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Bundeshaushalt
Die schwarze Null ist nicht alles

Drei Jahre ohne Neuverschuldung: Darauf ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stolz. Er habe die Schulden geschickt im Haushalt versteckt, sagen Kritiker, und mahnen Investitionsstau an. So wird Geld zum Beispiel für marode Kitas zwar bereitgestellt - kann aber häufig gar nicht fließen.

Von Theo Geers | 26.07.2017
    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) spricht am 25.03.2017 bei der Landesvertreterversammlung der CDU Baden-Württemberg in der Stadthalle in Sindelfingen (Baden-Württemberg) zu Parteimitgliedern.
    "Ich kann wirklich sagen: Unser Haus ist am Ende dieser Legislaturperiode gut bestellt", sagt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Kritiker geben ihm weniger gute Noten. (picture alliance / dpa / Christoph Schmidt)
    Null - Null - Null. Drei Jahre hintereinander, 2014, 15 und 16. Und wahrscheinlich kommt 2017 eine vierte Null dazu. Vier Jahre ohne neue Schulden, vier Jahre schwarze Null. Das ist das Markenzeichen des Wolfgang Schäuble.
    "Wir haben zwar auch günstige Umstände gehabt", räumt der Bundesfinanzminister dabei durchaus ein - ein niedriges Zinsniveau etwa, weil die Europäische Zentralbank immer noch die Märkte mit billigem Geld flutet; billiges Geld, das wiederum zu einem niedrigen Eurokurs führt; ein niedriger Eurokurs, der wiederum eine auch so schon robust laufende Konjunktur weiter befeuert; ein Konjunktur, die wiederum für immer neue Rekorde bei Beschäftigung und damit auch Steuereinnahmen sorgt.
    "Es war auch noch nie so einfach wie derzeit," urteilt denn auch lakonisch Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, wenn er auf den ausgeglichenen Haushalt angesprochen wird. Aber: Diese günstigen Umstände für gesunde Staatsfinanzen hatten andere Eurostaaten wie Frankreich oder Österreich eben auch - und die stehen nicht so gut da. Folglich - und diesen Hinweis kann sich Wolfgang Schäuble nicht verkneifen - muss es auch etwas mit ihm und seiner Haushaltspolitik zu tun haben.
    "Wir haben vor der Wahl versprochen: keine Neuverschuldung. Und ich bin ganz zufrieden, dass es gelungen ist, das Versprechen zu halten. Das ist nicht immer in der Politik üblich. Ich kann wirklich sagen: Unser Haus ist am Ende dieser Legislaturperiode gut bestellt."
    Stillstand bei Subventionsabbau, Investitionen, Steuerpolitik
    Gut: Das hieße eine glatte Zwei - wenn es dafür Noten gäbe. "Das ist eine klassische Drei", urteilt dagegen Carsten Schneider. Und der Haushaltsexperte der SPD sagt auch, warum sein Zeugnis über die letzten vier Jahre von Wolfgang Schäuble als Bundesfinanzminister nicht so gut ausfällt.
    "Ich hätte mir gewünscht noch mehr Engagement, mehr Subventionsabbau und die einmalige Chance, die niedrigen Zinsen zu nutzen für mehr Investitionen. Das ist alles in großen Teilen gescheitert, weil Herr Schäuble sich gegen die CSU nicht hat durchsetzen können. Und Frau Merkel war es dann egal."
    Zweiter Kritikpunkt Schneiders: In der Steuerpolitik ist Schäuble tatenlos geblieben.
    "Wir haben im Steuerbereich die letzten acht Jahre Stillstand gehabt unter der CDU-Führung von Herrn Schäuble. Keine Subventionen wurden abgebaut, Entlastungen hat es für die Hoteliers gegeben, aber nicht für die normale Bevölkerung, und von daher wird es Zeit, dass die ruhenden Hände da sich verändern und wir Steuerpolitik in Deutschland wieder aktiv machen."
    Zum Stillstand in Sachen Steuerpolitik hat allerdings auch die SPD beigetragen. Sie hatte im letzten Bundestagswahlkampf Steuererhöhungen plakatiert, die die Union ablehnte. Und weil es hier keine Annäherung der Positionen gab, schrieben Union und SPD gemeinsam in den Koalitionsvertrag, dass bis 2017 in Sachen Steuern nur das Nötigste getan würde: die unvermeidliche Anhebung der Grundfreibeträge, weil das Existenzminimum hierzulande nun mal steuerfrei bleiben muss, und die Reform der Erbschaftssteuer - dies aber auch nur, weil ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen war. Dabei blieb es dann auch.
    Bundeskanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Schäuble, beide CDU
    Schäuble gilt 2013 als stärkste Besetzung der Union im Kabinett Merkel - als derjenige, der die Finanzen im Griff und die Zahlen im Kopf hat. (dpa / Michael Kappeler)
    Rückblick: 15. Dezember 2013. Das Kabinett Merkel III steht. Und es ist keine wirkliche Überraschung, dass das wichtige Finanzressort wieder an Wolfgang Schäuble geht.
    "Ich sage ausdrücklich, dass für unsere Partei von größter Bedeutung war, und ich glaube auch für viele Wählerinnen und Wähler, dass die Frage solider Finanzen und der Einsatz für einen stabilen Euro in den bewährten Händen von Wolfgang Schäuble bleibt."
    Erklärt der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. 2009 - auf dem Höhepunkt der Finanzkrise - war Schäuble Finanzminister geworden, hatte danach die gigantische Neuverschuldung Jahr für Jahr nach unten gedrückt. Und nun - im Dezember 2013 - ist er wieder Finanzminister. 2014 will er noch einmal - ein letztes Mal - 6 ½ Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen, ab 2015 ist dann Schluss mit dem Schuldenmachen. Das hat Schäuble in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt.
    "Es wird mit der Union neue Schulden und höhere Steuern nicht geben."
    Schäuble gilt als stärkste Besetzung der Union im Kabinett, als derjenige, der die Finanzen im Griff und die Zahlen im Kopf hat, bei der Höhe der geplanten Investitionen sogar bis auf die zweite Stelle hinterm Komma.
    "Es sind 23,06 Milliarden für die Jahre 2014, 2015, 2016, 2017 einschließlich, nicht mehr, sondern exakt diese Zahl."
    23 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen, verteilt auf vier Jahre - das ist nicht viel für eine Regierung, die eigentlich etwas gestalten will. Aber Schäuble weiß genau, was sich das Kabinett Merkel III an zusätzlichen Investitionen leisten kann, ohne das große Ziel - den ausgeglichenen Haushalt - zu gefährden. Die Botschaft ist eindeutig: Solide Finanzen gehen vor, Wünsch-Dir-Was ist nicht. Nur wenn mehr Geld in die Kasse kommen sollte, kann man noch einmal reden, vorher nicht.
    Schwarze Null - Sensation oder nur Show?
    Tatsächlich dauert es nur ein Jahr, dann ist die Sensation perfekt. Im Januar 2015 steht fest: Der Bund ist schon 2014 - und damit ein Jahr früher als geplant - ohne neue Schulden ausgekommen. Das erste Mal seit 1969, also seit 45 Jahren. Damals hieß der Finanzminister noch Franz-Josef Strauß, nun hat Wolfgang Schäuble das Kunststück wieder vollbracht, aber für ihn ist die schwarze Null ab jetzt vor allem zweierlei: Messlatte und Selbstverpflichtung. Er will die schwarze Null auch in den kommenden Jahren erreichen.
    "Das wird uns einen Rahmen setzen, dass wir so wie versprochen in kommenden Jahren bei einer normalen konjunkturellen Entwicklung ohne neue Schulden auskommen wollen und auskommen werden."
    Für andere ist Schäubles schwarze Null dagegen eine Showveranstaltung. In Wahrheit würden die Schulden nur versteckt. Deutschland lebe von der Substanz anstatt eben diese durch ausreichend hohe Investitionen zu erhalten, kritisiert schon damals der Haushaltsexperte der Grünen, Sven-Christian Kindler.
    "Man investiert viel zu wenig in die Zukunft, deswegen ist es leider kein Grund zum Jubeln, sondern ein Grund zur Kritik, weil die Schulden sehr trickreich versteckt werden im Haushalt."
    Rucksäcke hängen an einer Garderoba in einer sanierungsbedürftigen Grundschule in Berlin (13.02.2009).
    Viele Schulen und Kindergärten in Deutschland sind sanierungsbedürftig. (imago / Rolf Zöllner)
    Diese Kritik wird Schäuble über die ganze Wahlperiode verfolgen. Was nützt die schwarze Null im Bund, wenn eine Autobahnbrücke von LKW gar nicht mehr und von PKW nur noch mit Tempo 60 überfahren werden kann. Oder wenn in Schulen und Kindergärten der Putz von den Wänden bröselt und es durchs Dach regnet. Solche Zustände beklagt beispielsweise Roland Schäfer, Bürgermeister in Bergkamen und bis Juni Präsident des Städte- und Gemeindebundes.
    "Wir haben einen Investitionsstau in der öffentlichen Infrastruktur - also Schulen, Kindergärten, aber auch Straßen, öffentliche Plätze in kommunalem Besitz von 136 Milliarden Euro. Das schieben wir vor uns her, Infrastruktur wird auf Verschleiß gefahren, einfach weil das Geld nicht da ist."
    Geld für marode Kitas kann oft nicht genutzt werden
    Wolfgang Schäuble findet so etwas fast schon ehrverletzend. Er rechnet vor, dass nicht nur beim Bund, sondern auch in den Ländern und Kommunen die Steuereinnahmen sprudeln. Vor allem aber hat der Bund unter seiner - Schäubles - Ägide nicht nur als Ausgleich für die Flüchtlingskosten allein in den letzten vier Jahren Milliarden an die Länder und Kommunen gegeben oder Kosten von den Ländern und Kommunen übernommen: die Kosten der Unterkunft für anerkannte Asylbewerber, die Kosten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, dazu bis 2018 sechs Milliarden Euro als Integrationspauschale. Dazu Geld für marode Kitas und Schulen: 3 ½ Milliarden Euro packt er 2015 in einen Fonds für finanzschwachen Kommunen, Ende 2016 wird dieser Fonds auf sieben Milliarden Euro verdoppelt. Das Problem: Das Geld für die maroden Kitas und Schulen fließt einfach nicht ab, auch weil vielen Kommunen die Mittel fehlen, um ihren Ko-Finanzierungsanteil aufzubringen. Schäuble bleibt auf den Milliarden sitzen, rechnet sein Sprecher Jürg Weißgerber am Beispiel des Fonds für die Kitasanierung vor.
    "Der hat ein Volumen von 3,5 Milliarden Euro, davon sind - Stand 31.12.2016 - 146 Millionen Euro abgeflossen. Ein weiteres Beispiel: Der Energie- und Klimafonds weist ein Volumen von 3,4 Milliarden aus, davon sind 1,6 Milliarden im letzten Jahr abgerufen worden."
    Diese Liste ließe sich problemlos verlängern. Die Botschaft ist klar: Es bringt nichts, noch mehr Geld für noch höhere Investitionen plakativ ins Schaufenster zu stellen. Denn es fehlt hierzulande nicht an Geld, sondern an Planungskapazitäten. Auch deshalb bleiben die Milliarden für Schulen und Kitas liegen. Die erhöhen wiederum Schäubles Haushaltsüberschuss. Es erinnert an einen Teufelskreis, nur dass hier die Spirale immer weiter aufwärts führt. Schäubles Bilanz wird immer besser: 2015 erzielt der Bund einen Überschuss von über 12 Milliarden Euro. Das Geld packt Schäuble in eine Rücklage, um später Flüchtlingskosten abzudecken.
    Zweifel an der Nachhaltigkeit der Schwarzen Null
    Doch goldgerändert ist seine Bilanz nur auf den ersten Blick. So sieht es Michael Hüther. Der Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft zweifelt, ob Schäubles schwarze Null wirklich nachhaltig ist. Mehrausausgaben sind absehbar - für die Bundeswehr, für die Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika, für mehr innere Sicherheit, dazu sollen die Steuern gesenkt werden. Und was ist, wenn es wegen der Dieselaffäre zu einer Krise in der Autoindustrie kommen sollte, was, wenn die Zinsen wieder steigen sollten? Das - so Hüther - sind beileibe nicht die einzigen Haushaltsrisiken.
    "Eine nachhaltige Finanzpolitik ist eine, die auch bei einer konjunkturell anderen Entwicklung nicht sofort aus dem Rahmen fällt und wieder massive Defizite generiert. Das ist bislang noch nicht unter Beweis gestellt."
    Länderfinanzausgleich: Einigung auf Kosten des Bundes
    So erhält das Bild von Wolfgang Schäuble als starkem Mann im Kabinett auch einige Risse. Der Finanzminister hat nicht nur Erfolge, er muss auch Niederlagen einstecken.
    Beispiel Länderfinanzausgleich - die wichtigste und vom Volumen her umfangreichste Reform dieser Wahlperiode. Fast vier Jahre brauchen die 16 Länder, um sich erst einmal untereinander auf eine gemeinsame Position zu verständigen: Bayern, Hessen und Baden-Württemberg wollen weniger zahlen, die anderen Länder aber nicht weniger erhalten, Stadtstaaten pochen auf höheren Zuweisungen als Flächenländer, Bremen und Saarland wollen auch in Zukunft vor der Pleite bewahrt werden, ostdeutsche Länder ihren Aufholprozess nicht gefährden - im Dezember 2015 war all das unter einen Hut gebracht.
    Der Lösungsvorschlag der Länder hatte nur einen Schönheitsfehler: Er funktionierte nur, wenn der Bund, also Schäuble, 9,7 Milliarden Euro mehr in den Länderfinanzausgleich zahlen würde als bisher.
    "Die Länder haben Einigung erreicht - das ist gut. Sie haben die Einigung auf Kosten des Bundes erreicht - das ist schlecht."
    Diagnostizierte damals Ralph Brinkhaus, der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion. Sieben Milliarden Euro - so viel wollte Wolfgang Schäuble ursprünglich den Ländern zubilligen. Als die nicht voran kamen bei der Kompromisssuche, erhöhte er sein Angebot auf 8 ½ Milliarden. Doch die Länder blieben bei 9,7 Milliarden - und drohten mit einem Scheitern der Reform.
    "Wenn die Summe vom Bund nicht kommt, ist das was wir heute hier gemacht haben obsolet. Es lässt sich mit einer kleineren Summe nicht darstellen, dann stehen wir wieder am Punkt Null."
    So die klare Ansage von Rainer Haseloff, Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Ein weiteres Jahr zog ins Land. Erst als die Zeit für die Verabschiedung des Reformpakets knapp zu werden drohte, gab Schäuble im vergangenen Dezember nach - die Länder bekommen ab 2020 ihre 9,7 Milliarden Euro - und das mit jährlich steigender Tendenz.
    Stau auf der A81 in Baden-Württemberg
    Auch mit dem Vorstoß, Autobahnen zu privatisieren, ist Schäuble gescheitert. (Imago)
    Der Finanzminister hatte beim Geldpoker verloren und wurde im gleichen Atemzug auch bei der geplanten Autobahngesellschaft ausgebremst. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätten künftig auch private Investoren in Deutschland leichter Autobahnen bauen oder sich an ihnen beteiligen können, doch damit biss er bei den Ländern und auch beim Koalitionspartner SPD auf Granit. Thomas Oppermann, Fraktionschef der SPD:
    "Die Autobahnen bleiben im Eigentum des Staates, sie gehören den Bürgern, sie haben sie mit ihren Steuern schon mal bezahlt. Und deshalb lehne ich jede Privatisierung ab, weil wir nicht wollen, dass sie darüber die Autobahnen ein zweites Mal bezahlen müssen."
    Griechenlandkrise macht Schäuble Probleme
    Risse hat das Bild Schäubles auch bei der Bewältigung der Griechenlandkrise erhalten. Anfang 2015 spitzt sich die Lage wieder zu. Die Auszahlung der nächsten Finanztranche steht an, aber das Geld fließt nur gegen Reformen. So ist es vereinbart. Nur: In Athen regiert inzwischen die Linksregierung von Alexis Tsipras und Finanzminister Varoufakis - und die zögert Reformzusagen, die die vorherige Regierung gegeben hat, hinaus. Es beginnt mit atmosphärischen Störungen. Anfang Februar macht Yanis Varoufakis seinen Antrittsbesuch bei Schäuble in Berlin.
    "Ich darf Sie sehr herzlich begrüßen zu unserer heutigen Pressebegegnung."
    Die gemeinsame Pressekonferenz beginnt wie Pressekonferenzen immer beginnen, aber schnell wird klar: Schäuble und Varoufakis liegen in ihren Ansichten meilenweit auseinander.
    "We agree to disagree.”
    Wir waren uns einig dass wir uns nicht einig sind - so formuliert es Wolfgang Schäuble, aber nicht einmal das will Yanis Varoufakis so stehen lassen. "Nein", sagt der Grieche:
    "We didn’t even agree to disagree from where I’m standing."
    "Wir waren uns noch nicht einmal einig, dass wir uns uneing sind von meinem Standpunkt aus."
    Zwei Männer, die sich nichts zu sagen haben - wenige Tage später, im Februar 2015, wird Schäuble langsam unruhig:
    "Niemand verweigert in Europa Griechenland die Hilfe. Wir wollen Griechenland auch nicht aus dem Euro herausdrängen, aber die Verantwortlichen müssen das Ihre dazu beitragen, damit Hilfe einen Sinn macht."
    Wieder einige Tage später, nach einem Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel, ist Schäuble dann mit seiner Geduld am Ende:
    "Am 28. um 24 Uhr isch over!"
    Gemeint ist der 28. Februar 2015. Die Drohung wirkt, Athen lenkt ein, aber nur vier Monate später, im Juni, wieder das gleiche Problem: Athen braucht Geld, liefert aus Sicht der Geldgeber in der Eurogruppe aber nicht bei den zugesagten Reformen. Wieder steht es Spitz auf Knopf. Schäuble bringt den Grexit ins Spiel, Griechenland soll aus dem Euro austreten, zumindest auf Zeit.
    "Ich will nur ganz liebenswürdig sagen: Ich habe keinen Vorschlag gemacht, der nicht innerhalb der Bundesregierung in der Sache und in der Formulierung abgesprochen war."
    Doch trotz der Absprache: Für die Kanzlerin ist der Grexit nicht erste Wahl, Angela Merkel will die Eurozone fast schon um jeden Preis zusammen halten:
    "Scheitert der Euro dann scheitert Europa - und das darf nicht passieren."
    Schäuble und Lagarde reden miteinander auf einem Pressekonferenz-Pult hinter blauem Hintergrund. Schäuble blickt auf ein Dokument.
    Christine Lagarde sagt 2015 eine Beteiligung des IWF am neuen Hilfsprogramm zu - unter der Bedingung der Schuldenerleichterungen für Griechenland.  (AFP PHOTO/NICHOLAS KAMM)
    Heißt übersetzt: Schäuble und andere Finanzminister der Eurostaaten sollen zusehen, wie sie Griechenland in der Eurozone halten. Am Ende zäher Verhandlungen ist klar: Griechenland behält den Euro. Und es gibt ein drittes Hilfsprogramm über noch einmal 86 Milliarden Euro, der deutsche Anteil daran: 23 Milliarden. Es wird schwer, das durch den Bundestag zu bringen, denn in der Unionsfraktion rumort es seit langem. Für immer mehr Abgeordnete ist Griechenland nur noch ein Fass ohne Boden. Um die Ja-Stimmen zusammenzukratzen, erteilen Schäuble und Merkel Schuldenerleichterungen, die die griechische Regierung immer wieder fordert, eine Absage. Und zweitens versprechen sie den Abgeordneten, dass der IWF mit seinen strengen Vergabegrundsätzen bei den Hilfsprogrammen immer dabei ist. Das aber passt nicht mehr zusammen, als der IWF für seine Beteiligung am neuen Hilfsprogramm ausgerechnet Schuldenerleichterungen zur Bedingung macht.
    "Wenn der IWF nicht dabei ist, dann gibt es ein richtiges Problem."
    Warnt Unionsfraktionschef Volker Kauder im Sommer 2015 und damit wird deutlich: Schäuble sitzt beim Thema Griechenland und IWF-Beteiligung in der Klemme. Die Kanzlerin muss ihm zur Seite springen, um die widerspenstigen Abgeordneten von CDU und CSU auf Linie zu bringen. Einen Schuldenschnitt wird es nicht geben, aber über alles andere könne gesprochen werden, um IWF-Chefin Christine Lagardes Forderung nach Entlastung für Griechenland zu erfüllen.
    "Frau Lagarde, die Chefin des IWF, hat sehr deutlich gemacht: Wenn diese Bedingungen eintreten, dann wird sie dem Aufsichtsgremium des IWF vorschlagen, dass der IWF dann im Oktober in ein Programm eintritt. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass das, was die Frau Lagarde jetzt gesagt hat, dann auch Realität wird."
    Mit dieser vagen Zusage bringen Merkel und Schäuble das dritte Griechenlandpaket durch den Bundestag und retten sich über die Zeit. Denn auf die von Schäuble und Merkel versprochene IWF-Beteiligung wartet man bis heute. Erst vor wenigen Tagen fasst der IWF eine Art Vorratsbeschluss. An dem 86-Milliarden-Euro-Programm wird er sich mit 1,6 Milliarden Euro beteiligen, allerdings nur, wenn die europäischen Griechenland-Gläubiger Schuldenerleichterungen gewähren. Damit ist der IWF bei der Griechenlandhilfe im Stand-by-Modus, mehr aber nicht. Am Nimbus von Wolfgang Schäuble kratzt das nicht, vor der Wahl hat niemand - auch nicht in der Union - ein Interesse daran, dass das Thema Griechenland wieder hochkocht.
    Und nach der Wahl? Wolfgang Schäuble kandidiert wieder für den nächsten Bundestag, dem er seit 1972 ununterbrochen angehört. Ob er auch noch einmal das Amt des Bundesfinanzministers anstrebt, lässt der inzwischen 74-Jährige wohlweislich offen. Ein möglicher Nachfolger ist da in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz freimütiger:
    "Das klingt jetzt wie ein Bewerbungsgespräch fürs Innenministerium, Herr Kubicki, was Sie hier gerade machen."
    "Nein, wenn ich mich bewerbe, bewerbe ich mich fürs Finanzministerium."
    "Sie wollen Finanzminister werden?"
    "Unbedingt!"