünf Jahre nach seiner Konversion beginnt er, zu zweifeln. Die zunehmend radikale Rhetorik beginnt Schmitz anzuwidern.
    "Ich fühlte mich wie ausgekotzt. Langsam begann ich zu begreifen, wie sehr ich mich an diese Steinzeit-Muslime verkauft hatte. Wie sehr sie mich mit ihrer Ideologie, die alles Menschliche ablehnte, vergiftet hatten."
    Schmitz beginnt vor allem das Frauenbild der Salafisten zu hinterfragen, er spricht seine Zweifel nun offen an, doch plausible, befriedigende Antworten erhält er von den Salafisten nie. Gleichwohl dauert der Abnabelungsprozess. Immer wieder kehrt er zu seinen Brüdern zurück.
    Er beschreibt Schlüsselerlebnisse, die seinen Ausstieg beeinflussten. Schmitz, der damals wie die meisten seiner Brüder, die den Staat ablehnen, gleichzeitig vom Staat, von Hartz IV lebt, muss zu einem Bewerbungstraining. Ein Lehrer ermuntert ihn, als deutscher Muslim, Brücken zu schlagen, Vorurteile abzubauen. Das beeindruckt den jungen Mann. Doch ausschlaggebend für den Ausstieg war ein alter Bekannter.
    "Da gab es eine Situation, in der ein alter Schulkamerad zu mir gesagt hat, Dominic, du bist ein guter Freund, und dieser Satz hat mich erst mal gefreut. Und dann kam gleich der Gedanke: Ich darf gar nicht mit dir befreundet sein, weil du ein Kaffir, Ungläubiger, bist. Dann habe ich gedacht, er ist immer für mich da, wenn ich ihn brauche, er redet nie schlecht über mich, im Herzen ist es eine Freundschaft, wem mache ich eigentlich was vor? Irgendwann habe ich gedacht, es bringt nichts, wenn ich hier und da was verändere, sondern die ganze Ideologie ist das Problem."
    Dem Salafismus hat Schmitz abgeschworen, dem Islam nicht. Heute nutzt er seinen Youtube-Kanal, um vor seinen ehemaligen Brüdern zu warnen. "Ich war ein Salafist" ist ein empfehlenswertes Buch für jeden, der verstehen will, warum gerade junge Menschen der salafistischen Ideologie anheimfallen. Und es ist ein spannender Insiderbericht über die salafistische Szene. Schmitz kannte die meisten führenden Hassprediger, die im Netz, in den einschlägigen Moscheen noch immer den Ton angeben, persönlich.
    Das Engagement des heute 28-Jährigen ist bewundernswert, denn es ist auch nicht ungefährlich: Seit er offen gegen den Salafismus Stellung bezieht, wird er von Islamisten bedroht. Sie lauern ihm vor seiner Wohnung auf – beleidigen ihn im Netz.
    "Du Heuchler, du Hund, Irgendwann schneiden sie dir den Kopf ab und legen ihn dir auf den Rücken."
    Buchinfos:
    Dominic Musa Schmitz: "Ich war ein Salafist. Meine Zeit in der islamistischen Parallelwelt", Econ Verlag, 251 Seiten, Preis: 18 Euro