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Trittin (Grüne) über Klimaschutz
"Seit über einem Jahrzehnt ist die Regierung Merkel untätig"

Der Grünen-Abgeordnete Jürgen Trittin hat das Klimapaket der Bundesregierung kritisiert. Die angestrebten Maßnahmen würden nicht ausreichen, "um den Temperaturanstieg um 1,5 Grad zu begrenzen", sagte er im Dlf. Unter der Regierung Merkel seien die CO2-Emissionen zudem gestiegen.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Jürgen Trittin von Bündnis 90 DIE GRÜNEN bei einem Vortrag in Neuwied
Jürgen Trittin kritisierte die Umweltpolitik der Bundesregierung (picture alliance / dpa / imageBROKER / Thomas Frey)
Tobias Armbrüster: Bei den Grünen gibt es zurzeit zwar viel Euphorie wegen der guten Umfragewerte und wegen guter Wahlergebnisse. Aber bei den Grünen gibt es auch viele, die sagen, die Partei ist personell nicht besonders gut aufgestellt. Die Wahl zum Fraktionsvorsitz im Bundestag wird deshalb heute mit Spannung erwartet. Cem Özdemir drängt zurück. Er will zurück in die erste Reihe. Er will Fraktionschef werden. – Am Telefon ist jetzt Jürgen Trittin, einer der dienstältesten Abgeordneten bei den Grünen. Von 2009 bis 2013 war er selbst Fraktionsvorsitzender. Einen schönen guten Morgen, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
"Verstehe die Wut Verzweiflung der jungen Menschen"
Armbrüster: Herr Trittin, bevor wir auf die Wahl zum Fraktionsvorsitz zu sprechen kommen – ich mache es mal ein bisschen spannend -, schieben wir ein bisschen zurück, müssen wir reden über diesen Auftritt gestern von Greta Thunberg in New York. War das etwas dick aufgetragen?
Trittin: Nein, es entspricht leider den Tatsachen. Wir haben es zu tun auf der einen Seite mit Ländern wie den USA, möglicherweise auch Brasilien – das ist dort noch nicht entschieden -, die das einfach ignorieren, was wir an Klimakrise tatsächlich heute schon erleben und welch schreckliche Folgen das heute schon hat. Wir haben immer gedacht, das wäre etwas von morgen. Und zum zweiten haben wir dann Staaten, die sich formal zu Klimaschutz-Zielen bekennen, wie etwa Deutschland, die aber, wenn man die Maßnahmen, die sie auf den Weg bringen, abklopft, nicht einmal das einhalten, was sie selber versprochen haben, und das, was sie versprochen haben, ist nicht genug, um den Temperaturanstieg um 1,5 Grad entsprechend zu begrenzen. Insofern verstehe ich die Wut und auch die Verzweiflung, die gerade junge Menschen in dieser Situation umtreibt.
Armbrüster: Und als Greta Thunberg gestern in New York gesagt hat, wie können Sie es wagen, how dare you, haben Sie sich da angesprochen gefühlt?
Trittin: Natürlich muss man sich da angesprochen fühlen. Nun ist das immer ein bisschen unterschiedlich, ob Sie in der Opposition sitzen und eigentlich seit über zehn Jahren darauf drängen, dass die Untätigkeit der Regierung Merkel – und seit über einem Jahrzehnt ist die Regierung Merkel untätig beim Klimaschutz – endlich aufhört. Wir sind konfrontiert damit, dass anders als zu den Zeiten von Helmut Kohl, anders als zu den Zeiten von Bundeskanzler Schröder unter der Regentschaft von Frau Merkel die CO2-Emissionen eben nicht gesunken sind. Dort wo etwas erreicht worden ist, im Stromsektor beispielsweise durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, durch den Emissionshandel, sind diese Einsparungen allesamt aufgefressen worden durch steigende Emissionen im Verkehr, und genau hieran traut sich die Bundesregierung bis heute nicht mit den Maßnahmen zu gehen, die nötig wären.
"Ich nehme uns aus dieser Mahnung von Greta Thunberg nicht raus"
Armbrüster: Man muss dazu sicher festhalten, dass Ihre Partei auch längere Zeit in der Bundesregierung mitverantwortlich war.
Trittin: Das war richtig und genau in der Zeit sind die Treibhausgas-Emissionen deutlich gesunken. Wir haben extreme Maßnahmen ergriffen, übrigens in der Regel im Widerspruch zur CDU. Wenn Sie sehen, dass das von uns auf den Weg gebrachte Erneuerbare-Energien-Gesetz heute mehr CO2 einspart, als alle PKW in dieser Republik emittieren, wenn Sie sehen, dass wir gegen wütenden Widerstand der Industrie den Emissionshandel eingeführt haben, der jetzt dazu führt, dass beispielsweise Kohlekraftwerke aus dem Netz gehen, so haben wir einiges auf den Weg gebracht. Aber noch mal: Es reicht nicht und deswegen nehme ich auch uns aus dieser Mahnung von Greta Thunberg nicht raus.
Armbrüster: Herr Trittin, dann lassen Sie uns sprechen über unser eigentlich verabredetes Thema heute: die Wahl zum Fraktionsvorsitz bei den Grünen heute im Bundestag. Wir haben da die beiden bisherigen Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter. Die werden jetzt herausgefordert von Cem Özdemir und der Parteikollegin Kirsten Kappert-Gonther. Wen wählen Sie heute?
Trittin: Wir haben uns gesagt, wir haben es damit zu tun, was in einer Demokratie normal ist, nämlich dass für Positionen es auch Wettbewerb gibt, und dieser Wettbewerb wird heute Nachmittag entschieden. Der ist in einem sehr freundlichen Werben in der Fraktion vollzogen worden und wir werden in der Fraktion entscheiden, und dazu passt es auch nicht, dass man öffentliche Erklärungen dazu abgibt.
Armbrüster: Können Sie uns denn sagen: Was zeichnet Cem Özdemir aus?
Trittin: Wir haben mit allen vier Kandidaten Menschen, die ihre Dinge dort einbringen, damit sie für dieses Amt sich qualifizieren, und die Bewertung wird heute Nachmittag in einer Fraktionssitzung erfolgen und dann werden wir ein Ergebnis haben. Das halte ich für einen normalen Vorgang.
Armbrüster: Das heißt, Sie wollen jetzt zu dieser Stunde um 8:16 Uhr überhaupt keine Präferenz deutlich machen?
Trittin: Wir haben alle gut daran getan, dass wir die Bewerberinnen und Bewerber ihre Bewerbung haben vortragen lassen, aber dass Grüne bisher in dieser Frage gesagt haben, wir regeln das intern, und so wird das auch bleiben.
Armbrüster: Wie verfolgen Sie denn das, was die bisherigen beiden Amtsinhaber Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt in ihrer Amtszeit bisher erreicht haben?
Trittin: Sehen Sie, ich habe ja, wenn man so will, auf beiden Seiten gearbeitet. Ich war von 1994 bis 1998 Parteivorsitzender. Ich war stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Ich war Fraktionsvorsitzender. Ich habe in der Zeit eines gelernt: Der Grünen-Partei geht es dann gut, wenn die Führungsmitglieder miteinander zusammenarbeiten. So haben wir 1998 den Einzug in die Regierung geschafft. So haben wir zum Beispiel 2009 das beste Ergebnis bei einer Bundestagswahl mit über zehn Prozent geholt. Dieses gemeinsame Zusammenwirken, die Teamleistung ist das Entscheidende, und insofern glaube ich, dass wir einen Teil dessen, was in den letzten Wochen uns bei Wahlen so getragen hat – wir haben uns in Sachsen, in Brandenburg verdoppelt, wir haben bei der Europawahl gegenüber unserem besten Bundestags-Wahlergebnis noch mal drei Millionen Wählerinnen und Wähler - das ist ja was anderes als Umfragen -, Wählerinnen und Wähler hinzugewonnen -, dass das auch etwas zu tun hat mit dem Zusammenwirken zwischen Partei und Fraktion.
"Es funktioniert dann, wenn alle an einem Strick ziehen"
Armbrüster: Entschuldigen Sie, Herr Trittin, wenn ich Sie da unterbrechen darf. Ist das nicht alles eher ein Effekt, den Ihre Parteiführung auf ihre Kappe nehmen darf, Robert Habeck und Annalena Baerbock, weil eigentlich um die Bundestagsfraktion bei den Grünen ist es ja ziemlich ruhig geworden?
Trittin: Ich würde überhaupt nicht die persönliche Leistung meiner beiden Parteivorsitzenden in Frage stellen wollen. Ich stelle nur aus der Erfahrung und der politischen Geschichte der Grünen her fest: Es funktioniert dann, wenn alle an einem Strick ziehen. Und genau das ist uns in letzter Zeit gut gelungen.
Armbrüster: Sie meinen, die beiden Fraktionsvorsitzenden haben ihren Anteil daran, Hofreiter und Göring-Eckardt?
Trittin: Ich glaube, dass das auch ein Anteil ist, dass zum Beispiel die Bundestagsfraktion gesagt hat, wir tragen unter anderem diese beiden Parteivorsitzenden mit, die für uns ein sichtbares Signal der Erneuerung gewesen sind. Das was es in früheren Zeiten einmal gegeben hat, dass Fraktionen gesagt haben, was interessiert uns die Partei, all dieses hat in den letzten Jahren nicht stattgefunden. Wir haben es geschafft, aus den Jamaika-Verhandlungen heraus eine Teamleistung abzuliefern und in dieser Teamleistung auch natürlich Menschen herausragen zu lassen. Insofern bin ich mit dem Zustand der Grünen ganz froh und wir werden heute eine Wahl erleben und dann kümmern wir uns wieder um das, was nötig ist, und das geht darum, tatsächlich die Menschheitsaufgabe des Klimawandels tatsächlich in den Griff zu kriegen. Dafür muss Deutschland mehr tun. Da müssen wir statt Päckchen richtige Pakete auf den Tisch bekommen.
Armbrüster: Jetzt gibt es immer wieder den Vorwurf und die Kritik, dass die beiden bisherigen Fraktionschefs, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, im Parlament zu lustlos auftreten, zu wenig aktiv, zu wenig aggressiv. Was sagen Sie dazu?
Trittin: Ich habe das auch nicht zu bewerten. Das entscheiden wir heute Nachmittag. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir insgesamt die kleinste Oppositionsfraktion im Bundestag sind. Trotzdem kann man eigentlich feststellen, dass in vielen Fragen diese kleinste Opposition gegenüber der Großen Koalition zurecht für sich beansprucht, wenn auch nicht die stärkste, aber tatsächlich die griffigste Oppositionsführerschaft zu haben. Und ich finde, das ist eine Leistung, mit der sich die Bundestagsfraktion nicht verstecken muss und wo, ich glaube, auch unsere beiden Parteivorsitzenden ganz froh drüber sind.
Armbrüster: Wären Sie denn mit diesen beiden Fraktionsvorsitzenden fit, um in eine Bundesregierung einzusteigen?
Trittin: Wissen Sie, wir haben 2017 mit 14 Menschen Koalitionsverhandlungen geführt. Die meisten, die jetzt für Funktionen anstehen, waren Mitglied in diesem Team. Ich war auch Mitglied in diesem Team. Das war ein gutes Team. Das musste sich weder vor einer, mit einem ganzen Apparat ausgestatteten Regierungspartei CDU und CSU verstecken, noch im Wettbewerb mit der FDP. Ich glaube, wenn wir eines bewiesen haben in diesen Verhandlungen, dann ist es, dass die Grünen willens und in der Lage sind, ihre politischen Ziele, eine Politik, die Klimaschutz ernst nimmt, die soziale Gerechtigkeit auf die Tagesordnung setzt, die klar für Europa eintritt, auch tatsächlich in Politik umzusetzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.