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Bundespräsidentenwahl
"Ein Turbo-Rhetoriker ist Steinmeier nicht"

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte sieht auf den aller Voraussicht nach neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier große Herausforderungen zukommen. Steinmeier werde sich nicht nur rhetorisch umstellen müssen, sagte Korte im DLF: "Das Innenpolitische wird ihn stärker und schneller einholen, als ihm dies vielleicht bewusst ist."

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. (dpa/picture alliance/Karlheinz Schindler)
    Sollte es bei der Bundestagswahl zu instabilen Mehrheiten kommen, spiele Steinmeier eine ganz besondere Rolle. Er habe dann große Spielräume, betont Korte – und verwies auf das unabhängige Vorschlagsrecht für das Amt des Bundeskanzlers. Es gebe keine zeitliche Befristung, die alte Bundesregierung bleibe so lange im Amt, bis eine neue gewählt werde: "Insofern kann er diese Reservemacht in Zeiten instabiler Mehrheiten ausspielen." Am Ende könne Steinmeier Schirmherr einer komplett neuen Koalition werden. Dies sei zwar spekulativ, doch wenn man sich die sechs Parteien, die wohl künftig im Bundestag vertreten sein werden, vor Augen halte, gebe es durchaus Spielräume.
    Steinmeier müsse auch lernen, nicht mehr Entscheider zu sein, sondern Repräsentant. Er werde keine Pressekonferenzen mehr geben, sondern über Reden versuchen müssen, Themen zu setzen. Steinmeier sei zwar kein "Turborhetoriker", aber auch dies gehöre zum Lernvorgang: "Er muss ja ein Stück weit auch seelsorgerisch unterwegs sein aus diesem Amt heraus, das verlangt wirklich eine neue Sprache."
    International könne die Wahl Steinmeiers als Zeichen gesehen werden, dass Deutschland auf Kontinuität aus der Mitte setze, für Demokratie und Freiheit der Werte einstehe und unaufgeregt mit Populismus umgehe, so Korte: "Es ist so ein Anti-Trump, der jetzt hier gewählt wird. Eine stückweit Restnormalität im freien Westen."

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Die SPD ist regelrecht euphorisiert, nicht zuletzt natürlich durch die Nominierung von Martin Schulz, aber auch weil an diesem Wochenende ein Bundespräsident gewählt wird. Und, ohne den Ereignissen wirklich vorzugreifen, kann man wohl davon ausgehen, dass Frank-Walter Steinmeier, der Sozialdemokrat, gewählt werden wird.
    Was ist das für ein Signal, was kann, was muss der Bundespräsident in diesen Tagen und Wochen leisten? Über all das wollen wir reden, und dafür begrüße ich Karl-Rudolf Korte am Telefon, den Politikwissenschaftler. Zunächst einmal guten Morgen, Herr Korte!
    Karl-Rudolf Korte: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Korte, welche Herausforderungen stehen denn eigentlich vor uns, innenpolitisch, außenpolitisch. Beginnen wir vielleicht innenpolitisch. Was sehen Sie als wichtige Aufgaben für einen Bundespräsidenten in diesen Zeiten?
    Korte: Die beiden großen Themen sind Identität und Sicherheit. Wer gehört zu uns, wer gehört nicht zu uns, also Fragen einer Einwanderungsgesellschaft, die emotional auch die Mehrzahl der Bürger sehr beschäftigen, und das umfassende Thema von innerer Sicherheit, alles beides wird auch die kommenden Mobilisierungsmonate für die kommenden Wahlen sehr stark beeinflussen. Und das ist auch eine Erwartungserhaltung, mit der der kommende Bundespräsident konfrontiert wird.
    "Ein Anti-Trump, der jetzt hier gewählt wird"
    Zurheide: Außenpolitisch, ich glaube, die Stichworte muss man gar nicht nennen, sie liegen auf der Hand. Das transatlantische Verhältnis in diesen unsicheren Zeiten. Ist das das Wesentliche oder sicherlich auch Europa mit den Herausforderungen, die da liegen. Was sehen Sie da ganz oben?
    Korte: Ja, es ist so ein Anti-Trump, der jetzt hier gewählt wird, so ein Stück weit Restnormalität im freien Westen, so könnte man das sagen, wenn andere Wahlen im Ausland auch verglichen werden. Es ist ja nicht nur so, dass es wie in Österreich gut ausgeht im Sinne der Mitte-Demokratie, sondern andere, in Holland und Frankreich, wählen noch, wir nicht wissen, wie es ausgeht. Das ist insofern ein Zeichen international, dass wir auf Kontinuität aus der Mitte heraus, der Demokratie, und auch für die Freiheit der Werte uns einsetzen. Dass wir unaufgeregt offenbar auch mit Populismus, den es in diesem Land natürlich gibt, der sich auch manifestiert in bestimmten Parteien, umgehen können. Das ist, glaube ich, das Zeichen, und keiner ist so international erfahren wie Steinmeier, keiner ist wahrscheinlich auch so wenig neugierig, weil er alles schon kennt.
    Aber der Bundespräsident ist erst mal auch ein internationaler Akteur im Ausland, insofern bringt er ja auch die 10.000 Menschen, für die er im Auswärtigen Amt schon zuständig war, jetzt eigentlich mit in dieses Amt auch ein.
    "Ich sehe ihn durchaus lernend"
    Zurheide: Da ist aber genau die Frage, wird es eher eine außenpolitische Orientierung oder eben doch die innenpolitische geben, über die wir zu Beginn gesprochen haben? Glauben Sie, dass er das fortsetzt, nur in einem anderen Amt, was er bisher schon gemacht hat, sozusagen der Oberdiplomat zu bleiben, oder muss er sich nicht auch mehr um diese innenpolitischen Verwerfungen kümmern? Den einen oder anderen Hinweis hat er, glaube ich, in den letzten Wochen gegeben, dass er das sein könnte. Richtig beobachtet?
    Korte: Ja. Ich sehe ihn durchaus lernend, so wie er freudig in dieses Amt geht, muss er sich ja nicht nur umstellen, dass er nicht mehr der Entscheider ist, sondern er ist der Repräsentant. Da er die Kernmannschaft mitnimmt, wird das für alle ein absolut neuer Lernprozess sein. Nicht Pressekonferenzen zu geben, sondern über Reden zu versuchen, Themen zu setzen. Und insofern glaube ich auch, dass das Innenpolitische ihn stärker und schneller einholt, als es ihm vielleicht bewusst ist.
    Vor dem Hintergrund der kommenden Bundestagswahl kann es ja so sein, dass es sehr instabile Mehrheiten gibt. Keine Voraussetzung, dass eine klare, klassische Koalition mehrheitsfähig ist, wenn wir mal davon ausgehen, dass Große Koalitionen nicht geschlossen werden sollten, weil die der Diskussionskultur in diesem Land nicht gutgetan haben. Und dann spielt er eine ganz besondere Rolle.
    Zurheide: Er hat ja da eine besondere Rolle auch, die die Verfassung gibt. Der Kollege Stefan Detjen, mit dem wir vor einer knappen halben Stunde gesprochen haben, hat da noch mal drauf hingewiesen. Welche Spielräume hat er da?
    Korte: Er hat große Spielräume, denn das Grundgesetz schreibt ja in Artikel 63 vor, dass er den Kanzler, den zu wählenden Kanzler dem Bundestag vorschlägt. Auf dieses besondere, unabhängige Vorschlagsrecht hat auch der erste Bundespräsident Lübke hingewiesen. Herzog hat auch sehr stark überlegt, wen er vorschlägt, weil er nicht wollte, dass ein Kanzler ins Amt kommt, der damals mit PDS-Stimmen der Linken ins Amt käme.
    Es gibt keine zeitliche Befristung, die alte Bundesregierung bleibt so lange im Amt, bis eine neue gewählt ist vom Bundestag. Insofern kann er diese Reservemacht in Zeiten instabiler Mehrheiten ausspielen. Er kann darauf setzen, dass die Parteien lange sondieren, und er kann am Ende auch Schirmherr einer komplett neuen Koalition werden, die wir vielleicht noch gar nicht farblich richtig sehen oder keine Flaggenfarbe dafür finden, wenn er einen komplett unverbrauchten Kandidaten ins Spiel bringt und er praktisch der Schirmherr dieses neuen Kandidaten und der Koalition wäre. Das ist sehr spekulativ, aber wenn wir die sechs Parteien vor Augen haben, sind eben Multikoalitionsfähigkeiten gegeben abseits der AfD, und da sind Spielräume für einen Bundespräsidenten. Und da sich Steinmeier sehr gut parteipolitisch auskennt, bin ich sicher, dass er souverän entscheiden wird, weil er wird nur einen vorschlagen, der auch am Ende die Mehrheit bekommt. Sonst kann natürlich auch eine Minderheitsregierung kommen, die er auch zu akzeptieren hätte. Und es würde auch an ihm liegen, ob er dann den Bundestag auflöst oder mit der Minderheitsregierung weiterarbeitet.
    "Steinmeier muss ja ein Stück weit auch seelsorgerisch unterwegs sein"
    Zurheide: Jetzt sind wir dann bei der spannenden Frage, Steinmeier, so wie wir ihn bisher alle kennen, ist eher der Diplomat. Und manch einer hat in diesen Tagen geschrieben, das diplomatisch kann er schon, das wissen wir, das ist die gelernte Rolle. Kann er auch Klartext, der ja möglicherweise notwendig ist und der zumindest in Teilen auch vom aktuellen oder Noch-Bundespräsidenten Gauck geredet worden ist?
    Korte: Ein Turbo-Rhetoriker ist er nicht.
    Zurheide: Das ist freundlich formuliert.
    Korte: Er ist auch kein ranghöchster Essayist bislang. Aber wir kennen ihn auch auf Marktplätzen, und wir kennen ihn auf Bundesparteitagen, wenn er gern auch mal schreit und insofern auch Chefideologe sein kann.
    Er kann auch anders sprechen. Ich denke, auch das gehört zu einem Lernvorgang dazu, dass er – er muss ja anti-etabliert vor allen Dingen auch wirken in einer Zeit, in der der Anti-Etablierte so einen großen Lauf hat. Und das ist aus seiner bisherigen Rolle heraus schwer. Aber Gauck hatte immer etwas Anti-Etabliertes, und deshalb hat er sich auch so ausgedrückt, dass man ihn gut verstehen konnte. Er muss ja ein Stück weit auch seelsorgerisch unterwegs sein aus diesem Amt heraus, das verlangt wirklich eine neue Sprache. Und Sprachgewinn ist letztlich auch Machtgewinn. Und die Macht, die ein Bundespräsident hat, ist erst mal eine kommunikative.
    Zurheide: Das war Karl-Rudolf Korte mit den Aussichten und Erwartungen an den künftigen Bundespräsident. Herr Korte, ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.