Dienstag, 19. März 2024

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Carles Puigdemont
"Natürlich betrachte ich mich noch als Präsident"

Der abgesetzte Regionalpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont, wünscht sich ein Gespräch mit Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy in Brüssel. Der Konflikt zwischen Katalonien und Madrid brauche eine politische Lösung, sagte Puigdemont im Dlf: "Wir sind bereit, den Vorschlag des spanischen Staates zu hören."

Carles Puigdemont im Gespräch mit Burkhard Birke | 24.11.2017
    Carles Puigdemont sitzt auf der Stufe einer breiten Treppe eines Gebäudes in Brüssel
    Carles Puigdemont in Brüssel, wo er sich seit seiner Absetzung als Regionalpräsident Kataloniens aufhält (AFP/ Emmanuel Dunand)
    Sie können das Gespräch auch im spanischen Original nachhören.
    Burkhard Birke: Seit mehr als drei Wochen halten Sie sich in Belgien auf. Am 4. Dezember sind Sie erneut vor Gericht geladen. Die belgische Staatsanwaltschaft hat Ihre und die Auslieferung Ihrer Minister nach Spanien gefordert. Welche Möglichkeiten bleiben Ihnen, wenn der Richter die Auslieferung anordnet?
    Carles Puigdemont: Wir haben noch die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen und danach vors Berufungsgericht zu gehen. Wir haben also noch Möglichkeiten, unsere Rechte zu verteidigen. Und die werden wir auch wahrnehmen. Zum Glück befinden wir uns in einem Land, das uns die Möglichkeit gibt, diese Rechte auszuüben. In Spanien ist das nicht der Fall.
    Ich möchte daran erinnern, dass der Generalstaatsanwalt an einem Montag Anzeige wegen Rebellion erstattet hat. Darauf stehen 30 Jahre Haft in Spanien. Am Dienstag berichtete die Presse schon, dass wir am Donnerstag um 9 Uhr vor Gericht erscheinen müssten. Mittwoch war Feiertag. Unsere Anwälte hatten keine Zeit, eine 120-seitige Anklageschrift zu lesen. Sie konnten die Rechte der Verteidigung nicht wahrnehmen. Die Richterin hat eine Verschiebung um eine Woche nicht hingenommen. Da konnten wir unsere Rechte nicht verteidigen. Unabhängig davon, wie das Verfahren hier in Belgien ausgeht, habe ich das Gefühl, dass ich hier meine Rechte verteidigen kann. Gleichzeitig kann ich auch die Rechte der Inhaftierten verteidigen, indem ich auf Verfahren in Spanien hinweise, die keineswegs Unabhängigkeit und den Respekt der Rechte der Verteidigung garantieren.
    "Ich war nie ein Flüchtiger"
    Birke: Wenn der Richter sie am Ende des Verfahrens ausliefert, werden Sie dann um politisches Asyl ersuchen?
    Puigdemont: Ich werde sicher kein politisches Asyl in Belgien beantragen. Daran habe ich keine Zweifel gelassen. Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich außerhalb des rechtlichen Rahmens bewegt. Ich war nie ein Flüchtiger trotz der Fake News, die die spanische Presse unisono verbreitet. Ich bin völlig legal nach Brüssel gekommen, als es keine Anzeige gab. Und als ich erfuhr, dass die spanische Regierung meine Auslieferung fordert, habe ich mich vom ersten Augenblick an den belgischen Behörden gestellt. Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich versteckt, war ich flüchtig, bin ich der Justiz ausgewichen. Ich habe den Kopf hingehalten und werde Verantwortung übernehmen. Ich will doch nicht davonlaufen.
    Birke: Das heißt: Sie würden auch in Gefängnis gehen?
    Puigdemont: Ich habe keine Alternative. Ich möchte doch kein Flüchtiger sein, aber ich will meine Rechte verteidigen. Wenn ich allerdings ins Gefängnis muss, nachdem ich – stellen Sie sich Mal vor – Wahlen gewonnen habe und zum Präsidenten der Generalitat bestellt worden bin, frage ich mich, ob wir wirklich von Demokratie in Spanien sprechen können. Wenn der Umstand, dass Du zum Präsidenten gewählt wurdest, Dich direkt ins Gefängnis bringt? Diese Frage richtet sich auch an die Verantwortungsträger in Europa, die Herrn Rajoy unterstützen.
    "Die Lösung ist, sich hinzusetzen und über Politik zu reden"
    Birke: Die Umfragen für die Wahl am 21.12. prognostizieren praktisch das gleiche Ergebnis wie 2015: Eine knappe Mehrheit der Parlamentssitze für die Separatisten, aber keine absolute Mehrheit der Stimmen. Wir kehren also auf Punkt Null zurück. Wie lässt sich das Problem am Ende lösen?
    Puigdemont: Schwierige Frage für Herrn Rajoy und auch für Frau Merkel, nachdem alles gebilligt wurde, was Herr Rajoy unternommen hat, um die Unabhängigkeitsbewegung zu besiegen. Indem er Leute ins Gefängnis steckt, ins Exil schickt, Leute schlägt. Wenn dann also das Wahlergebnis wieder das gleiche ist, dann haben Sie verloren, Herr Rajoy, dann haben Sie ein Problem, weil Sie alles versucht haben und Sie haben nicht nur das Problem nicht gelöst, sondern Sie haben es verschlimmert.
    Was ist die Lösung? Sich hinzusetzen und über Politik zu reden. Schluss mit der Polizei, mit den Staatsanwälten und Richtern, Schluss mit Inhaftierungen. Weshalb stecken sie die Energie, die sie dazu verwenden, uns zu verfolgen, nicht in den Dialog und sprechen über ein politisches Problem? Was hindert die spanische Regierung daran, anzuerkennen, dass es sich hier um ein politisches Problem handelt und wir deshalb politische Lösungen brauchen. Das muss am 22. Dezember passieren, wenn die Ergebnisse wieder die gleichen sind. Was wäre das für eine Niederlage für Spanien!
    "Das Mindeste ist, dass man uns zuhört"
    Birke: Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat ihnen den Dialog im Parlament, mit den Regionalpräsidenten angeboten. Sie hatten zudem Gelegenheit, die Position Kataloniens zu einem entscheidenden Moment im Senat zu verteidigen. Weshalb haben Sie diese Angebote zum Dialog nicht akzeptiert?
    Puigdemont: Das ist umgekehrt: Ich habe Herrn Rajoy unzählige Gesprächsangebote unterbreitet und er hat wörtlich zu mir gesagt: Ich kann und will nicht. Das hat er mir ins Gesicht gesagt. Und es ist nicht richtig, dass ich im Senat die Position Kataloniens verteidigen sollte, sondern die Position zum Artikel 155 - nicht zu einem politischen Vorschlag für Katalonien. Drittens: Ich habe doch kein Problem mit den Präsidenten der anderen Autonomieregionen. Mit denen muss ich doch nicht sprechen, sondern ich will und muss mit dem Ministerpräsidenten sprechen und zwar bilateral, denn das Problem Kataloniens existiert in keiner anderen Autonomieregion Spaniens.
    Birke: Würden Sie ein Angebot zu einem Gespräch mit Mariano Rajoy hier in Brüssel akzeptieren?
    Puigdemont: Ohne jeden Zweifel. Ohne jeden Zweifel. Ich habe das immer wieder vorgeschlagen. Ich glaube, es muss ein solches Gespräch geben. Wir brauchen Treffen, Dialog, weil doch jeder gesehen hat, dass das, was sich in Katalonien abspielt, nichts mit dem zu tun hat, was in Kastilien, La Mancha oder in der Rioja stattfindet. Das Problem ist ganz anderen politischen Charakters und bedarf anderer Lösungen. Ich glaube die Wahlergebnisse von 2015 und die nächsten sollten zumindest dazu führen, dass man Katalonien zuhört. Das ist das Mindeste, dass man uns zuhört. Das verlange ich, aber Herr Rajoy hat mir deutlich gesagt: Darüber will ich nicht sprechen. Also was ist das denn für eine Verhandlung? Den Artikel 155, also die Entmachtung zu akzeptieren, das ist doch keine Verhandlung.
    Seien wir ehrlich: Zwischen Katalonien und Spanien existiert ein sehr großes Problem. Wir verstehen uns nicht. Wir wollen uns jedoch besser verstehen. Unser Vorschlag lautet: Wir wollen unabhängig sein. Wir sind bereit, den Vorschlag des spanischen Staates zu hören. Der kann doch aber nicht das Beharren auf dem Status Quo sein – das ist doch Teil des Problems heute. Ist der spanische Staat in der Lage ein politisches Projekt für Katalonien zu entwerfen? Ja oder nein? Wir Katalanen haben ein Projekt. Wenn Spanien eins hat, wollen wir es sehen, denn wir sind bereit zuzuhören.
    "Es liegt nichts auf dem Tisch"
    Birke: Wenn dieses Projekt einen Finanzstatuts so ähnlich wie der des Baskenlandes und zusätzliche Rechte zum Erhalt der katalanischen Kultur und Sprache beinhaltete, würden Sie das akzeptieren und in Spanien bleiben, sollten Sie erneut Regierungschef werden?
    Puigdemont: Eine interessante Frage, aber stellen Sie sich vor, das haben wir schon vorgeschlagen. Der frühere Präsident Mas, der verurteilt wurde, keine politischen Ämter zu bekleiden und eine 5,5 Millionen Euro Geldstrafe zu zahlen, weil er eine nicht bindende Volksabstimmung abgehalten hatte, hat genau das Mariano Rajoy vorgeschlagen. Sie haben Nein gesagt.
    Wir haben 2006 ein neues Statut vorgeschlagen, das wurde zusammengestutzt. Das steht heute nicht mehr zur Debatte. Wenn der spanische Staat diesen Vorschlag unterbreitet, garantiere ich, dass wir uns das alles anhören. Aber es liegt nichts auf dem Tisch. Sie haben nicht den Mut, etwas vorzuschlagen, was über vage Andeutungen hinausgeht. Etwa wie: Wir werden eine Verfassungsreform machen, die unmöglich ist, weil im spanischen Parlament die Rechte der Minderheiten wie die Kataloniens nicht so garantiert werden, dass sie entscheidend bei einer Verfassungsreform eingreifen könnten.
    Ich wiederhole: Haben sie einen Vorschlag? Sie haben bestimmt welche, aber sie haben keinen einzigen präsentiert. Es ist doch schon verdächtig, dass in all den Jahren der Unabhängigkeitsbewegung die spanische Regierung nicht in der Lage war, auch nur einen konkreten Vorschlag für eine politische Lösung für Katalonien zu unterbreiten, die akzeptabel wäre.
    Deshalb haben wir gesagt: Wir hören Euren Vorschlag, wenn Ihr unseren hört! Und vielleicht kommen wir auf der Basis gegenseitiger Anerkennung voran und finden womöglich einen mittleren Punkt, der uns überzeugt.
    "Hat der spanische König abgedankt als König aller Katalanen?"
    Birke: Wie wollen Sie die Bevölkerung Kataloniens aussöhnen? Denn es gibt viele, die nach Unabhängigkeit streben, aber ein fast ebenso großer Teil der Bevölkerung möchte bei Spanien bleiben? Sie sind Präsident, das heißt Sie waren Präsident Kataloniens – betrachten Sie sich eigentlich immer noch als Präsident?
    Puigdemont: Natürlich betrachte ich mich noch als Präsident, weil derjenige, der mich abgesetzt hat, nicht die Autorität dafür hat. Ich bin von einem demokratischen Parlament gewählt worden, das Bürger demokratisch gewählt haben. Es ist allerdings interessant darüber nachzudenken, was sich in Katalonien abspielt. Ich frage mich, hat der spanische König abgedankt als König aller Katalanen? Denn er hat nicht zu den separatistischen Untertanen gesprochen. Er hat sie ausdrücklich ausgeschlossen. Die demokratische Spaltung dürfen wir nicht dramatisieren. Das gibt es in allen Gesellschaften. Die Regierungen verstehen sich gelegentlich, es gibt Debatten über Staatsformen, darüber ob man in der EU bleiben soll oder nicht. Es gibt Debatten über die Einwanderungspolitik, über Migranten. Zu behaupten, dass das die Gesellschaft spaltet, hieße die Dinge zu sehr zu dramatisieren. Schließlich sind wir demokratisch reife Gesellschaften. Wir sind bereit, sämtliche Debatten zu führen. Und das bedeutet nicht, dass wir alle die gleiche Meinung haben müssen. Es ist normal, dass es Katalanen gibt, die die Unabhängigkeit wollen und andere nicht. Worüber aber ist sich die riesige Mehrheit einig? Darüber, dass wir über unsere Zukunft abstimmen wollen.